Der
Brennende
Busch


Cindi Dale

Stocksauer


Im Auto neben mir, hier in Flora/Mississippi im sauheissen August, ist eine Frau, die ihr Baby schlägt. Die Kleine versucht, sich in der Tür zu vergraben, um den Schlägen auszuweichen. Ich will aussteigen, so lange die Ampel noch rot ist und die Frau schlagen, wie sie schlägt - fest, auf gerade die Haut, die sie noch irgendwie erwischen kann. Ich will, daß sie flennt, so wie die Kleine flennt, daß ihr der Rotz die Lippen runter läuft, ihr so einen kleinen Knoten auf dem Kopf verpassen, wie ihr Kind einen haben wird. Nein, einen großen Knoten.

Die Ampel wird grün und ich warte einen Moment während ein schwitzender alter Mann hinter mir hupt, und dann schlängele ich mich hinter der Frau ein, schneide einem Möbellaster den Weg ab. Der Möbellasterfahrer drückt auf die Hupe und ich zeig ihm den Finger, woraufhin er noch näher an meine Stoßstange ranfährt. Das Lenkrad ist heiß. Ich lenke mit den Fingerspitzen. Ich muß was unternehmen.

Ich schreibe das Nummernschild ihres rostenden Marquis auf. X364G76. Ich werde die Wohlfahrt anrufen und denen sagen, daß sie eine Kindesmißhandlerin ist.

Der Sozialarbeiter wird bestimmt denken, "verhauen" ist nicht so schlimm. Vielleicht weiß das Kind, wie man "Ich bin die Treppe runtergefallen" sagt. Das Auto ist bestimmt sowieso nicht auf die verschwitzte bleiche Frau zugelassen, also folge ich ihr.

Ich werde warten, bis ich bei ihrem Haus bin, dann zerre ich sie raus und schlag sie zu Klump. Ich werde ihr sagen: "Merkst du jetzt, wie sich das anfühlt, du fette Kuh," oder vielleicht knalle ich auch nur eine, schaue auf ihre Tochter, dann auf sie. Sie wird schon wissen, warum.

Das wäre allerdings nichts, was ihre Tochter sehen sollte. Und vielleicht hat sie auch einen Sohn, der mich von ihr runter zieht und mir das Hirn rausknallt.

Vielleicht werde ich auch nur ihr Haus beobachten, und wenn das kleine blauäugige Mädchen ins Bett geht und ich weiß, daß sonst keiner da ist, dann breche ich ein und. Mache. Was. Aber das Baby hat vielleicht gar keine Schlafenszeit. Sie hockt wahrscheinlich draussen im Dreck und macht sich die ganze Nacht die Hosen voll während das Miststück Crack raucht und Kerle für fünf Dollars fickt. Sie fährt zum Jr. Food Mart rein.

Ich biege nach ihr ab und parke neben ihrem Wagen. Das Baby ist mürrisch: still, wie erwartet, unbeweglich, wie verlangt. Ihre Mutter läßt sie ihm Auto, und ich schaue zu, wie sie weggeht, in so einem lächerlichen gelben Overall. Ich schaue zu dem kleinen Mädchen rüber; sie guckt mich mit ihren beiden Mittelfingern im Mund an.

Ich steige aus und stehe neben meinem Auto, mein Blick immer noch auf sie gerichtet. Ihre Wimpern sind verklebt. Ihre Mutter ist hinten im Laden. Meine Tür ist noch offen; ihre ist unverschlossen. Ich reiße ihre Tür auf, greife sie und stoße sie in mein Auto. In dem Moment, in dem ich meine Türe schließe, fängt sie an zu schreien, aber ich drehe und fahr zur Straße raus während ich nach ihrer Mutter schaue, die zum Laden heraus kommt.

Ich habe ein schreiendes Baby im Auto und weiß nicht, was ich machen soll, aber ich biege in die Straße ein, während die Mutter mit zwei Eistüten die Tür rauskommt und ihr die Lippen wegsacken. Das Baby schreit dieses laute, schafhafte "Maaaa", und ich versuche, ihr die Nase mit einer McDonalds-Serviette abzuwischen, zu lenken, mich an den schnellsten Weg nach Hause zu erinnern.

Ich sage ihr, daß alles gut wird, daß ihre Mutter sie nicht mehr schlagen wird, daß ich jetzt auf sie aufpassen werde, aber sie ist noch zu klein, um mich zu verstehen. Sie hat Windeln an, und die sind voller Scheiße. Der Geruch wird stärker, während sie tritt und sich windet und die Windel aufgeht, ganz braun auf meinen roten Sitzen.

Ein weißes Auto im Rückspiegel. Könnte ein Bulle sein - hat diese beiden silbernen Spiegel - also beschleunige ich ein bißchen, damit sie mein Nummernschild nicht lesen können. Sie hatte aber bestimmt keine Zeit, sich meine Nummer zu merken, also versuche ich mich zu beruhigen und langsam zu atmen, versuche, das Baby zu ignorieren, das tritt und mir das Auto verstinkt.

Ein verdammter Zug. Typisch Flora - immer ein Zug, wenn Du's eilig hast. Die Schienen sind nahe bei, und ich kann einen Blick erhaschen, ob genug Zeit ist. Die Sonne glitzert auf der Lok, die sich schnell nähert, aber ich könnte es noch schaffen.

Ich glaube, ich hab's versiebt. Der Zug ist näher, als ich dachte. Die Pfeife ist laut genug, um das Geschrei des Babys zu übertönen. Ich haue auf die Bremsen, das Auto rutscht über den Kiesel, darum trete ich drauf und schaff's gerade noch so. Der Zug hat meine Stoßstange knapp verpaßt, hupt noch, und ich atme wieder aus. Mein rechter Fuß zittert und ich kann die Geschwindigkeit nicht halten, er versucht vom Gaspedal zu springen, aber ich bin fast daheim.

Ich bremse ab, als ich in meine Straße abbiege; die Nachbarn halten immer nach einander Ausschau. Heute ist keiner draußen. Gerade rechtzeitig drücke ich noch auf den Garagentür-Öffner, so daß ich glatt reinfahren kann. Ich mache die Wagentür auf, strecke meinen Fuß raus und greife nach dem Baby. Meine Tür schlägt zurück, und verdammt! ich glaube, ich habe mir das Bein gebrochen. Meine Zähne gehen nicht mehr auseinander und der Schmerz schießt mir hoch in den Magen. Ich bin mir sicher, ich hab's gebrochen.

Sie steht jetzt auf, springt herum, und ich versuche, sie wieder zu packen. Sie spring hoch, und meine Hand taucht hinten tief in ihre Windel. Verdammt! Drauf geschissen, es ist sowieso überall, also reiß ich sie an mich und gehe zum Haus. Sie krallt sich in meine Arme, kreischt mindestens ein hohes C; ich brauche jetzt Ohrstöpsel, und mein Bein schreit noch lauter. Als ich sie runterlasse, um die Tür aufzuschließen, versucht sie, weg zu krabbeln. Meine Hand rutscht von ihrem öligen Arm ab und dann fällt sie und schreit noch lauter. Jetzt höre ich gar nichts mehr.

Nur ein Kratzer am Knie. Ich greife sie hinten an ihrem rosa Kleidchen, öffne die Tür mit den gottverdammten vollgeschissenen Schlüsseln, nehme sie auf den Arm, gehe rein und mache die Tür zu.

Es ist kalt und dunkel drinnen, daher beruhigt sie sich ein bißchen. Ihre Augen fixieren die Standuhr, das goldene Pendel, daß gemütlich in seinem Glaskasten vor und zurück schwingt. Sie will auch so geschaukelt werden.

Aber wir riechen beide, also gehe ich direkt zur Dusche und steige rein, immer noch mit ihr auf dem Arm, aber jetzt will sie wieder zappeln. Ich mache die Dusche an, setze mich in die Wanne, lehne mich zurück und merke dann, daß ich den Vorhang nicht zugezogen habe. Der Boden wird patschnaß und ich kann noch nicht aufstehen. Noch ein drauf geschissen und ich reiße ihr die Windel und das Kleid runter und schmeiß sie in die Toilette.

Sie mag die Dusche und will aufstehen, also lasse ich sie. Sie scheint ganz gute Balance zu haben, also wasche ich meine Kleider aus, ziehe sie aus und werfe sie in den See auf dem Boden. Ich reibe uns beide mit Shampoo und Seife ein, wasche uns ab, steige raus. Sie steht da mit ihren zufälligen blauen Flecken, ihre Hände ausgesteckt um das Wasser aufzufangen, ein einzahniges Lächeln.

Ich schaue auf meine Arme. Tiefe Kratzer führen rauf und runter und längs, zerfranste Haut an den Enden, dazwischen Gräben aus fleischigem Rot. Im Spiegel sehe ich drei auf meiner rechten Wange und schaue wieder nach ihr. Sie guckt mich an, kichert, und sagt: "Mama. Auf Wiedersehen." Ich stelle die Dusche ab, packe meinen Bademantel und zerre sie aus der Wanne. Ich wickele ein Handtuch um sie, vorsichtig, um ihre Klauen in Schach zu halten, schnappe die Schlüssel und eile zur Tür raus, während ich versuche, den Bademantel zuzuhalten.

Ich springe über die Schienen auf dem Weg zurück zum Jr. Food Mart, ohne auch nur nach einem Zug zu schauen. Als ich auf den Parkplatz abbiege, läßt ihre Mutter eine der matschigen Eistüten fallen, zeigt auf mich und schreit, läßt die andere Tüte fallen, und stürmt auf mich los. Ich verriegele die Tür und sie hämmert ans Fenster, verschmiert alles mit Eis. Sie hat Rotze im Gesicht und auf ihrem grünen Kragen.

Einer der Polizisten schleppt sie weg und ein anderer richtet seine Pistole auf mich, schaut mich an, wie ich im Auto sitze, dann meine Hände, dann das Mädchen. Er bedeutet mir, die Tür aufzumachen, also mache ich das, und er wirft mich auf den Boden und haut mir Handschellen um die Gelenke.

Vorne ist mein Bademantel offen, und der Kies und der Teer kratzen meine Brüste, Magen und Knie. Ich liege da, spüre den Kies, höre die Mutter und das Baby heulen, schaue auf ein winziges Stück Glas mit einem Spritzer geschmolzenem Eis. Der Teer brennt auf meiner Wange und irgendwas in meinem Mund schmeckt metallisch, wie Blut, aber das ist wohl bloß die Cola, die ich vorhin getrunken hatte. Die Nachtmittagssonne knallt auf mein Bein, und ich höre, wie jemand sagt: "Was hat die gemacht?"


© 1996 Der Brennende Busch ~ Alle Rechte vorbehalten ~ Übersetzung von Jürgen Fauth

 

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