Wandler - Zeitschrift für Literatur

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PostKorb, EinGang

(go) Der Postkorb der Redaktion quillt über. Immer wieder kommen Informationen, (willkommene) Austauschabos, Rezensionsexemplare. Das meiste ist (zumindest) interessant, für das allermeiste fehlt die Zeit zum ruhigen Durchsehen und erst recht zum Rezensieren. Damit unsere Leserinnen und Leser aber dennoch einen Eindruck von der Vielfalt des "anderen Literaturbetriebs" jenseits der großen Feuilletons erhalten, soll in der regelmäßigen Rubrik "PostKorb, EinGang" in kurzer Form ein Überblick über diese Zusendungen gegeben werden.

Und damit die Routine gar nicht erst einkehrt: Zum Anfang etwas aus einem fremden PostKorb: dem von Lothar Edin, der im letzen Heft mit dem Text "Frühstück" vertreten war und von seinem Freund Stefan Schweiger (ehemals auch im Wandler vertreten) daraufhin folgenden LeserBrief bekam - ich zitiere mit Erlaubnis der beiden:

Berlin, den 5.5.1995

Lieber Lothar,

Deinen interessanten Text im Wandler Nr. 15 wollte ich nicht völlig unbemerkt lassen. Oliver Gassner hat mir 1 Exemplar geschickt, und Dein Text ragt sehr aus dem ganzen Heft hervor. Besonders beeindruckt hat mich die Wiedergabe des engen, hoch spezifischen Wahrnehmungsradius des "ich:" in dieser "Erzählung". Anstatt Gesten oder Sätze wahrzunehmen, "sprechen" Möbel zu ihm: ein Satz stört ihn: "Ist noch Kaffee da."

Der Protagonist ist wirklich ein Ulysses: von den Mitmenschen wird er nicht erkannt, und mit den Gegenständen will er sich auch nicht so ganz identifizieren. So bleibt sein Solipsismus am Rande seines Ich stecken: "du" und "sie" sind austauschbar, da irrelevant: der Protagonist sucht einen Halt in seinem eigenen Willen, den er nicht findet (Wurstplattenszene) und an den er auch nicht richtig glauben will.

Der Doppelpunkt im Text wird zum Symbolträger des Dazwischen, er ist das Gleichheitszeichen in der autistischen Gleichung Gegenständl. Welt = Sprachliche Welt. der Solipsist sieht diese Gleichung im Moment der Reflexion des Erlebten, des Wahrgenommenen, um anschließend wieder blind gegenüber dieser Gleichsetzung und damit zum Autisten zu werden, der sich ausschließlich in einer Welt von Gegenständen und Gefühlen befindet.

Was der Text negiert: den emotionalen Bezug des Autisten zu bestimmten Gegenständen, selbst wenn sie mit Menschen direkt in Verbindung gebracht werden: "Der Stuhl zwischen uns ist der Stuhl, der noch vor kurzem unter einem Menschen stand" Der Schrei des Autisten wird nicht gehört, da er sich selbst nicht als das wahrnehmen will, als was er die anderen wahrnimmt: als Stimmen, als bloße Stimmen, die Laute ausstoßen, deren Sinn jederzeit teilweise oder ganz suspendiert werden kann: "Die Menschen um uns: die sich laut begrüßen." "Ist noch Kaffee da?"

Auch wenn die Menschen "Dazugehörige" des "Frühstücks)Tisches sind: ohne sie nimmt der Protagonist auch das Dazwischen nicht mehr wahr. (...)

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Einen Band mit Autorenportraits stellt der Münchener Verlag W. Richter zusammen. Der Eintrag ist für Adresse und 6 weitere Zeilen kostenlos. Formular anfordern! Tel.: 089 4483303

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Also die Gelbe Pest, 'zeihung, Post hat mir 2,50 DM abgeknöpft. Strafporto. "Keine Büchersendung" war die Begründung. Der Verleger und Macher der ersten Literaturzeitschrift auf CD-ROM (Windows, knapp 50 Märker) "PCETERA" sagt: "Hol dir das Geld zurück, ich hab' das abgeklärt." Wer gerne an seinem PC sitzt und findet, daß Literatur auch auf einem Bildschirm stattfinden darf, der/die/das sollte sich PCTERA mal ansehen, anlesen, anhören, bestellen. KH. Barwasser, Corneliusstraße 42, D-80489 München. Gruß von mir und er liefert sicher gerne auf Rechung. Aber auch bezahlen, ne?

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S.U.B.H. ist keine neue Partei sondern steht für "Shut up be happy" und ist eine kleine Zeitschrift, die nicht nur Texte aus dem Social-Beat Millieu sondern auch noch veganische (wir sagten früher langweiligerweise: vegetarische) Rezepte enthält. Kostet 2,50 DM plus 1,50 DM Porto bei A. Reiffer, Postfach 101002, 03010 Cottbus.

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In der "edition freibord" erscheint... "Freibord". Wo die Wiener Gruppe und der Fluxus, die Konkrete Poesie und anderes Urständ feiern, als hätte es die Gruppe Paarundvierzig nie gegeben. Echt erfrischend. Und das im 20. Jahrgang, bei der 93 Nummer. Und der Sonderdruck von Freibord-Kapitän Gerhard Jaschke zum Siebzigsten von EhJott, der ist empfehlenswert. (Zitat: "labet den harn, lebet den herrn, liebtet das hirn ...") Freibord gibt´s für DM 15 bei Edition Freibord, Postfach 281, A-1181 Wien. (Tip: Es gab zwei Sondernummern auch zum Geburtstag von Frau Mayröcker...)

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Literaturzeitschriften kommen und gehen, nur wenige kündigen ihren Harakiri vorher an. So "Der Sprung ins nächste Jahrtausend" der 1999 das letzte Mal erscheint. Davor allerdings sind 10 Nummern angedroht. Da gibt´s nur eins: mitlesen, mitmachen. Nummern 1+2 für jeweils Dm 5, Abo der Nrn. 3-10 + CD 45 DM bei: Marc Degens, Hugo-Knippen-Str. 8 - 45357 Essen.

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Ziemlich edel (Hochglanz, s/w) und gehaltvoll ist die Nummer 23 (14. Jahrgang) des "Dichtungsring" zum Schwerpunktthema "Übersetzung". Es finden sich immerhin Beiträge von Mr. DADA Karl Riha und dem Literaturwissenschaftler Darko Suvin. (Autor/innen: nur unveröffentlichtes wird gedruckt) Kostet: 13,50 DM + Porto , 2 Hefte im Abo 27 DM (incl. alles), Adresse: J. Kohnen-May, Auf der Kluse 22, 52382 Niederziehr.

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Dr. Jekyll und Mr. Hyde kennt ja fast jede/r. Dr. Kinder und Herrn Kinder auch viele. Diese Doppelkreaturen aus Autoren und Universitätsdozenten im Fache Literaturwissenschaft sind in Deutschland gezählt. Gezählter als z.B. in den USA, wo der Uni-Job sozusagen die Rolle der Literaturförderung übernimmt und die Schreiberlinge finanziert. Hermann Kinder nun hat neben seinen fiktionalen und rein wissenschaftlichen Publikationen auch eine Sammlung aller Essays seiner beiden Alter-Egos vorgelegt. Im lobenswerten Isele-Verlag am wirklich netten Hochrhein erschien "Von gleicher Hand" mit Aufsätzen über Literaturkritik, Literaturgeschichte nach 45, Literaturbetrieb, Poetik und mehr. Für Hermann-Kinder-Fans ein Muß (auch wenn sie viele der Essays schon in vergriffenen Bänden haben, aber eben nicht alles), für Literaturwissenschaftler/innen mit Hang zur Literaturkritik und zum Selberschreiben auch nicht gerade überflüssig.

Hermann Kinder: Von gleicher Hand. Edition Isele, Eggingen. Preis, tja der entgeht mir gerade. Paarundvierzig Mark für 341 Seiten.

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Manche Konstanten im Postkorb gewinnt man richtig lieb. So die liebevoll auf schönstem Papier (wir würden das Zeug auch nehmen, wenn es für Fotos geeignet wäre) gedruckte Zeitschrift aus Münster: "Am Erker". Immer mit dem netten (MAI?)Käfer auf dem Schmuckblatt, immer in schwarzem Karton. Diesmal aber: Gröööößer als je zuvor im Format 23,5 x 17 cm und diesmal nicht der Versuchung erlegen das Thema zu eng zu fassen (Geschichten aus dem fiktiven Alltag) und zudem vermieden, die Seiten mit lobenswerten, aber nageltoten Klassikern zu füllen: Schopenhauer, Kleist, Hebel, Kracauer, Robert Walser, Kafka müssen diesmal leider draußen bleiben. Weiter so. Kostet 10 Mark beim Verlag Am Erker, Dahlweg 64, 48153 Münster. Abo 4 Hefte 40 Mark.

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Nun geht ja vom "Wandler" das Gerücht wir seien jungspuntige Bilderstürmer und nur darauf aus, die doitsche Sprache zu verstümmeln und die Literatur erst recht. Nun ist das aber ganz falsch. Wir sind richtige Traditionalisten und schlafen bestens statt auf Kissen auf einer antiquarischen Ausgabe des "Buches von der teutschen Poeterey" von Opitz (1624). Und deswegen wundern wir uns auch nicht und hören aufrichtig zu wenn da der Vizepräses (sic!) des "Pegnesischen Blumenorderns e.V." (sic! sic!) und in den "Mitteilungen der Arbeitsgemeinschaft Literarischer Gesellschaften e.V. Nr. 15, September 1995" zu uns spricht:

"Wir könnten uns überlegen, mit unseren Sachen ans Netz zu gehen, genauer gesagt, an das Weltweite Gewebe (World Wide Web, WWW)."

Gesagt ist gesagt. Wenige Tage später ist der Südwestdeutsche Bibliotheksverbund so nett und bietet uns an, eine WWW-Seite im Internet für uns anzulegen. Und jetzt bin ich mal vorsichtig: Nach unserer Kenntnis sind wir die erste deutsche Literaturzeitschrift mit einem (momentan bescheidenen aber auszubauenden) Angebot im WWW/Internet. E-Mail ist für Feiglinge, das gilt nicht. Wer es besser weiß, korrigiert mich, und ich behaupte es nie wieder.

En avant: WWW-Browser starten und eingeben: http://www.swbv.uni-konstanz.de/eu/wandler/

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Also da geht einer, ehm, also da gehen zwei hin und machen kleine Hefte. Soweit gut. Sie setzen das Cover von Hand im Bleisatz und drucken es im Gutenbergmuseum in Dings auf der Handabzugspresse. Edel edel. Dann tippen sie den Innenteil auf dem Computer. Naja. Und gehen zum Copyshop. Hm? Und kopieren das und heften es zusammen mit dem handgedruckten Cover - wie bitte? Genau! Und die Texte sind genauso... gut. Dieser Marshall McLuhan sagte mal (oder schrieb oder soll gesagt oder geschrieben haben): "Die Druckerpresse machte alle zu Lesern. Der Xerox-Kopierer macht alle zu Verlegern." Und wenn er es nicht gesagt hat. Was solls. Und ich sage: Vielleicht macht die Maggi-Tütensuppe und die Multivitamintablette uns alle zu Lürikern. Oder beides.

Auf jeden Fall: wer "underground" richtig buchstabieren kann und mehr als nur Bukowski gut findet, sollte mal einen Blick riskieren: "Faltblattgeschichten" im "amanita-verlag", Marcus Weber, Binger Straße 7, 55116 Mainz, 061/235752. Zum Beispiel: Vier Gedichte von Tom Toys "Purzait". Numerriert, 55 Stück, 6,50 DM (kein Witz). Oder: Thomas Tonn: Nasse Welt. auch 6,50 DM. Und das Größte; Porto & Verpackung sind dabei. Eigentlich sollte Selbstausbeutung ins StGB...

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Und außerdem: macht wunderschöne Bücher (besser: Buchobjekte zum Preis von Büchern) die Corvinus Presse in Berlin. Also zum Beispiel vom Erfinder der Literatur-Nicht-Zeitschrift "non(+)ultra" Matthias Schamp "In den Berg hineinfressen". Gedichte mit Zeichnungen von Martin Lersch. 700 numerierte Exemplare. Leider ohne Preisangabe. Infos bei: Corvinus Presse, Hendrick Liersch, Christinenstr. 32, 10119 Berlin-Ost (sic), Fax.:030 4410501, ISBN 3-910172-X
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