No 27

 

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(og)

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Es ist überlegenswert, ob man nur noch Bücher von Menschen lesen sollte, die man kennt oder gar mag. Bücher gibt es genug, Menschen die man mag: Fast immer zu wenige. Und nichts selten stammen die Bücher, die man mag von den dazu passenden Menschen.

So wie man auf den Besuch von Freunden wartet, muss man auch auf manche Bücher warten. Zum Beispiel auf diese drei hier.

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„Das Geschlechtsleben der Emigranten“ ist das Thema von Jaromir Konecny, den eifrigere und langjährige Wandler-Leserinnen (die Leser sind Jaromir egal) als Autor und als Rezensenten kennen. Auf das Buch mit Kurzgeschichten mussten wir etwas länger warten, da Jaromir mit einem Siegeszug als Poetry-Slam-Sieger durch Deutschland tourte. gewartet haben ich, weil ich endlich lesen wollte, was der ‚Minchner (sic) Exiltscheche’ so über seine neue Heimat zu sagen hat. Denn was er in der ‚Mährischen Rhapsodie’ damals über Tschechien zu berichten wusste, das machte schon neugierig. Ein Roman isses diesmal nicht geworden, dennoch: Die Kurzgeschichtensammlung ist in zwei Rahmenkurzgeschichten eingefasst, deren Protagonistin sicher nicht ganz zufällig Milena heißt.
Und was gibt es da alles? Naja, jede Menge Geschlechtsleben in gewohnter Konecny-Manier: Deftig und skatologisch, aber diesseits des Pornographischen: Der Geschlechtsakt mit Milena auf dem wankenden und rostigen Förderturm über Ostrava wird zur Liebeserklärung weniger an Milena denn an die eher hässliche Stadt. Wenn sexuelle Phantasien in der Lotto-Geschichte dazu herhalten müssen um selbst der göttlichen Vorsehung einen Streich zu spielen, dann ahnt man, dass der nackte Frauentorso, der in Quietschrosa und 60er-Jahre-Ästhetik das Umschlagsbild ziert weniger der Anlockung der Käufer dient sondern ein optisches Argument in Konecnys Spiel mit Sozialismus, Kapitalismus und dem Animalischen (Alkohol und Sex) ist. Einmal darf man raten, wer gewinnt.

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Um Männer und Frauen und wie sie zueinander finden (gibt es in guter Literatur andere Themen? Schon! s.u.) geht es auch in Hermann Kinders „Himmelhohes Krähengeschrei“. In der Verkleidung einer fragmentarischen Pilgerwanderung (Hermann, grüß mir Geoffrey!) auf dem Schwabenweg in Richtung Santiago de Compostela bekommen wir so einiges nahegelegt. Wie in den frühen Romanen wird Hermann Kinder die Landschaft wieder Thema. Aber anders. Man hat den Eindruck über die Felder und Wiesen, Orte und Wege würde eine zweite Landkarte gelegt. aus historischen Fundstücken über Grausamkeiten und Morde, aus journalistischen Fragmenten von Seltsamkeiten und Abnormitäten, aus subjektivem Erleben und wildem Imaginieren der Figuren. Überhaupt die Figuren. Zunächst nicht Mann oder Frau kristallisieren sich in den Teilen 2 und 3 plötzlich Geschlechterrollen aus der am Anfang unbestimmbaren Figur. Was noch? Also auch Wandermuffel wie ich fährt bei diesem Buch der Wunsch in die Glieder, die Wege des Buches abzulaufen und zu sehen, ob sich auch einem selbst solch wunderbare Bildwelten im Kopf erschließen, wie dem Hermann Kinder. Aber da man weiß, dass nur er es so fertig bringt... bleibt man besser daheim und liest und sagt sich: Auch hier hat sich das Warten auf den neuen ‚Kinder’ gelohnt. (Und das Büchlein ist auch nicht ein Wort zu lang oder zu kurz.)

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Es gibt ja, sagt man, kaum Schöneres als anderen beim Arbeiten zuzusehen. Und wenn man sich dann zudem dazu aufgefordert sieht, die Arbeit zu kommentieren, müsste es ja doppelt Spaß machen. Und siehe da: So ist es.
Peter Salomon hat seinen Spaß. Und er hat „Die Natur bei der Arbeit“ beobachtet – und das von 1974 – 1999 und am Bodensee. – Wer hätte da seinen Spaß nicht?
Nun ist Peter Salomon Lyriker und ein Berliner Schlitzohr. Manchmal tut er so, als trabe er auf den hohen Dichterrosse heran, habe uns die tieferen Einsichten des Poeten zu verkünden... und spießt uns im Galopp mit seinem Witz (schreibt man: Esprit) auf und dreht uns von hinten die Nase. ... Hm...., jetzt suche ich ne ganze Weile durch die Texte und versuche, was zu zitieren, so zwei Zeilen oder drei. Aber es geht nicht. Man kann das nicht an Formulierungen festmachen. Oder an Zeilen. Und ich glaube, das macht die Gedichte aus. Also da hilft nur: Selber lesen.

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Bleibt noch zu erwähnen, dass Menschen, die dich mögen, dir ihre Bücher meist schenken. Das spricht auch für das Lesen von Büchern der Leute, die man mag. Und gegen das Bücherverschenken ist ja kaum was zu sagen. Höchstens dafür: „Danke.“

 

Jaromir Konecny: Das Geschlechtsleben der Emigranten. Ariel Verlag, 2000. ISBN 3-930148-17-X, Broschur, 127 S.
Hermann Kinder: Himmelhohes Krähengeschrei. (...). Libelle, 2000. ISBN 3-909081-21-5, 132 S., gebunden.
Peter Salomon: Die Natur bei der Arbeit. Gedichte vom See. 1974-1999. Edition Isele, 2000. ISBN 3-86142-179-8, 62 S. gebunden.


Oliver Gassner, *1964, u.a. Literaturarbeiter, alles unter: http://www.oliver-gassner.de.

 

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