Klaus Peter Knoll
Briefe aus der japanischen Provinz

2. Übersiedlungsgut (Erster Teil)



Waun mi dees Reisebüro need vamiddld häd...
Helmut Qualtinger: Travnicek in Moskau


D ie österreichische Spedition versäumt das Schiff in Antwerpen um einen Tag, sodaß unser Vierzigstel-Container drei Wochen später auf die Reise geht. Typisch österreichische Schlamperei, denk ich.

Die japanische Partnerfirma verständigt uns schon eine Woche vor Ankunft des Schiffes über den Landungstermin. Wie recht ich wieder hab! Dann vergehen ebenfalls drei Wochen. Eine Woche verbringe ich mit täglichen Anrufen und dem Versuch, bei Naigai-Trans jemanden ans Telefon zu bekommen, der zumindest eigo (eine vom Vokabular her rudimentäre, in der Aussprache stark japanisierte Form unseres Schulbuch-Englisch) spricht. Beim sechsten oder siebenten Mal buchstabiere ich mir aus dem japanischen Wasserfall, in den ich wiedereinmal geraten bin, weil ich unvorsichtigerweise eins meiner fünfzehn Wörter Inländisch gebraucht habe, eine Telefonnummer zusammen, ruf sofort an, perfekt, der Mann spricht gepflegtes, verständliches Ausländisch. In der folgenden Woche verhandle ich mehrfach mit ihm. Am Freitag stellt sich allerdings heraus, daß er gar nicht zu Naigai gehört, sondern zu einer anderen Firma, die zufällig Geschäftsbeziehungen mit Naigai hat. Für die Auslieferung unseres Gepäcks kann er leider gar nichts tun. Neben leisen Anzeichen beginnenden Wahnsinns, über die ich natürlich mit niemandem spreche, verstärkt sich das Gefühl von Enge und Ausweglosigkeit.

Soviel habe ich immerhin gelernt in sechs Wochen Japan, daß, wenn ich meinen hilfsbereiten Professor damit befasse, die ganze Sache nicht unter achtzehn Monaten abgewickelt wird. Noch nächstes Jahr werde ich bereuen, daß ich in meinem Antrag auf Vergütung der Reisekosten für die Germanistenkonferenz in Tokyo (die jeder aus der Abteilung problemlos erhält) auch das Lektorentreffen tags darauf erwähnt habe: Beinah täglich wird Nakamura-sensei seither bei mir vorstellig, neue Details über dieses Treffen zu erfragen: Wer hat eingeladen, was bedeutet Vortrag über konsularische Angelegenheiten, wo genau fand das Treffen statt, was wurde bei der Besichtigung des OAG-Hauses in Augenschein genommen, warum gab es zwei parallele Vorträge über Lektorentätigkeit, waren außer mir noch andere frei vermittelte Lektoren anwesend und so immer weiter ins Endlose. Wenn ich dann noch seine Kümmerungswut hinzurechne und mir vorstelle, was mir mit einem blüht, der mich nichteinmal den beim Uni-Fuhrpark ausgeliehenen Rasenmäher zwanzig Meter weit allein schieben lassen will, mich begleitet, derweil er in wildem deutsch-japanischen Kauderwelsch auf mich einredet, um mir die Feinheiten in der Bedienung eines Rasenmähers zu erklären, obwohl er selbst eine Zündkerze nicht von einem Ventilator unterscheiden kann, weiß ich, daß noch die leiseste Bemerkung über Naigai in seiner Gegenwart fatale Folgen hätte.


Mein Vis-a-vis-Nachbar, Professor für Sportphilosophie und Judoka höheren Grades erbarmt sich meiner, nimmt die Angelegenheit in die Hand. Nach zehn Minuten heftiger Konversation und eifrigen Gekritzels legt er den Hörer auf die Gabel und wendet sich mir zu: "No problem, Klaus, your stuff has arrived safely." Vielen Dank! Ein anderer Kollege muß her. Er erklärt zwei Tage später, daß ich zuerst die Transportkosten bezahlen muß, wenn ich an mein Zeug kommen will. Ich bin etwas überrascht, kopiere Rechnung und Zahlungsbeleg. Gemeinsam gelingt es uns nach einigen Anläufen, das Blatt an Naigai zu faxen. Zwei Tage vergehen, der Irrtum klärt sich gleich nach dem dritten Telefonat auf, es ging nur um die Rechnung für den innerjapanischen Transport. Judo-sensei springt wieder ein, überreicht mir strahlend einen Zettel: "Klaus, this is Mister or Missis Hoshihara, he or she will solve your problem, speaks English very well! Please call Hoshihara-san tomorrow around ten o'clock, will you?" Natürlich will ich. Hoshihara-san ist Mrs. oder Ms., und die will zuerst meinen Reisepaß. Eine Kopie? Wie naiv von mir, natürlich den Paß selbst. Ich fliege zum Postamt, Einschreiben bitte. Längeres Rätselraten, Recommended sag ich mehrmals, bis mir das richtige Wort einfällt: Registered. Aber niemand versteht mich. Ich winke aufgeregt mit meinem Reisepaß in der Gegend herum, "Sowas schickt man doch eingeschrieben!" - "Ahso, kakitome?" Ich nicke heftig wenn auch nicht überzeugt. Alles o.k.

Zwei Tage später ein Anruf, eine Frau Edo, in passablem Deutsch: leider braucht Naigai noch meine Unterschrift auf einem Formular, damit man es dem Immigration office vorlegen kann. Erst mit diesem Formular und dem Stempel der Einwanderungsbehörde kann man zur Zollstellung schreiten. Ob sie das Formular faxen kann, am besten gleich? "Natürlich!" Ich warte eine halbe Stunde neben der Maschine im building number five, wo alle Faxe eingehen, nichts. Um halb fünf hab ich Edo-san wieder am Apparat, es tut ihr leid, man muß bis morgen warten, bis man die Einwanderungsbehörde wieder anrufen kann und fragen, welches Formular genau benötigt wird. Leises Zähneknirschen meinerseits, von der Telefonleitung vermutlich nicht übertragen. Ich bitte noch, mit einem kleinen Bleistiftkreuz zu markieren, wo ich unterschreiben muß. Natürlich! Nächster Tag, zehn Uhr: Das Formular ist da, alles japanisch, nix markiert. Ich laufe zu meinem Nachbarn, Tomozoe, dem Judo-Riesen, der eineinhalb Jahre in Amerika verbracht hat. Mr.-please-call-me-Tomo studiert das Blatt eingehend, erklärt, daß er es nicht versteht, es muß sich um einen Irrtum handeln. "Wait a moment, I will call Edo-san right now." Aber die ist außer Haus, erst morgen wieder erreichbar. Nur noch der Gedanke daran, daß ich bereits zehn Wochen ohne das ganze Zeug überlebt habe, verhindert einen Amok-Lauf. Ich murmle ein paar ausgesuchte altjiddische Flüche, Tomo, in völliger Verkennung meiner inneren Zustände grinst: "Problem will be resolved tomorrow, I think." Was ich denke, sag ich lieber nicht.


Nächster Tag. Als ich um vier aus dem Unterricht komme, finde ich einen Zettel an meiner Tür: Hi Klaus, please fill out form anyway. Greetings Tomo. Ich studiere das Blatt, ein hoffnungsloser Fall: Außer den Feldern für Name, Datum und hanko (der persönliche Stempel, ohne den man in Japan für Ämter und Banken nicht existent ist) werde ich aus der Sache nicht schlau. Tomo, hilfsbereit wie immer, grinst mich nächsten Tag an: "Here you have to write why you didn't show packing list to immigration office." Ich grinse blöd zurück. Warum hab ich die Spedition des japanischen Generalkonsuls gewählt, damals im vorigen Leben, in Salzburg? Hab ich gedacht, bei Welz mit seinen japanischen Partnerfirmen würde irgend etwas leichter gehen? Sie würden mich auf gewisse Tücken der japanischen Bürokratie aufmerksam machen? Oder irgendwas für mich erledigen? Schon möglich, daß ich etwas naiv war, aber ich schwöre, ich habe nie geglaubt, die Beamten irgendeines Landes wären für die Leute da statt umgekehrt. Jede Blödigkeit hat eine Grenze, auch die meine. Und außerdem bin ich Österreicher. Also den Drachen füttern, why didn't I show? "Because nobody told me to!" - "Sorry, Klaus, no good, I can not write that. I will write instead: Please, sorry, I forgot. Okay?" Wenn es den Drachenhunger stillt, solls mir auch recht sein. Tomo pinselt eine Fünfzeilenerklärung in das Formular, keine Ahnung, was er da schreibt, ich kann nur mein Autogramm daruntersetzen und hoffen, daß er die Herren Beamten nicht als Blutsauger, Hurensöhne und Nervtöter bezeichnet hat, obwohl ich das wirklich unterschreiben könnte.


Die achte Woche seit Landung der Hanshin-Honkong verstreicht, ich bin mit anderem Zeug beschäftigt, erst am Freitag fällt mir plötzlich ein, daß ich fünf Tage im größten Phlegma zugebracht habe. Ich diagnostiziere an mir fortschreitende Japanisierung, und bevor der Krankheitsverlauf das unumkehrbare Stadium erreicht, stürze ich zum Telefon, "Edo-san please!" - "Eh?" - "Edo-san wa doko des-ka?" Aber wie immer, wenn ich mit meinem bißchen Japanisch glänzen will, werd ich nicht verstanden. Nach zwei Minuten elenden Herumgestotters und Im-Kreis-Verbunden-Werdens, knalle ich den Hörer entmutigt auf den Apparat. Gleich Montag früh, nehm ich mir vor, probier ichs wieder. Aber Montag um neun läutet zuhause das Telefon. Nakamura-sensei. Es gibt ein Problem mit der Gasrechnung und in zehn Minuten kommt jemand von der Gasgesellschaft und ob ich bitte gleich zu ihm kommen könnte. Das ist mir auch schon aufgefallen, daß keine Gasrechnung kommt, also mach ich mich auf die Socken. Eine Dreiviertelstunde vergeht. Wir verbringen sie mit höflichem aber etwas angestrengtem Geplauder im nun schon fast gewohnten Deupanisch und Japeutsch. Dann erscheint endlich ein Uniformierter mit dem Abzeichen der lokalen Gasgesellschaft am Ärmel. Ich begrüße ihn wie einen Befreier, werde jedoch von ihm bös im Stich gelassen Er bespricht sich ausführlich mit Herrn Nakamura, dann packt er ein Formular aus, das ich schon kenne: "Bankabbuchungsauftrag!", rufe ich begeistert, "hab ich schon unterschrieben!" Herr Nakamura setzt zu einer längeren Erklärung an, und diese Aussicht bringt mich blitzschnell zur Vernunft. Ich entwinde der Uniform den Zettel, setze mein Kritzel in das Feld für den Stempel, "Hanko!", ruft die Uniform empört. Es vergehen zehn Minuten, bis mir die Beiden glauben, daß die Bank bei Kontoeröffnung meine Unterschrift statt des hankos akzeptiert hat und auch hinkünftig nur meinen Kritzel akzeptieren wird, weil ich schon mehrfach probiert hab, das Siegel in meine Bankgeschäfte einzuschmuggeln, immer vergebens. Sie konferieren noch eine Zeitlang, mir geht langsam die Luft aus, ich muß zum Unterricht. Wie der Schüler vor der Prüfung sitz ich da, mein Blasendruck steigt, aber die Höflichkeit gebietet Verhaltung. Es wird Viertel nach zehn, zwanzig nach. Ich sitze auf Nadeln. Pünktlich um fünf vor Unterrichtsbeginn sind alle zufrieden, mehrere Verbeugungen in verschiedene Richtungen, dann im Laufschritt zum Zimmer, was wollte ich heute mit dem zweiten Jahrgang durchnehmen?


Am Nachmittag falle ich wieder Professor Nakamura in die Hände. Er ist ein Bilderbuch-Japaner, zuvorkommend, gastfreundlich bis zur Selbstaufopferung und immer besorgt um die Belange des gaijin (Ausländer, leicht abwertend). Er erklärt mir, daß er länger darüber nachgedacht hat, warum meine Sachen noch nicht hier sind. "Sie wissen doch, daß Kobe-ko, also wie sagt man, wissen Sie, Kobe, also, mh, Kobe-ko, verstehen Sie?" Nein, ich verstehe absolut nicht, aber vermutlich ist es besser, den Mund zu halten und nur zu nicken. "Schiffe..." - "Hafen", sag ich erleichtert, er nickt, ist aber im Zweifel. Er prüft das Wort, schmeckt es aus, beißt ein wenig darauf herum, "Kobe-no jaja, der Hafen in Kobe, wissen Sie, der Hafen wurde beim großen Erdbeben im Januar zerstört, und die Schiffe, Ihr Schiff auch, also Yokohama, wissen Sie Yokohama?" Erleichtert grinst er mich an. Er strahlt. Vermutlich, weil er sich so gut und genau ausgedrückt hat. "Sie müssen etwas Geduld haben." Jetzt wird sein Lächeln höchst liebenswürdig. Ich erwidere sein Glück mit einem Zitronenblick, schüttle den Kopf. Er insistiert, er hats im Fernsehen gesehen. Nach längerer Diskussion geh ich zum Schreibtisch, ziehe die bill of landing heraus und halte sie ihm unter die Nase. Er studiert das Papier ausführlich, läßt seinen Kopf mehrmals in alle Richtungen wackeln, streicht das Dokument glatt, faltet es vorsichtig, gibt es zurück: "Nunja, vielleicht. Wakaranai. Wissen Sie wakaranai?" Jetzt ist es an mir zu strahlen: "Ja, kenn ich, bedeutet: Man weiß nicht genau."- "Ja genau, man kann nicht wissen." Wir grinsen beide wie die Schneekönige, weil wir einander so gut verstehen, über die Sprach- und Kulturgrenzen hinweg. Wenn Nakamuras Hintergedanken nur halb so finster sind wie meine, dann gnade mir Gott! Sowie er zur Tür hinaus ist, stürze ich zum Telefon. Aber Ebe-san scheint heute wieder nicht da zu sein, denn wieder werde ich durch sieben Abteilungen verbunden, ärgere mich, daß niemand zu begreifen scheint, daß, wenn einer nicht Japanisch versteht, mehr Japanisch auch nicht hilft. Als ich das dritte Mal bei der Telefonistin lande, deren Stimme ich mittlerweile auch im Schlaf erkennen würde, gebe ich auf. Ich möchte das gern als Fortschritt verbuchen, bin so hungrig auf Fortschritte, ich würde mich mit dem kleinsten zufrieden geben. Aber was hilft es mir, alle Angestellten von Naigai an ihren Stimmen zu erkennen, wenn kein einziger irgendeine Sorte Ausländisch zurückreden kann, Ein ungeheurer Verdacht keimt in mir: Ebe-san wurde vielleicht nur für eine Woche eingestellt, damit überhaupt irgendjemand mit dem komischen gaijin reden kann. Später, viel später, wenn ich zum ersten Mal die Rechnung sehe, werde ich diesen Gedanken wieder haben.

3. Sakura


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