Andrew Alexander
Will Heim
Meryl betrachtete Marks Spiegelbild im Glas des Hummertanks während sie darüberwischte, ihre letzte Aufgabe an diesem Abend. Marks Haut war bleich, seine Züge in der Mitte des Gesichts zusammengepreßt. Er hatte ein ungleiches Pony, als ob er sich die Haare selbst geschnitten hätte. Meryl fragte sich, wie alt er wohl genau war, vielleicht sechzehn. Er war die neue Aushilfe, seltsam und nervig. Er hatte die ganze Nacht über versucht, die Kellnerinnen dazu zu bringen, ihm in den Magen zu hauen um ihnen die Ergebnisse stundenlanger chinesischer Meditation vorzuführen. "Also, ich nehme mal an, die bleiben hier die ganze Nacht", sagte Mark zu Meryl, "sogar nachdem wir weg sind." Die letzten Gäste waren gegangen, sie hatten schon gesaugt, und alle Stühle außer dem einen, auf dem er saß, waren hochgestellt. Vor ihm stand ein Teller mit einem Haufen von übriggebliebenen Kroketten: Er brach eine entzwei, tippte sie in Cocktailsoße und steckte sie sich in den Mund. Er zeigte auf die Hummer. "Die Jungs bleiben hier", sagte er und lachte mit vollem Mund. "Ja, die armen Dinger", sagte Meryl. Meryl knipste das Aquariumlicht aus, dann an, dann wieder aus. Ihr gefiel es, wie die neon-pinken Steine, die am Boden lagen, erst verschwanden, wieder aufblitzten, dann wieder verschwanden. Einer der Hummer, seine Gelenke und Teile seines Körpers mit pelzigen grünen Algen überzogen, hob eine zusammengebundene Zange. "Gute Nacht", sagte sie und klopfte mit ihren Fingern ans Glas. Meryl drehte sich zur Küche, um zu schauen, ob ihr Arbeitsplatz sauber war. "Ißt du noch Fisch", fragte er, "seit du hier arbeitest?" Sie ging zum Tisch zurück. "Ich esse hier nie", sagte sie. "Einmal hatten wir eine Fledermaus in der Küche." Mark nickte. Er aß noch eine Krokette und schob ihr den Teller zu. "Willst du eine?" sagte er. "Ich hasse Verschwendung." Sie schüttelte den Kopf. Er bemerkte Ketchup auf seinem Hemd und fluchte leise. "Mach dir nix draus", sagte Meryl. "Das geht schon raus." Sie tippte eine Serviette in ein Glas Wasser und gab sie ihm. Er wischte über sein neues "Red Lobster"-Hemd; der Fleck wurde rosa und verblaßte. "Danke." Er stand auf. "Wie kommst du denn heim?" fragte er, sich Krümel von der Hose wischend. "Ich rufe meine Mutter an, die kommt mich dann abholen", sagte sie. "Hey, scheiße, ich kann dich doch heimfahren", sagte er. "Das ist schon okay." "Komm schon." "Mittwochs nehmen wir Shannon auch noch mit." "Mist, ich kann euch doch beide heimfahren. Wieso solltet ihr denn hier rumsitzen und warten?" sagte er. "Ich wohne draußen in Dabbs. Shannon wohnt in der einundzwanzigsten Straße," sagte sie. "Na und?" sagte er. "Kein Problem. Ich wohne in der Jett Street." Meryl seufzte. Aus der Küche kamen Geräusche, das Dampfbrummen der Spülmaschine, Lachen, das Klappern von Tellern und Besteck. Sie schaute auf ihre Uhr. Sie mochte ihn nicht, aber es wäre ganz nett, zur Abwechslung mal etwas früher heimzukommen. "Also gut", sagte sie. "Ich frag' Shannon." Marks Auto war alt und breit: Das Heckfenster fehlte und statt dessen war eine zerkratze Plastikfolie eingeklebt. Als Mark die Tür öffnete, ging ein kränkliches gelbes Licht an; Meryl bemerkte Löcher in den Sitzen, wo die Füllung in Würsten heraushing, wie gelbes, baumwollenes Haar. Sie kletterte hinten rein: Der Boden unter ihren Füßen war klebrig mit irgend etwas Braunem, Sirupartigen. Streifen von zerrissenem Himmel hingen herunter und bebten zittrig als Shannon die Tür zuschlug, wie Blätter im Wind. Als sie auf die Straße rausfuhren, machte Shannon das Radio an, fand nichts als Rauschen, machte es wieder aus. "Die Karre ist Mist", sagte sie. Shannon war ein Jahrgang höher als Meryl; sie wollte sich bald einen Gebrauchtwagen kaufen und hatte auch schon ein Appartement ausgesucht, wo sie nach dem Abschluß einziehen würde. Sie mochte Bands mit Namen, die Meryl noch nie gehört hatte. "Willst du lieber laufen?" sagte Mark. Shannon sah Meryl an, mit großen Augen, ihr Mund ein "O" aus gespielter Überraschung; sie lachten beide. "Ich spare für ein Fahrrad", erklärte Mark. "Dafür arbeite ich. Ich will nach L.A. rausfahren." "Oh, L.A.", sagte Shannon. "Du bist cool." Sie fuhren ohne ein Wort, bis sie am Einkaufszentrum vorbei kamen. Mark las die Filmtitel von der Kinoreklame ab. "Wie wär's mit Kino?" sagte er. Shannon lachte sarkastisch. "Vielleicht ein andermal", sagte Meryl. Jedesmal, wenn sie unter einer Straßenlampe vorbeikamen, schien sich der Ausdruck auf Marks Gesicht zu ändern: Es sah kindlich aus, offen im Licht und dann grausam und schattig im Dunkel, hin und her. An der Ecke von Davis und Paran bog er in eine Einfahrt ab. "Macht's euch was aus, wenn wir bei meiner Großmutter vorbeischauen?" fragte er. "Ja", sagte Shannon. "Fahr uns verdammt nochmal heim." "Wir haben schon angehalten", sagte Meryl. Das Haus war zweistöckig, kauernd und öde. Eine dürre weiße Katze schlüpfte die Stufen zum Eingang hoch, Moskitos summten um die nackte Verandalampe. Ein paar Kiefern standen vor dem Haus: Der Hof lag voller Rindenstückchen. "Keine Angst", sagte Mark, beide Arme hoch als wäre er verhaftet. "Ihr könnt reinkommen oder hier warten." Mark stieg aus und ging vorne am Auto vorbei. Meryl konnte durch ein Fenster in einen kahlen Raum schauen, flackerndes blaues Fernsehlicht, eine alte Frau. Shannon seufzte heftig und verdrehte die Augen; sie stieg aus und ging mit Mark zur Haustür. Meryl folgte. Er klopfte einmal, und sie gingen rein. Im dunklen und verrauchten Wohnzimmer saß die alte Frau in einem Sessel. Der Fernseher war an, Abendnachrichten, aber es war so leise, daß Meryl sie kaum hören konnte. Die Frau hielt eine Zigarette, und als sie reinkamen öffnete sie ihre Augen sehr langsam, zwei winzige Schlitze, und atmete eine langsame Rauchwolke aus, die zu schweben schien, intakt, ruhig und schlaff im schweren Lampenlicht. Im Licht des Fernsehers sah das Gesicht der Frau sehr faltig aus, eingeschnitten. Sie kratzte sich mit langen Nägeln die, irgendwie, genauso rot waren wie ihr Haar. "Prost, mein Junge", sagte sie zu Mark mit einer Stimme die heiser war vom Rauch von tausend Zigaretten. "Erste Woche bei der Arbeit". Er legte einen Batzen Dollarscheine und etwas Kleingeld auf den Kaffeetisch vor ihr, eine Opfergabe. "Das sind Meryl und Shannon, von der Arbeit". Die Frau nickte langsam aber antwortete nicht. Mark sagte ihnen, er sei gleich wieder da und ging aus dem Zimmer. Meryl setzte sich neben Shannon auf die Couch, unbeholfen. Sie schaute auf den Fernseher, wo ein Mann mit einem Mikrophon vor einem Haus mit Palmen und einem Brunnen stand; ohne Ton konnte sie den Nachrichten nicht so einfach folgen. Die Uhr am Videorecorder blinkte 12:00, wieder und wieder. Überall lagen Frauenmagazine rum: auf dem Kaffeetisch aufgestapelt, auf dem Boden verteilt, im Bücherregal aufgestellt. Sie wickelte sich die losen Fäden ihres Pullovers um den Finger, hörte auf und faltete ihre Hände im Schoß. "Das Restaurant", sagte die Frau, Meryl sprang fast auf, "ist das gute Arbeit?" Shannon grunzte herablassend. "Ganz gut", sagte Meryl. Ihre Stimme klang gepreßt und trocken. "Ich hab da letzten Sommer gearbeitet, und Shannon auch, und dann noch ein bißchen während der Weihnachtsferien." Die Frau nickte und hielt dann eine Hand hoch, als Zeichen zum Schweigen. Ein alter Mann wurde im Fernsehen interviewt: er sprach schnell und zeigte auf einen Baum. Dann waren Leute zu sehen, die im Dunklen Kerzen und Regenschirme hielten. "Ich war bei dem Mann, der die Jungfrau Maria im Hinterhof hat", sagte Marks Großmutter und nickte dem Fernseher zu. Dann faltete sie ihre Arme über der Brust. "Er nimmt das gleiche Eintrittsgeld, egal, ob man die Jungfrau sieht oder nicht. Ich wette, das sagen sie einem in den Nachrichten nicht." Meryl schüttelte den Kopf und schnalzte mit ihrer Zunge, als ob das eine Art von Ungerechtigkeit sei, die sie gut kenne. Sie war erleichtert, als Mark zurück ins Zimmer kam. "Meine Schwester kommt mit uns", sagte er. "Ist das in Ordnung?" Meryl und Shannon nickten. "Also gut", rief Mark ins nächste Zimmer. "Du kannst kommen." Ein kleines Mädchen schwebte ins Zimmer, zaghaft. Ihr Haar, glänzend und glatt, wurde von zwei Spangen zurückgehalten, und sie trug eine große runde Brille, die ihre Augen vergrößerte. Sie trug einen rosa Rucksack aus glänzendem Plastik. Ohne zu zwinkern, ohne ihre Augen von Meryl zu nehmen, griff das Mädchen nach Marks Hand. Die seltsame Brille machte ihr Starren intensiver. "Wie heißt du denn?" fragte Meryl fröhlich. Das Mädchen antwortete nicht: Es starrte. "Kannst du deinen Namen nicht sagen?" sagte Mark. "Sie ist heut' still", sagte die Großmutter und kratze ihren Arm, das Geräusch von Sandpapier auf Holz. "Aber wenn ihr sie laßt, dann kaut sie euch ein Ohr ab." Das Mädchen bewegte sich nicht; falls ihr die Bemerkung der Großmutter etwas ausmachte, ließ sie es sich nicht anmerken. "Bist du sicher, daß du mitkommen willst?" fragte Mark seine Schwester und tätschelte ihre Hand. Das Mädchen zuckte mit den Schultern. "Das heißt ja", sagte er. Shannon stand auf. Als sie zur Haustür rausgingen, drehte sich Meryl um und sah, wie Marks Großmutter das Geld nahm und anfing, die Scheine auf dem Kaffeetisch mit langen, gleichmäßigen Bewegungen zu glätten. Meryl und Shannon stiegen hinten ein: Marks Schwester kletterte ihnen nach und setzte sich neben Meryl. "Nennt mich einfach 'den Chauffeur'", sagte Mark und tippte sich an eine imaginäre Mütze. Das Mädchen lehnte sich zur Seite und flüsterte Meryl ins Ohr: "Die ist schön. Ich kann mich nicht entscheiden, welche von euch schöner ist." Die Straßenlampen in Marks Nachbarschaft waren weit von einander entfernt. Die Äste der Bäume berührten sich über der Straße fast: Viele Häuser hatten Gitterzäune, und im Mondlicht sahen die Einfahrten und die Rasen dahinter glatt aus, wie ruhiges Wasser. "Wollt ihr ein Eis oder so?" sagte Mark. Seine Frage schien an seine Schwester gerichtet zu sein, aber das Mädchen sagte kein Wort. "Ich möchte heim", sagte Meryl. "Heim?" "Ja", sagte Shannon, "heim." "Wollt ihr denn nichts mit mir und meiner Schwester machen?" "Vielleicht ein andermal", sagte Meryl. "Bring uns verdammt noch mal nach Hause", sagte Shannon. Mark kratzte seinen Nacken und seufzte. Er bremste ab und bog in eine Einfahrt. Das Haus sah leer aus, unbeleuchtet: Auf dem Rasen stand ein Schild: "Zu Verkaufen". "Da wären wir", sagte er. "Das ist nicht mein Haus", sagte Meryl, "bring' mich heim." "Ich möchte euch gern was zeigen", sagte er. "Das reicht jetzt", sagte Shannon. "Wir fahren jetzt heim." "Ich glaube, wo wir hinfahren liegt nicht an dir", sagte Mark und zog den Zündschlüssel ab. Er ließ ihn vor ihr baumeln und lachte, dann stieg er aus. Er ging die Einfahrt zum Haus hoch. Das Mädchen öffnete seine Tür und drehte sich zu Meryl. "Komm mit zum Haus", sagte sie, "das gefällt dir bestimmt." Sie griff nach Meryls Hand und zog daran. Meryl bewegte sich nicht. Das Mädchen rannte Mark nach, wobei ihr Rucksack auf ihrem Rücken hin-und-her sprang. Shannon seufzte. "So ein Scheißdreck", sagte sie. Sie drückte den Zigarettenanzünder ins Armaturenbrett. "Hast du Zigaretten?" sagte sie. Meryl schüttelte den Kopf. Der Motor klickte, sich beruhigend und abkühlend, und dann ging das Gebläse an. Der Zigarettenanzünder sprang raus. "Scheiße Scheiße Scheiße", sagte Shannon. "Scheiße", sagte Meryl. Shannon stieg aus und knallte ihre Tür zu. "Hoffentlich hat er das gehört", sagte sie. "Ich bring ihn um." Sie ging die Einfahrt hoch. Meryl stieg aus und folgte ihr. Als sie hochliefen hörten sie einen seltsamen, klagenden Ton: Beim Eingang stand ein Flaggenmast ohne Flagge; etwas Metallenes am Seil schlug im Wind an den Mast, die Kurbel vielleicht. Hinter dem Haus konnten sie Mark nicht finden. Eine dreckige blaue Plastikplane, die mit Kiefernnadeln und Pfützen übersät war, bedeckte einen Swimming Pool: Auf der Backstein-Veranda standen leere Töpfe, ein paar modrige Gartenstühle und ein rostiger Grill. Das ganze sah aus wie die Überreste eines Unglücks. Meryl merkte, wie ihr jemand am Ärmel zog; Marks Schwester. "Hier drüben", sagte sie und führte sie am Pool vorbei, einen grasigen Abhang hinunter, in einen struppigen kleinen Garten. Mark stand auf irgendwas drauf, das so aussah wie ein kleiner Erdhügel. Er streckte die Arme aus in einer Art Theaterpose. Als sie näherkamen konnten sie sehen, daß er auf einem Autodach stand; der Großteil des Autos war vergraben: Nur ein paar Zentimeter des Daches ragten heraus. "Da drüben sind ein paar Schaufeln und so", sagte Mark. "Zusammen könnten wir das ausgraben." Shannon und Meryl gingen ums Auto. Shannon trat dagegen. "Wieso ist das denn eingegraben?" "Weiß nicht", sagte Mark. "Das haben die bestimmt mit einer Dampfwalze gemacht. Vielleicht wegen der Versicherung oder so." "Wer wohnt denn hier?" sagte Meryl. "Im Moment niemand", sagte er. "Schon lange nicht." "Meinst du, das fährt?" "Weiß nicht", sagte er, "wahrscheinlich nicht." Shannon stieg auf das Auto, neben Mark. "Es könnte noch fahren", sagte er. "Man weiß ja nie. Vielleicht kommen wir in die Nachrichten." "Vielleicht ist ein Sack voller Gold im Kofferraum", sagte Marks Schwester. "Das kriegen wir nie da raus", sagte Meryl. "Drei Leute. Vier, wenn wir alle zusammen arbeiten. Das ist keine schwere Arbeit", sagte Mark. "Wo sind denn die Schaufeln?" fragte Shannon. Mark zeigte auf einen Schuppen in einer Ecke des Gartens. Er und Shannon gingen zusammen rüber. Marks Schwester stieg auf das Autodach. Meryl stand neben ihr. Sie tappte mit dem Fuß aufs Dach: Ein hohles Klopfen. "Du bist hübscher", flüsterte das Mädchen. Mark und Shannon kamen mit den Schaufeln zurück. "Wir haben nur drei Schaufeln. Eine kleine. Irgendjemand muß die Spitzhacke nehmen." "Ich!", sagte Marks Schwester und hob ihre Hand. Er gab ihr die Hacke. "Vorsicht damit", sagter er. Shannon nahm sich eine von den großen Schaufeln. Mark zuckte mit den Schultern und gab Meryl die kleine. "Auto, Auto!" sagte Marks Schwester, und sie fingen an zu graben. Meryl rieb ihre Augen. Sie sah auf die Uhr, aber sie konnte das Ziffernblatt nicht erkennen. Ihr Gesicht war feucht und schmutzig: Haarstränen fielen ihr ständig in die Augen, und jedesmal, wenn sie sie wegwischte, bekam sie mehr Dreck ins Gesicht. Unter ihren Fingernägeln sammelte sich die Erde. Shannon grub mit einem regelmäßigen Rhythmus. Sie schmiß ganze Haufen Erde mit der Schippe hinter sich, weit vom Auto weg. Shannon wollte keine Pause, sogar nicht einmal, als Mark und Meryl langsam müde wurden. Marks Haare waren schweißnaß; er schaufelte vorne bei der Fahrertür. Er grub in Stößen; grub mit manischer Energie, dann hörte er auf, um Atem zu holen und ein bißchen zu fluchen. Marks Schwester hieb mit der Spitzhacke auf Ameisenhügel ein, ein paar Meter vom Auto weg. Das Ausgraben hatte Meryl sich etwas anders vorgestellt. Teile des Autos, wie die Motorhaube, waren immer noch unter der Erde. Andere Teile, wie der Kofferraum und das Fenster auf der Beifahrerseite, hatten sie freigelegt. Der Kofferraum war vor einer halben Stunde zum Vorschein gekommen: Mark hatte das Schloß mit der Spitzhacke geöffnet. Es war nichts drin gewesen. Mit der kleinen Schaufel war Meryl dabei, die Heckstoßstange freizulegen. Sie konnte einen Aufkleber erkennen; es sah so aus wie ein "Ich bremse für...". Shannon stach die Schippe in die Erde, ließ sie fallen. "So ein Scheißdreck", sagte sie. "Guckt euch das an. Das kriegen wir nie raus." "Nein", sagte er, "wir haben's doch fast. Wenn wir hier auf meiner Seite noch etwas weitergraben, dann können wir die Tür aufmachen." Shannon kam rüber und schaute. "Und was haben wir davon? Das kriegen wir da nie raus. Das Auto ist in einem Scheiß-Loch." "Schon, aber es könnte ja was drin sein. Was Wertvolles", sagte er. Shannon rieb sich mit den Händen übers Gesicht und seufzte. Sie nahm die Schaufel wieder und fing an, auf Marks Seite zu graben. Meryl schaute durch den Teil des Rückfensters, der schon freigelegt war. Im Inneren des Autos war es dunkel: Man konnte nicht viel erkennen. Das Fenster war verkratzt und mit Erde verklebt, aber offensichtlich war das Auto innen versiegelt geblieben: Der Innenraum war nicht voller Erde. "Das war mal das Auto von jemandem", sagte Mark mit einem ernsten Flüstern. "Die haben die Tür hier auf und zu gemacht und sind rumgefahren". Mark stach die Schaufel in die Erde und lehnte sich dagegen. Meryl hörte auch auf zu graben, aber Shannon machte weiter. "Wißt ihr was", sagte Mark, "ich könnte euch alle drei umbringen. Ich könnte euch hier umbringen und im Auto begraben und keine würde das jemals erfahren." "Halt's Maul", sagte Shannon. "Ich könnte euch umbringen und hier im Auto begraben und würde damit davonkommen." Marks Schwester spielte weiter. "Nee. Die Leute, die das Haus kaufen, würden das Auto ausgraben und uns finden und die Polizei rufen." "Ich würde das Auto so tief vergraben, daß die euch niemals finden würden", sagte er. Das Mädchen wartete einen Moment und dachte darüber nach: Sie rieb ihre Nase fest mit beiden Händen und hörte dann genauso plötzlich wieder auf. "Meine Lehrer würden merken, daß ich nicht da bin", sagte sie stolz. "Denen würde ich sagen, daß ich nicht weiß, wo du bist", sagte Mark. "Die Polizei würde die Leichen finden", sagte das Mädchen. "Bis die dich finden wärst du so vermodert, daß die dich nie erkennen würden." "Die hätten unsere Fingerabdrücke", sagte sie. "Ich würde eure Fingerabdrücke abbrennen", sagte er. Er stürmte auf seine Schwester los und griff nach ihren Handgelenken: Ihre Arme waren so schmal, daß er sie beide in einer Hand halten konnte. Seine Schwester lachte und sagte, er solle aufhören, aufhören. Er griff nach ihrer Hand und steckte sich ihre Fingerspitzen in den Mund: Er tat so, als würde er an ihnen kauen und machte übertriebene Knabbergeräusche. Sie quietschte entzückt. Plötzlich hörte er damit auf. "Was machen wir mit Meryl?" sagte er. "Sie sieht so furchtbar mürrisch aus." "Kau ihr die Finger ab", sagte das Mädchen, atemlos vor lauter Lachen. "Wie mir." "Bring mich heim", sagte Meryl. Ihre Arme taten weh. Sie brauchte alle Kraft in ihrem Körper um zu sprechen, wie jemand, der schreit, aber ihre Stimme war ein trockenes, ungewohntes Krächzen. "Nein, die ist langweilig", sagte er. "Sei doch nicht so mürrisch, nur weil ich stark genug bin, dich umzubringen. Ich werde dir nicht weh tun. Meryl, komm schon, schlag mich. Hier, in den Bauch. Ich merk' das gar nicht. Wenn ich nicht zusammenzucke, dann mußt du mich küssen. Die Geheimnisse des Orients sind mein." Meryl trat etwas Erde in Marks Richtung: Sie hatte Tränen in den Augen. "Bring mich..." Es gab ein reißendes, splitterndes Geräusch. Shannon hatte die Autotür mit der Schaufel aufgehebelt. Sie öffnete sich halb, ging aber nicht weiter; ein Teil der Tür lag immer noch unter der Erde begraben. Alle vier schauten auf die Öffnung: Im Inneren des Autos war es zu dunkel, um irgendwas erkennen zu können. Die Tür war von der Schaufel ganz verbogen, aber die Öffnung war groß genug, daß jemand hineinschlüpfen könnte. "Das ist schon okay", sagte Mark. "Ich merk' das gar nicht." Er stieg hinunter und schlüpfte in die Öffnung. "Was gibt's denn zu sehen?" sagte Shannon nach einem Moment. "Hier ist ein Lenkrad. Der Blinker. Ist noch alles hier! Bremse, Gas." Seine Stimme klang hohl und seltsam, aber nicht weit weg. "Ist da irgendwas drin? Auf dem Rücksitz?" "Warte mal", sagte Mark. Dann war er still. "Hier ist eine Tasche", sagte er. "So eine Sporttasche." "Mach sie auf", sagte Shannon. Marks Schwester griff nach Meryls Hand. "Da ist . . . da sind Kleider drin. Ein T-Shirt oder so. Ein paar Socken. Und Turnschuhe. Hey, ein Walkman!" Shannon verdrehte ihre Augen und seufzte. "Du Arschloch", sagte sie. "Das war eine verdammte Verschwendung." Sie trat etwas Erde gegen die Tür. "Hey", sagte Mark. "Grabt mich ein." "Jetzt komm da raus", sagte Shannon, "und fahr' uns heim." "Komm schon, grabt mich ein", sagte er. "Grabt mich ein. Wenn ich morgen nicht zur Arbeit komme, dann könnt ihr mein Auto haben." "So ein Scheißdreck", sagte Shannon. "Ich warte im Auto." Sie drehte sich um und ging den Abhang hinauf. Nachdem sie gegangen war, sagte für eine Weile niemand etwas. Die Nacht war dunkel und klar: Das Geräusch von Grillen schien von überall her gleichzeitig zu kommen, und es kam Meryl so vor, als könne sie dahinter das eigentümliche Geräusch hören, das sie vorher schon gehört hatte: Das Klicken des Fahnenmastes. Sie setzte sich über dem Auto auf den Boden. "Komm da raus", flüsterte sie Mark zu. "Das ist fast wie Autofahren hier unten", sagte Mark. "Nachts Autofahren. Komm runter, dann fahr ich dich heim." Meryl saß auf dem Boden: Sie nahm ein wenig Erde auf die kleine Schaufel, hielt sie über die Autotür und ließ sie nach unten rutschen. "Warte", sagte Mark. "Laß mich die Tür zu machen." Die Tür ließ sich nicht ganz schließen, weil sie zu verbogen war, aber er konnte sie recht weit zuziehen. "Das merk' ich gar nicht, weißt du. Wirst schon sehen." Seine Stimme klang jetzt sehr gedämpft. Meryl nahm sich eine der großen Schaufeln und begann, Erde aufs Auto zu schieben. Marks Schwester half ihr dabei. Bald war es klar, daß es nicht halb so viel Arbeit sein würde, das Auto zu vergraben, wie es gewesen war, es auszugraben; es würde überhaupt nicht lange dauern. |