Klaus Peter Knoll
Briefe aus der japanischen Provinz

6. Die Krankheit



Foto: kpk

GESUND BLEIBEN! Schimpfen hilft nicht. Nach einigen Monaten hat man das Wesentliche gehört: Japan ist furchtbar, die Preise sind hoch, die Zinsen lächerlich niedrig, die Japaner selbst willenlose Marionetten, die ihren Lebensfrust in sinnloser Arbeit ersticken. Das Essen ist gut und das Fernsehprogramm miserabel. Das kann eigentlich niemand mehr erschüttern, aber wir Exilanten beten es einander vor bis zum Überdruß. Man muß sich ein anderes Thema suchen, sonst wird man verrückt. Also vielleicht Reagenzglas, Verhaltensforschung: wie kommt ein westliches Individuum in einer Situation zurecht, in der seine angestammten Werte permanent infrage gestellt sind? Nur daß man das auch nicht lang aushält, weil man ja Konrad Lorenz und die Graugans in einer Person ist.

So auch Truman, der seit zehn Jahren hier lebt. Natürlich als Englisch-Lehrer. Manchmal überkommt ihn die Krankheit, wie er es nennt. Gelegentlich auch im Supermarkt. "Ich steh beim Obst und betrachte die herausgeputzten Melonen, das Stück für 30 Pfund. Mensch, weißt du was ich zuhaus kaufen kann für dreißig Pfund? Egal, ich steh da unter all den Hausfrauen und schafsgesichtigen Angestellten, und daneben liegt diese Mango, eingepackt in ihre Papiermanschette wie ein Schulkind zur Erstkommunion. Und ich spürs kommen. Ich kann nix machen, ich greif mir die Mango und prüfe den Reifegrad, miserabel, sag ich dir, steinhart, und dann prüf ich die nächste, etwas besser, aber völlig unreif im Prinzip, und ich prüf sie etwas fester, fast streng, könnte man sagen, und da spritz auch schon der Dreck über die schöne Manschette, naja, was weiß ich, ich hab gar nicht recht bemerkt, was los ist, da hatte ich sie schon alle geprüft, und dann knöpfte ich mir die Orangen vor, stichprobenartig, weil's zuviele waren. Und stell dir vor: Kein Schwein sagt was zu mir. Ich mein, es hat echt nicht sehr appetitlich ausgeschaut. Aber keiner will was gemerkt haben, alle schauen sie zur Seite oder auf den Boden. Gottseidank hab ich mich gut unter Kontrolle, sonst hätt's vielleicht in einem Blutrausch geendet. Ich hab mich natürlich sehr bemüht, diese Prüfungen nicht zur Gewohnheit werden zu lassen, aber ein, zwei Mal pro Semester kanns schon vorkommen." Während der ganzen Geschichte verzieht er keine Miene, aber dann schüttelt er sich vor Lachen, daß mir Angst und Bang wird. Ein anderes Mal hat er, fremdem Bericht zufolge, sein Auto in den Gartenzaun des Nachbarn gelenkt, nicht um vier Uhr früh, schwer alkoholisiert beim Nachhausekommen sondern am frühen Vormittag, nüchtern und mit Vollgas. Der Nachbar hat den Kopf zur Tür herausgestreckt, hat mit einem Blick die Situation erfaßt, - und ist sofort wieder verschwunden, hat nie auch nur ein Wort darüber verloren.

Grant, sein Vorgänger, älter und mindestens so trinkfest, ist dem Anschein nach eines Tages in Unterhosen zur englischen Konversation an der Uni erschienen. Vermutlich im gestärkten Hemd und mit Krawatte. Bemerkt hat es ein Freund, der ihn wenig später zuhause aufsuchte, die am Vorabend beim Saufen verlorene Brieftasche zu suchen. Die Kollegen Professoren jedenfalls übersehen derlei Kleinigkeiten ebenso großzügig wie die Herren Studenten sie in ihrem Dauerdämmer vermutlich nichteinmal bemerken. Und die Mädels haben, solang richtige Männer anwesend sind, sowieso nichts zu melden. Aber das ist eine andere Geschichte. Grant muß jedenfalls zugute gehalten werden, daß das Klima hier ab Juni tropisch-unerträglich wird. Dann werden sogar die Verwaltungsbeamten aufmüpfig und tragen unter ihren Anzügen kurzärmelige Hemden.

7. Fuzzy Logic

geschichten | gedichte | essays | multimedia | info | links | | mitwirkende | chronologie
© 1995-1990 Der Brennende Busch ~ derBusch@hotmail.com ~ Alle Rechte vorbehalten 

 

Der Brennende Busch ARCHIV!