Der
Brennende
Busch



Softmoderne?

Manchmal ist das Medium nur das Medium


Da hat also einer gemerkt, daß sich hier was tut. Seit der Brennende Busch im Dezember 1995 online ging, ist der deutschsprachige, literarische Teil des Internets dramatisch gewachsen. Prompt gibt's in Berlin einen Kongreß zur "Softmoderne - Literatur im Netz", und wie man bei Focus nachlesen kann, wurde da vor allem gemeckert: Eine Gefahrenquelle für die Literatur seien die Neuen Medien, Netz-Literatur nicht besser als "Graffiti auf dem Klo". Sogar Textwerk-Herausgeber Andreas Matz, sonst scheinbar recht interessiert an Hypertext, Tree-Fiction und E-Mail-Romanen, läßt sich zur Behauptung hinreißen, Online sei kein Lesemedium. Und immer wieder wird gebangt, von "Germanisten, Literaturwissenschaftlern und Studenten", um die Qualität, Qualität, Qualität, die angeblich ob der neuen Möglichkeiten ganz zerfällt.

Ohne vor Hotwireds Cyber-Evangelium in die Knie zu gehen, läßt sich ohne Übertreibung sagen, daß das Internet eine Demokratisierung der Medienlandschaft darstellt - um zu veröffentlichen, reicht nun ein alter 386er mit Modem und HTML-Editor. Ob jeder, der seine Homepage ins Netz schaufelt, auch was zu sagen hat? Natürlich nicht. Außerdem stellen die neuen Möglichkeiten in der Tat eine Falle für die Technikgeilen dar: zu oft müssen Java-Skripts und Netscape-Frames als Ersatz für Inhalt und Qualität herhalten, und das Ergebnis ist immer traurig: Langweilige Seiten gibt's zuhauf, überflüssige Seiten; Seiten, die wohl nur der Autor selbst anschaut.

Na und?

Die Kongressteilnehmer scheinen zu fürchten, wir würden mit dem Papier auch unsere Urteilsfähigkeit aufgeben, als gäbe es bei Gedrucktem kein Qualitätsgefälle, als ob wir nicht schon immer zwischen Unfug und Anspruchvollem unterscheiden mußten. Ob euphorisch oder panisch, im Rausch der Technik wird offenbar oft ein einfacher Umstand übersehen: Netz-Literatur ist vor allem Literatur, und Marshall McLuhan zum Trotz ist das Medium manchmal nur das Medium, und die Message bleibt dieselbe. Geschichten erzählen jedenfalls kann man beim Bier, in Büchern, am Telefon und jetzt eben auch am Computer. Das ist gar nicht so furchtbar revolutionär, wie viele glauben.

Der Internet-Literaturpreis der ZEIT, wohlgemeint und von IBM mit einer fürstlichen Summe gesponsort, scheint sich beispielsweise nicht so sicher zu sein, ob Netz-Literatur unbedingt Hyperlinks und JPGs aufweisen muß, oder ob es reicht, daß man den Text per Email einschicken kann. Und der Umstand, daß sich eben jeder Text als Email verschicken läßt, beweist, daß jede Form von Literatur im Netz ihren Platz finden kann - Internet-Literaturpreis, oder einfach Literaturpreis?

Der Brennende Busch bietet fast ausnahmslos Literatur in traditioneller Form, Geschichten und Gedichte und Essays, an deren Qualität sich nichts ändert, nur weil sie auf einem Bildschirm erscheinen. Hypertext, Kollaboration und ähnlichen Formaten stehen wir übrigens kritisch gegenüber: Wie ich an anderer Stelle beschrieben habe, sind diese Experimente von grundlegenden Problemen geplagt - falls uns aber doch eines Tages eine atemberaubende Hypertext- Geschichte erreichen sollte, dann werden wir sie sicherlich veröffentlichen.

Wozu dann überhaupt ein "Magazin", wenn jede Autorin ihre Texte doch selbst im Netz veröffentlichen kann? Weil ein Magazin den Autoren und den Lesern ein verläßliches Forum bietet: Autoren wissen, daß ihre Texte ein interessiertes Publikum erreichen, und die Leser lernen das Magazin schnell einzuschätzen, die Werte, Ideen und eben Qualitätsmaßstäbe, für die es steht. Ganz wie draußen in der Welt - ich würde jedenfalls eher den Freibeuter lesen als ein Flugblatt, das mir jemand in der Fußgängerzone zusteckt: "Hier, ein paar Gedichte von mir."

So viel sei den Kritikern zugestanden: die Entwicklung des Netzes wird von Technikern vorangetrieben, nicht von Literaten. Neue Netscape-Betaversionen erscheinen schneller, als wir sie herunterladen und installieren können. Form regiert im Netz, nicht Inhalt. Zu viele Anbieter stürzen in die Techno-Falle, spielen mit Java und allerlei Firlefanz, ohne daß das irgendwas am Inhalt ändert, nur unsere Wartezeiten werden länger und länger.

Wer aber würde die Schuld daran den eifrigen Programmierern anlasten? Daß die Möglichkeiten nicht mit genügend Verstand genutzt werden, ist kein Argument gegen das Medium. Offensichtlich sind es doch die Literaten, die im Verzug sind: In Amerika haben sich genug Bücherwürmer an die Tastatur gewagt, um eine vielfältiges und reiches Angebot an Magazinen zu schaffen, das für jeden Geschmack und Qualitätsanspruch etwas bietet, vom feinen Morpo Review über die eigensinnige Enterzone bis hin zu InterText, der Großmutter aller Webzines.

Statt das neue Medium in Bausch und Bogen zu verteufeln sollten wir uns, wie immer, vorsichtig vorantasten und einen klaren Kopf bewahren. Qualtität wäre nicht Qualität, wenn sie sich nicht bewährte. Literaturwissenschaftler können ganz beruhigt sein: wenn die Gemüter sich abkühlen und der Staub sich legt, dann werden wir feststellen, daß sich gar nicht so viel geändert hat. Die Regeln und Maßstäbe, die jetzt erst langsam im Cyberspace Form annehmen, werden sich weniger von den heutigen unterscheiden, als manch einer zu fürchten scheint. Dafür werden wir, wenn wir bedacht zur Arbeit gehen, zwischen all den eitlen, einfältigen Seiten auch reichlich Prachtstücke finden können im Netz, die gedruckter Literatur um nichts nachstehen.

Und wer könnte sich darüber ärgern? Vielleicht jener Germanist von der Uni Hildesheim, der beim "Softmoderne"-Kongreß fragte: "Was hat man schon auszutauschen mit Leuten, die man nicht kennt?"

Wer darauf keine Antwort weiß, der braucht eigentlich gar nicht zu lesen.

Mit besten Grüßen,
Jürgen Fauth



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