Wandler - Zeitschrift für Literatur

Armin Elhardt

Nachtmusik

Aus den Aufzeichnungen Gero van Trubens

Heureka! Hinter den letzten Bänden meiner Hausbücherei find' ich doch vorhin, zwischen Valentin und Wieland, eine fabrikneue A-Saite für meine Konzertgitarre, die ich vor Jahren einem - wüßt' ich nur welchem! - meiner besten Freunde ausgeliehen habe. Damals hatt' ich gerade den Anfang vom "Lied an die Freude" neu vertont. Inzwischen hätt' ich einen brillanten Schluß. Doch ohne Instrument? Aber herkulische Geduld im Warten ist mir halt zu eigen. Das macht mein niederländisch-orientalisches Temperament.

Zudem besitz' ich ein Dutzend Röntgenbilder meines Thorax. Ich weiß, es klingt neureich, aber ich kenne wenig Schönres, als diese in Mußestunden zu kolorieren. Es beruhigt ungemein und bringt Farbe in mein Leben.

Zuweilen lausch' ich dann, Edamer naschend, meinem metallic-silbernen RCR 400 mit Automatic Stop System und abnehmbaren Boxen. Seit dem Fall von der Fensterbank sendet er zwar nur noch auf Mittel- und Kurzwelle, aber immerhin kann ich drei Stationen empfangen.

Hilversum erhält meist deshalb den Vorzug vor Beromünster, da es nördlich von Utrecht liegt und Utrecht mich stets an Ute, Recht und den "Zerbrochnen Krug" erinnert. (Unvergeßlich der forschen Frau Marthe prachtvolle Schild'rung homerischer Helden, die vormals zierten das ird'ne Gefäß.)

Radio Bagdad aber hör' ich am liebsten. Das Ragout aus der kurzwelligen Sprache Harun al Raschids und den muezzinesken Äthermodulationen ließ mich fast einmal ein Fernstudium des Arabischen ergreifen. Die Zahlen sind mir ja schon vertraut. Davon abgehalten hat mich jedoch erstens: die allzu arabeske Liebesmetaphorik Omar ben Abia Rabias, drittens seit dem Golfkrieg eine - wenn auch seelpeinigende - Solidarität mit den Alliierten, wobei sich der Lernboycott aus zweitens erklärt: einem Abscheu vor dem Menschentypus Nero, respective Bloody Mary.

Deshalb stülp' ich mir manchmal die Kopfhörer ("headgear") über, wenn spät der biermüde Paketzusteller Lützel durchs Treppenhaus schlingert. Meist dauert es, vom Zapfenstreich des Türknalls ab gerechnet, nicht lang, bis der Walkürenhieb seiner Edda das gewohnte Ziel trifft.

Fast schlimmer noch die Versöhnungsszenen! Hört aber das Vibrieren der Deckenleuchte auf, nehm' ich mein "headgear" (Kopfhörer) wieder ab. - Nun ja, ER hat den Menschen so geschaffen, daß beide mit Bewährung rechnen können.

Nein, ans Heiraten ist momentan nicht zu denken. Obwohl mein Erfahrungsschatz an Frauen fast so groß ist wie mein Vermögen, damit umzugehen. Daran denk' ich immer öfter, wenn ich nächtens im entlegnen Holdergäßle spazierenstehe. Dort unterm Fenster von "Go-Go"-Rosie ist gut fernsehn. Vorausgesetzt, der Rolladen der ehemaligen Überraschungstänzerin klemmt mal wieder und ihr Besucher bekommt den Wunsch nach einem anregenden Video erfüllt. Das Programm mag dramaturgisch noch so flachkurvig sein, es hat doch seine Höhepunkte und erweitert allemal meine Kenntnisse über Anatomie, Körperbeherrschung, Atemtechnik. Zudem kommt es ohne Werbung aus und macht im Winter angenehm warm.

An wüstenwarmen Sommertagen nehm' ich gern das Angebot der verwaisten Parkbank gegenüber an, zücke, die Sonne im Rücken, ein Reclam-Bändchen und studiere - ganz Autodidakt - die markierten Stellen aufs neue. Seite 13: "Sie hat zu den Büchern ihre Zuflucht genommen; und ich fürchte, die werden ihr den Rest geben." - Oder 18 (der Prinz mit einem Brief in der Hand): "Kommen Sie, Rota (...) Hier ist, was ich diesen Morgen erbrochen." - Schließlich 55: "Gleichgültig ist die Seele nur gegen das, woran sie nicht denkt."

Eines Abends, die Schwüle drückte bleischwer auf die Oasenbank, kam ich an Emilia Galottis Bekenntnis: "Ich kenne das Haus der Grimaldi. Es ist das Haus der Freude." Ein vorbeigaukelnder Augenfalter (Nymphalide) zog mir die Lider hoch; wie von selbst fiel mein Blick auf Rosies Häuschen, fixierte die verschleierte Fensterhöhle; im Flimmerhirn eine Karawane roter Gedanken. Kurz geriet die Gardine in Wallung. Durchzug? - Da schob sich ihre Haremsgestalt, BH-gepanzerte Bronze, in den stolzen Rahmen. Eine Hand schützend an die Stirn gesetzt, sah "Go-go"-Rosie lächelnd in die Strahlen der sinkenden Sonne. Bei Vermeer, eine Galionsfigur, der "Santa Maria" würdig! Und da, die andre Hand - sie winkte mir zu!

Aber nein, Fata Morgana. Noch einmal streiften die Finger ums linke Körbchen ihres Büstenhalters, hakten ein, lockerten den Sitz.

Ich bog den Nacken etwas zurück. Von "Go-go"-Rosies Dachgarten tropfte es. Im Netz der Wäschespinne pendelte einsam ein dattelbrauner Bikini; darüber blinzelte der Abendstern. Auch das noch.

Zu Hause ergab ich mich der wehmütigen Betrachtung meiner Sammlung von Ferienhüten.

Vorhin ist Lützel eingelaufen; lastkahnmäßig. Rollen, Schlingern, Stampfen. Türknall. Pause. - Keifen, Donnern, Knall. Pause. - Stimmencrescendo: "Nein." - "Doch!" - "Nie!!" Tusch, Kreischen. Edda war früher mal Faschingsprinzessin. Rumms!

Aus dem Baldachin der erschrockenen Deckenleuchte rieselt eine Prise Gips lotrecht auf meinen Nachtimbiß (Edamer und Feigen). Also Kopfhörer her und auf Empfang.

...und schrecke zurück: So weit weg und doch so laut! Während ich das Jagdlied der Beduinen leiser stelle, glaub' ich es viel näher zu vernehmen. Noch leiser drehen? - Ja. Im mächtigen Rauschen ersterben die morgenländischen Töne fast, zerfließen ...und doch: gerade die leisesten zittern ganz tief in mir auf.

Ich greife zum Stift und notiere: "Konzertgitarre besorgen!"
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