Klaus Peter Knoll
Briefe aus der japanischen Provinz

4. Übersiedlungsgut (Zweiter Teil)



Waun mi dees Reisebüro need vamiddld häd...
Helmut Qualtinger: Travnicek in Moskau


photo: kpk

A m Abend lege ich mir eine Terrorstrategie zurecht: Jeden Tag mindestens ein Anruf, geduldig mich herumverbinden lassen, aber überall fleißig schimpfen, auch wenn's niemand versteht, der Ton wird sich selbst erklären, bei jedem drängen, bitten, drohen, auf Deutsch, Englisch und Oberösterreichisch, auf jeden Fall fleißig zurückreden, ihnen auf die japanische Tour kommen, Aug um Aug, Ausländisch um Ausländisch, ich werd mich jetzt auch nicht darum kümmern, ob irgendwer Traunviertler Dialekt versteht oder nicht. Ein zweifelhafter Plan, aber ich halte mich daran. Zweimal täglich gehe ich Naigai auf die Nerven, und siehe da, schon nach einer knappen Woche ruft Ebe-san bei mir an, entschuldigt sich, sie war außer Haus. Wahrscheinlich, denk ich mir, haben sie dich wieder eingestellt, weil's mit meinen ewigen Anrufen nicht mehr auszuhalten war, und es soll auch überhaupt nicht zum Aushalten sein, bis endlich mein Zeug vor der Tür steht. Aber sie beruhigt mich endgültig: Die Einwanderungsbehörde hat gegen die Einfuhr meiner Bücher und Unterhosen nichts vorgebracht. Ich unterdrücke das wilde Begeisterungsgebrüll, das mich ob dieser Großzügigkeit befällt. Ich bin ganz sicher, daß Naigai jetzt bald zur Tat schreiten wird. Und mein Instinkt betrügt mich nicht. Ob mir wohl der Fünfzehnte recht wäre? Selbstverständlich, mir ist alles recht!. Kontrollblick in den Kalender, noch knapp zwei Wochen. Besser spät als nie, flüstere ich mir selbst zu. Aber dann sehe ich, der Fünfzehnte. ist ein Donnerstag, ich hab Unterricht bis 14 h 10. Längeres Hinundher, weil das leider in Japan nicht üblich ist, daß man als Kundschaft der Spedition Vorschriften macht, wann sie zu kommen hat. Ich glaubs ja gern, daß das nicht üblich ist, halte es aber für einen billigen Trick, die Leute zuerst so fertig zu machen, daß sie ihr Zeug unter Dankesbezeigungen und Weinkrämpfen auch selber mit dem Handwagerl nachhaus brächten aus lauter Freude darüber, daß sie den Höllen der Bürokratie entkommen sind. Ich bleibe hart, vor fünfzehn Uhr gehts beim besten Willen nicht. Aber das kann Ebe-san nicht spontan entscheiden, da muß sie mich wieder anrufen. Nichteinmal diese hinterhältige Drohung kann mich umstimmen, ich kann jetzt bis zum Sanktnimmerleinstag warten, genaugenommen brauch ich den ganzen Krempel gar nicht mehr, und wenn Naigai das Zeug unbedingt loswerden will, bittesehr, aber selbst am Sanktnimmerleinstag werde ich bis fünfzehn Uhr keinen Finger rühren, großes Indianerehrenwort von mir an mich zur Rettung des letzten Restes Selbstachtung.

Die Klärung der Frage, ob man sich von einem gaijin einen Liefertermin vorschreiben lassen kann, beansprucht nur zwei Tage, was mich zu der Annahme verleitet, daß eine Sonderkommission in Permanenz getagt haben muß. "Also bitte, Herr Kunorru, weil es anders nicht möglich ist, am Sanktnimmerleinstag von 15 bis 19 Uhr bitte warten sie auf die Anlieferung." Ich atme hörbar aus, aber, "Entschuldigung, da ist noch ein kleines Problem." - "Ja?" - "Die Rechnung. Sie müssen zuerst die Rechnung bezahlen." Anscheinend habe ich recht hörbar wieder eingeatmet, denn Ebe-san erklärt mir, daß das in Japan leider üblich ist, und da kann man gar nichts machen. Ich versteh's eh, denk ich mir, wenn ihr den anderen Leuten auch so auf die Eier geht, besteht eine gute Chance, daß jeder zweite die Rechnung überhaupt nicht bezahlt, und ich überschlage, wann ich bei einem vergleichbaren Theater einer österreichischen Firma frühestens eine erste Rate zukommen ließe, nicht unter drei Monaten zu machen, und die letzte sowieso erst beim zweiten Brief des Inkassobüros, Weihnachten vermutlich. "Ich verstehe nicht", sag ich. - "Ganz einfach, Sie müssen zuerst bezahlen." - "Ich bezahle nicht.", sag ich, und nach einer langen Kunstpause: "Die Universität bezahlt das." Aber Frau Naigai ist das egal, sie rückt das Zeug keinesfalls raus, solang sie kein Geld gesehen hat. Hätt ich mir auch gleich denken können, daß mein Hinweis auf die Uni statt eine Beruhigung zu sein eher den Tatbestand der gefährlichen Drohung erfüllt. Wie lang hab ich noch auf das kleinste Papierl gewartet, wie viele Zusagen sind unerfüllt geblieben, verwässert, verwartet, zu Tode kommissioniert worden? "Nagut, bitte schicken Sie ihre Rechnung." Nächsten Nachmittag liegt sie in meinem Uni-Postfach. Ich öffne das Kuvert und erstarre, schon wieder ein Irrtum, die Überseefracht hab ich schon in Salzburg bezahlt, am Tag meiner Abreise, vor ewigen Zeiten. Ich rufe an. Nein, kein Irrtum, in Japan ist alles etwas teurer. Ich weigere mich, zu verstehen: Von Salzburg nach Kobe sind geschätzt 14.000 km, von Kobe bis Takamatsu sind wieviel? Frau Ebe weiß es so wenig, wie sie meine Anspielung begreift. "Wa-rum möchten Sie das wissen?" - "Weil ich nicht glauben kann, daß, nun sagen wir, 120 km, oder 200 meinetwegen, mehr kosten können als 14.000. Oder bringen Sie meine Sachen mit dem Helikopter?" Aber jetzt versteht Frau Ebe gar nichts mehr und eigentlich hat Sie ja recht: Nachdem ich die Kosten von der Uni erstattet bekomme, kann es mir völlig wurscht sein, welche Berge von Geld die Japaner von einer Tasche in die andere schaufeln. Nur daß mir dieser Berg einige Zeit abgehen wird, ein dreiviertel Jahr, schätze ich spontan.
Auf magischen Kanälen muß Herr Nakamura ebenfalls mitgekriegt haben, daß es jetzt bald soweit ist. Vielleicht auch weiß man das als Japaner einfach, so wie wir wissen, wie lang eine Schwangerschaft dauert üblicherweise, oder wieviel Zeit vergeht vom Blitzen des Radargeräts bis zum Rückscheinbrief, der uns um einen Tausender ärmer machen wird. Wie auch immer, der Chef wird bei mir vorstellig, ob er mir bitte die Rechnung erklären darf für shomu, die Abteilung für allgemeine Angelegenheiten? Ich zeig ihm den jüngsten Schrieb, er schüttelt den Kopf, ich schließ mich ihm an, "Wahnsinn, nicht wahr?" Aber der Betrag interessiert ihn überhaupt nicht, nur die Form: "Das ist keine richtige Rechnung. Außerdem braucht das Büro eine Quittung." Wiedereinmal staune ich: die bürokratischen Vorgänge müssen also abgeschlossen sein, bevor sich in der realen Welt überhaupt irgendwas bewegt hat. Aber lieber nicht fragen, besser stumm der Erklärung lauschen und hoffen, daß man daraus schlau wird. "Ich meine", sagt mein Chef, "sie brauchen eine Originalrechnung, aber besser fragen wir das Büro. Darf ich Ihr Telefon benützen?" Ich bitte ihn, sich zu setzen, hauptsächlich, damit ich nicht höflicherweise eine Ewigkeit herumstehen muß, denn wenn Nakamura-sensei mit dem Büro telefoniert, soviel weiß ich mittlerweile, ist der Nachmittag schnell um. Endloses Palaver, dann mit nachdenklicher Miene: "Es ist so, wie ich gedacht habe: Sie brauchen eine Originalrechnung mit Quittung." Es klingt wie ein Todesurteil. "Und bitte: Die Universität muß zuerst wissen, was es kostet, die Spedition darf Ihre Sachen auf keinen Fall vorher bringen." - "Hier steht, was es kostet." - "Neinein, das ist keine Originalrechnung." - "Es wird", sage ich, "vermutlich auch mit Originalrechnung genausoviel kosten wie mit dieser Pseudo-Rechnung." - "Das können Sie vielleicht nicht wissen, aber bitte glauben Sie an mich, es ist nicht so, wie Sie das denken." - "Nun gut, dann soll die shomu bei Naigai anrufen und ihnen erklären, welche Sorte Rechnung sie brauchen." - "Nicht Rechnung", entgegnet Nakamura, "die Rechnung ist nicht so wichtig, obwohl, Originalrechnung ist natürlich besser, aber das wichtigste ist die Quittung." Wie ich eine Quittung bekommen kann, bevor ich bezahlt habe, ist mir schleierhaft, darum bin ich sehr dafür, daß sich die Japaner das untereinander ausmachen. Ich wiederhole meinen Vorschlag. Nach einigem Zögern stimmt er mir zu, fragt, ob er nochmal mein Telefon - "Aber bitte sehr!" Er klingt sehr vorsichtig jetzt, verbeugt sich, sitzend, mehrfach vor Sankt Bürokratius, lächelt zögernd, wie auf Probe, legt auf, teilt mir lächelnd mit: "Das Büro wird Naigai anrufen. Aber die Rechnung" - "Originalquittung", unterbreche ich ihn, - "Ja, richtig, also die Quittung kommt zu Ihnen mit Post, und Sie bringen diese sofort zu mir, bitte, damit ich sie zu shomu bringe. Kennen sie shomu?" Ich schwöre drei heilige Eide, daß ich alles über shomu weiß, zumindest soweit man als Ausländer überhaupt etwas über das Innenleben der japanischen Bürokratie wissen kann, dann bin ich ihn los, dreh den Kopfhörer voll auf, Clapton brüllt mir ins Gehirn: Oh lord have mercy. Well, if I've done somebody wrong, lord, have mercy on me, I dont want that life in trouble, baby, help me please.

Die Originalquittungsrechnung oder Rechnungsoriginalquittung oder vielleicht das Rechnungsquittungsoriginal, wer weiß, kommt pünktlich einen Tag vor Sanktnimmerlein. Ich stürme zum Chef, aber wie jeden Mittwochnachmittag hat er auch heute Fakultätssitzung. Also auf gut Glück zur Bank. Obwohl mir nur eine halbe Stunde bleibt, weil in consumer-friendly Japan die Banken schon um drei Uhr schließen, so muß ich trotzdem Original und Fälschung vergleichen. Wirklich ist die falsche Rechnung 200¥ niedriger, heiliger Bürokratius, hilf! Und wenn auch die 20 Schilling bei dem Wahnsinnsbetrag von 124.000¥ nicht ins Gewicht fallen, wundere ich mich doch, wenn auch weniger als auf der Bank, die für die Überweisung nochmals stolze 720¥ berechnet. 200¥ sind wirklich nicht zuviel verlangt für dieses Kunstwerk, das von Stempeln und Unterschriften nur so strotzt, blau, schwarz, ein besonders schön geschnittener in rot, also vermutlich der Entscheidende, und über allem thront eine prächtige 200¥-Stempelmarke. Zu schade, daß ich dieses Kleinod nicht behalten kann, daß es aus den Tiefen der shomu in die noch unergründlicheren Archive des monbusho, des Erziehungsministeriums, weiterwandern wird, wo ihm ein langsamer Tod in Feuchtigkeit und Vergessen beschieden ist. Von der Bank zur Fax-Maschine, Zahlungsbeleg, oder was ich dafür halte, eingefüttert, nach dem dritten Fehlversuch zähneknirschend ins Nebenzimmer, händeringend einen lächelnden Beamten abgeschleppt, "Urgent, please help me!" Er grinst wie Buddha persönlich, "Taihen des, ne?", zieht dabei des letzte e in die Höhe, Länge und Breite, daß ich zurückgrinsen muß, aber er schaffts auf Anhieb. Zurück aufs Zimmer, paar Minuten warten, bevor ich Frau Ebe anrufe, mehr Clapton, aber diesmal macht er mich lachen: Now, how long... oh baby, how long, has that evening train be gone, baby how long. How long, how long, baby how long. Went to the station, didn't see no train, down into the hall, I have an aching pain, how long, hooow long, baby how long. I feel disgusted, I feel so bad, thinking bout the good times that I once have had, how long, hooow long, baby how long... Genug, ich greif zum Hörer, Wunder über Wunder, sie ist da, hat das Fax schon bekommen, von der Bank, was zumindest die absurden Gebühren erklärt, alles bestens, morgen ab drei.

Der große Tag ist gekommen. Viertel nach zwei auf dem Zimmer mach ich mich bereit für den Einsatz, da klingelt das Telefon, mein Schatz: "Es ist alles schon da!" - "Das giiiebts doch nicht!" - "Doch, doch, um halb zwölf sind sie gekommen, wir haben alles reingeschleppt." - "Was, die Fujioka und du?" - "Sicher."

Zuhause sitzen meine Frau und ihre Japanisch-Leherin, eine zarte Person von höchstens 43 Kilo, glücklich und erschöpft bei gefüllten Paprika mit Salzerdäpfeln, nihongo-sensei legt einen Holzfäller-Appetit an den Tag, Wohnung und Vorzimmer sind mit Schachteln vollgeräumt. Knapp dreihundert Kilo haben die beiden Frauen geschleppt. "Ja und die Speditionsarbeiter?" - "Ich bitt dich, zwei Pensionisten! Die haben uns so leid getan, die hätten das nie geschafft!"

Aus dem Strafgericht, das ich spontan beschließe, wird natürlich nichts, weil Frau Ebe die gesamte folgende Woche nicht erreichbar ist. Dafür stellt sich aber heraus, daß das Quittungsrechnungsoriginal nicht ganz das richtige ist, weil es einige Stunden vor Eintreffen des Geldes bei Naigai ausgestellt wurde. Ich verdrehe die Augen, hole tief Luft, aber der Chef kommt mir zuvor, shomu hat schon alles erledigt, ich muß nur noch den betreffenden Brief abfangen, aus der Reklame aussortieren und abliefern. Es kostet nichtmal was extra.
Einige Wochen später erscheint freudestrahlend Professor Nakamura in der Tür: "Das Büro bearbeitet jetzt ihren Fall!" - "Fantastisch", sag ich. Der ironische Unterton entgeht ihm. - "Ja. Vielleicht bald schon bekommen Sie Geld von der Universität." - "Bald?" - "Sicher, sicher!" - "Wakaranai, Herr Professor!" Er lacht: "Glauben Sie an mich!"

5. Rambo

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