Klaus Peter Knoll
Briefe aus der japanischen Provinz
5. Rambo
Even paranoids have real enemies.
|
Ich - gegen den Rest der Welt! Nirgendwo sonst könnte sich diese gut versteckte Seite meiner Innenwelt so vollständig ausleben wie in Japan. "Ihr habts Euch den Linksverkehr ausgedacht - nicht ich!" schrei ich dem Radfahrer, der mir auf der doppelt falschen Seite entgegenkommt, stumm ins taube Ohr, "Also haltets Euch gefälligst dran!" Derlei Sätze beeindrucken die Leute hier überhaupt nicht, ganz egal, wie laut ich sie denke. Nichteinmal Aussprechen hilft: "Vollkoffer, gehirnamputierter!" produziert im Gegenzug dasselbe freundliche Lächeln wie "Guten Tag!"Die Japaner meiner Innenwelt sind meistens "ihr" oder "die" oder "sie", fast immer eine anonyme Masse, die mich hinterlistig auflaufen läßt, mir böswillig wichtige Fakten vorenthält und mich auch sonst auf jede Art und Weise übervorteilt, ärgert und sekkiert.
Wenn ich zum Beispiel am Montagmorgen dringend Kaffeefilter brauch, weil unsre Familienpackung mit 20 Stück schon wieder aufgebraucht ist, und zwar schnell, weils fünf nach neun ist und ich um zehn unterrichten muß, genau dann, wenn der Supermarkt endlich aufsperren würd, aber wie erklär ich das der shomu, daß ich unbedingt noch einen Kaffee gebraucht hab, weil ich mich sonst den Strapazen meines Alleinunterhalter-Daseins nicht gewachsen gefühlt hätte, wenn ich dann zum Convenience-store lauf, hat ganz bestimmt irgendein Trottel dort die Kaffeefilter umplaziert, sodaß ich sie zehn Minuten lang suchen muß und trotzdem nicht finden kann. Wenn ich dann endlich den dritten Grad der Hysterie erreicht hab und mich nach einem Verkäufer umseh, dem ich eine reinhauen kann, beziehungseise ihn fragen, wo er die verdammten Filter denn heute versteckt hat, ob vielleicht zur Abwechslung zwischen den Zahnbürsten, ich hab nämlich im Lauf dieses Jahres die Kaffefilter schon überall aufgespürt, neben der Schokolade, neben dem Kaffee, echt, das gabs auch, aber nur kurz, es hat sich wohl nicht bewährt, hinter dem grauslichen Packerl-Curry, unter der Marmelade, überall, aber heute find ich sie nicht. Es liegt am dritten Grad, der auch die Völkerverständigung etwas beeinträchtigt. Die Japaner haben ja keine Erfahrung mit Giftlern, zumindest hier in der Provinz eher nicht, sonst würde der nette junge Mann, an den ich mich wende, auf einen Blick erkennen, daß er es mit einem junkie zu tun hat, der voll auf turkey ist, und würde mir die beschissenen Filter blitzschnell rüberschieben, notfalls sogar auf die Kohle verzichten, und nur froh sein, wenn ich aus seinem Laden wieder raus bin ohne daß es einen Amoklauf gegeben hat. Wenn er ein echtes burgoises Arschloch wär, würd er nachher die Kieberei anrufen und eine genaue Personenbeschreibung durchgeben. Aber er ist weder das eine noch das andere, er ist ganz einfach nur Japaner. Und also hebt er nicht mal die Augenbrauen, redet nur schnell was zur Seite, er versteht mich sowenig wie ich ihn, aber wir machen jede Menge Bücklinge voreinander, "Sumimasen!" - "Sumimasen!" - "Do itashimashite!" und wenden uns wieder unserer jeweiligen Beschäftigung zu, d.h. er schiebt müd den Besen übers Linoleum und ich bring meinen Sprint durch seine Regale in die vierte Runde. "Absichtlich hast du das gemacht, du Hundsfott! Aber dir zahl ichs heim! Drei Wochen Verkaufssperre! Mindestens! Damit du dirs merkst! Ein Alien ist auch ein Mensch!"
Aber schon zwei Tage später ist um sieben Uhr früh die Milch aus - und zum Frühstück nichts anderes im Haus als Müsli, also "Ich geh nicht!" - Aber meine Frau schaut mich nur mitleidig an, dreht das Baby auf den Rücken, nimmt es auf den Arm - so schnell hab ich noch nie verspielt.
Außerdem ist die Milch immer und notwendigerweise in einem der vier Kühlregale, da kann eigentlich nichts passieren.
6. Die Krankheit
geschichten | gedichte | essays | multimedia | info | links | mitwirkende | chronologie
© 1995-1990 Der Brennende Busch ~ derBusch@hotmail.com ~ Alle Rechte vorbehalten