Wandler - Zeitschrift für Literatur

Karin Wöhrle

Busfahren, Heute rot.

Der Blick nach vorn.

Irgendwer müßte mal einen neuen Uniformstil kreieren. Diese Fahrer in ihren klassisch blauen Strickpullundern, aus denen wie zum Angriff die spitzen Kragen herausstechen, jener bläßlichblauen Hemden, die sich nachlässig oder tagverrutscht dann doch herauswinden aus den zu eng geschnallten Hosenbünden...

Vor mir die Frau mit den zu rot bemalten Puppenlippen und dem fröhlich krähenden Puppenkind im grellgrünen Wagen, den ich ihr im Anfall wilder Menschenliebe in den Bus lud. Ich stelle mir ihr Gesicht genau vor, wie ich es immer tue mit Gesichtern, die sich vor mir verstecken; entrinnen können sie mir nicht. Draußen scheint es zu regnen, durch die braunschmierige Fensterscheibe sehe ich ohnehin nichts. Zu dunkel ist es für diese Zeit, in der andere, Kollegen meidend, in irgendeinem Bistro vor dem Essen stehend, wenige Worte herauswürgend und ein Trinkgeld, uhrenumgeben durch die Straßen hetzen, um endlich da wieder zu sitzen, wo sie zuvor sehnlichst wünschten gehen zu können, oder ans Fliegen denken, im Traum vom nächsten Mal auf Gran Canaria. Zurück zu den Scheiben. Milchig sind sie, und feucht, willig, sich von Kinderhand beschmieren zu lassen - links von mir das zweite Puppenkind, jeden Augenblick nützend, in denen die Rotmundige ihm nicht den Arm wegzieht und Grimassen schneidet - was meine Aufmerksamkeit noch mehr auf dieses Rot lenkt. Ein Blick in den Spiegel: aus dem gelblichblauen Kragen quillt das Gesicht eines mürrischen Bärtigen, auf seine nächste Zigarette wartend verzerrt sich sein Mund zu einem Strich. Ich greife in meine Tasche und betaste die Schachtel, die mir beim Einsteigen aus der Tasche eines jungen Mannes entgegenfiel. Nun, ich betrachte es als ein Spiel der Götter, sich und mir einen Spaß erlaubend. Anhalten an Busstops, an roten Ampeln. Eine alte Dame mit jammernden Augen und eingefallenem Mund - so stelle ich sie mir vor - bläst mir aus eben diesem etwas Verwesung in den Nacken; ich winde mich, konzentriere mich auf die Zeichnungen der Puppe, doch vor dem Tod ist kein Entrinnen. Muffig wird es, und eng, ganze Schulklassen stopfen sich in die Sitze, malen nicht auf Scheiben, doch auf Bänke, Wände und Arme ihrer Mitglieder. Es wird laut, unerträglich, jedes Mal um diese Zeit, in der ich nicht von Gran Canaria träume. Ein Spiegelblick genügt, um den angespannten Mund des Bärtigen zu deuten. Die alte Frau hinter mir wird beinahe zerquetscht; ihr rotes Hütchen fällt zwischen die Sitze und in die Hände der Johlenden, flehend blickt die Dame nach vorn und wedelt mit den Armen - soweit ich mir ausmalen kann - das Püppchen im Wagen kräht eifrig mit, durchdringender. Die rote Ampel bringt alle aus dem Gleichgewicht, Blätter werden aus den Schulmappen geworfen, und drei der Schlimmsten vom Busfahrer eigenhändig hinaus. Zur Attacke bereit mit ausgefahrenem Kragen schlug er sich den Weg frei zum Hütchenwettspiel, und eben jenen dreien vor dem Rauswurf ins Gesicht - ich hörte das Klatschen. Durch die Scheibe erkenne ich drei hochrot von dannen ziehende Verlierer, lasse mittlerweile den roten Hut in der Manteltasche sich erholen, und wende mich wieder den Gemälden der Kleinen zu. Ihre Finger nun bräunlich, schaut sie durch ihr Kunstwerk hindurch, nun sich den Dingen der Welt widmend. Das gelle Kreischen des Puppenwagenkindes - sein Gesicht muß rot sein, aufgeblasen, prall und ausgefüllt mit einem Riesenmaul - durchdringt abrupt die eingetretene Stille, durchtrennt messerscharf den Raum und die Gedanken der Dame an ihr Hütchen. Mit gequältem Gesicht wohl nimmt die Mutter das Kind heraus, setzt es neben die Malerin, die für weitere Werke nun Inspiration im Draußen sucht, und trägt mit diesem Akt zu einer neuen, ungewohnten Stecknadelstille bei. Völlig erhitzt verläßt die nun Unbehütete den Bus, faßt sich draußen noch an den Kopf, und ich sehe sie offenen Mundes in langsamer Drehung dem Bus nachblicken. Die Puppe hat nun ebenfalls vor, diesen bewegenden Ort zu verlassen und rafft ihre Siebensachen zusammen. Am Ausstieg dreht sie sich schwungvoll, dann zögernd um; ihre Lippen sprechen schon allein, und ich stehe auf, um ihr den Wagen wieder hinaus zu tragen, wünsche ihr und dem jungen Genie eine glückliche Zukunft; die Türen schließen sich, der Bus setzt seinen unbestimmte Bahn fort, und ich mich neben das von Krähen und Kreischen rötlich angelaufene, doch zufriedene Puppenkind und bette es zwischen Tomaten und Erdbeeren in die Tasche.

Im Bus wird es nach und nach gemütlich ruhig, der Fahrer blickt entspannter seiner nährerrückenden Zigarette entgegen, die übrigen Fahrgäste raunen wieder oder träumen von Gran Canaria, Mittag zieht vorbei. Als die letzten von ihnen den Bus verlassen, setze ich mich zum Fahrer; bald befinden wir und in einer angeregten Unterhaltung über Fahrgastgesichter und Zigarettenmarken und über die Möglichkeit, daß das Volk des Herrn unter Moses wirklich trockenen Fußes durch das rote Meer zog. Ich biete ihm letztendlich eine meiner rötlichen légèren Gauloises Blondes an, schlage ihm vor, bei der Busgesellschaft vorzusprechen, einen neuen Uniformstil durchzusetzen, er wisse schon, in rot, passend zum Bus, und lasse mich mit meinem rotbehüteten Schreihals am Roten Meer absetzen.
* nächste Seite
* Seite zurück
* Wandler Nr. 16 - Inhaltsverzeichnis
* Wandler - Startseite