Der Brennende Busch


Georg Klein
Heil Mamma Müller






Damals - als ich noch jung und prachtvoll doof und rundum knackig stramm gewesen bin, als die Berliner Mauer schon reichlich schäbig, aber wie ewig steif um uns und unsereins herumgestanden ist, damals in unserer Echtzeit, wurde ich Mamma Müllers Lover. Der erste tiefgründig echte Lover unserer Mamma Müller. Unseres Mamma Müllers erster naturgemäßer Stecher und Begatter. Bis dato war ich nur sein Jüngelchen gewesen, sein Lutsch- und Tätschelboy - aber dann hat sich Mamma Müller radikal auf Weibchen operieren lassen.

Aus seinem schmuddeligen Ostberlin flog er dazu nach San Francisco in die beste spezielle Klinik. Uns Mamma Müller konnte das als Extrafrüchtchen seiner Sauerkirschenrepublik; Uns Mamma Müller hatte einen echten Paß und echtes Geld. Schnipp-Schnapp in San Fransisco, auf Amerikanisch aufgeschlitzt, auf Amerikanisch kunstvoll umgenäht. Synthetische Hormönchen in so hohen Dosen, daß Leber und Nieren stöhnen, und zwischen Haut und Rippen zwei Pölsterchen aus Silikon. Zwei Tittchen so mittelschwer und mitteldick, daß sie sich zeigen, aber auch verbergen lassen. Dann heim in sein Kleindeutschland, und nach sechs Wochen Müttergenesungsfrist im Reetdachhaus von einem Künstlerfreund am Ostseestrand kam ich zum Stich.

Uns Mamma Müller war damals schon ein arg bekannter Dichter. Jetzt ist er tot und toll berühmt. Uns Mamma Müller war am Ende unendlich oft im Fernsehen. Für unser großes buntes Glasauge hat er bis ganz zuletzt auf Männchen machen müssen: mit Raucherräuspern, mit braungefülltem Whiskeyglas, mit Sprüchen wie aus einem Kerl. Wo er doch längst uns aller Mutti war. Das kleine, ziemlich dick gewordene Muttchen. Mamma mit ganz viel Herz.

Uns Mamma Müller wollte immer, daß ich auf ihm die Stiefel anbehalte. Er hat mir nach und nach ein Dutzend Paar verehrt: Original Knobelbecher der verflossenen Wehrmacht, russische Panzerfahrerstiefel, pelzgefüttert, und von den Amis klimatisiertes Fallschirmjägerschuhwerk für den Golf, ganz leicht, todschick, mit dicker roter Sohle. Zuletzt war ich Uns Mamma Müller dann zu alt. Einer von seinen Domestiken, sein Dramaturg, hat ihm die Babyglatzen mit dem Mercedes rangekarrt, aus der Provinz, aus Branden- und Oranienburg, aus Bautzen und Karl-Marx-Stadt. Das mit dem Krebs war Künstlerpech. Das linke Tittenpolster hatte die ganzen Jahre über, wahrscheinlich schon seit San Francisco, ein winziges Sickerlöchchen. Das Silikon hat ihn gekillt auf Raten. Als unsere Gesundschneider das endlich merkten, haben sie Mamma Müller die lecke Brust, den bösen seiner Busen MADE IN USA, wieder herausgefummelt. Zu einem Neuaufbau der linken Titte kam's nicht mehr. Uns Mamma Müller zeigte einen letzten starken Funken Mutterwitz, erschien noch einmal obenohne auf unserer großen Bunker-Party. Dritter Advent. Wir waren schwer gerührt. In seiner breiten, jodverschmierten Narbe steckten noch die Fäden. Wir hoben wie ein Mann die Faust und priesen ihn mit dreimal Heil: HEIL MAMMA MÜLLER!





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