Wandler, Zeitschrift für Literatur, Nr.20: Hermann Kinder
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Hermann KinderDie Verwandlungaus: Hermann Kinder: Liebe und Tod. 25 schöne Geschichten von A bis Z. Zürich: Haffmans, 1983 und 1991. S.50ff. Wirklich: G war ein netter Kerl; verständnisvoll, empfindsam und zart. Doch Arme hatte er wie von Gummi. Und nicht ein einziges Mal drang er mit harter Zunge schnell und tief in ihren Mund ein. Ob er jetzt oder vielleicht etwas später oder heute lieber gar nicht oder ob er womöglich den rechten Zeitpunkt, sein Glied in ihre Scheide einzuführen, versäumt habe, fragte G, um einen Diskurs bemüht, der nur dem zwanglosen Zwang des besseren Argumentes gehorchen sollte, so lange, daß sie einschlief und erst wieder erwachte, als G, nachdem er sein weichkäsiges Glied doch noch in ihr untergebracht hatte, ihr behutsam über die Augenlider streichelte und fragte, ob sie nun ein positive oder eine negative Beschleunigung seiner geschlechtlichen Bewegungen wünsche. Nachdem nun eines recht schwülen Nachmittags sie vom Gerangel des Sommerschlußverkaufes heimgekehrt war und sich ihm in reizender Weise genähert hatte, G jedoch, da er den Besuch des Heizungswärmeverbrauchsmeßgeräteablesers erwartete, nicht im Stande gewesen war, ihrem mittels der eben neu erstandenen Wäsche durchgeführten Ansinnen erheblich Genüge zu leisten, schrie sie: Ich will einen Mann, einen richtigen Mann, und stieß den in vergeblicher Mühe hinter ihr knienden G mit dem Gesäß weg, um und zu Boden. Von diesem Satz an vollzog sich mit G eine auffällige Verwandlung. Während er über ein halbes Jahr hin im italienischen Eissalon, wo die Kellner die Geldkatzen in den Hintertaschen sehr straffer schwarzer Hosen zu tragen wußten, männliche Kraft und bestimmte Eleganz studierte, nahm Gs Haupt- und sonstiges Haar eine dunklere Färbung an und vermehrte sich sowohl auf der Oberlippe wie auf der Brust, buschte selbst über die dermaßen muskulös gewordene Bauchdecke, daß man darauf hätte Trampolin springen können. Nach diesen Veränderungen reifte ihre Liebe und näherte sich der siebten himmlischen Seligkeit, da sie, sobald sie nur Gs nun stets unbeugsamen Fleischstachel spürte, hinschmolz wie Sommereis und G ohne jegliches Anwärmen und Fingerprüfen sein Glied in sie stahlte, während sie auf den Küchentisch sank und schon final zu stöhnen begann. Gleichzeitig flogen sie in die Luft, gemeinsam schwebten sie vorübergehend zur Erde zurück, und sie liebten sich von Tag zu Tag mehr. Höchst befremdlich aber, daß G eines ganz normalen Frühnachmittages sich in sie nagelte, als wolle er durchs Zwerchfell bis in die Lunge oder gar aus dem Mund wieder hinaus. Ja: Bevor er morgens zur Arbeit ging, riß er ihren Kopf am Haar plötzlich nach hinten und krallte gleichzeitig ihre Brust so sehr, daß sie schmerzlich verkrümmt seitlich auf den erst halb gedeckten Frühstückstisch fiel. Gs Haar wurde raben-, fast zigeunerhaft schwarz; er wusch sich nicht mehr, bebrüllte sie, Bier aus dem Keller zu holen und seine Schuhe gefälligst zu wichsen; selbst hingegen polierte er nur noch seinen Opel. Das Pechhaar wuchs ihm in die Stirne, über die Wangen, auf Innenschenkel und Innenarme, sproß aus Nase und Ohren, pelzte selbst die Handinnenflächen. Gs Finger- und Fußnägel ließen sich nur noch kürzen, indem er sie hieß, den gußeisernen Dreifuß zu richten, den Meißel anzusetzen und mit dem Spannhammer zuzuschlagen. Hatte G noch in aufrechter Haltung und gelassen um sich grüßend seinen Opel verlassen, kroch er, kaum war in der Wohnung, auf allen vieren, hob einen Hinterfuß und spritzte einen Strahl Urins an die Garderobe, beschnüffelte sie zwischen den Füßen, biß sie im Nacken zu Boden, schleppte sie im Rachen unter den Bügeltisch und stemmte flußpferdartig seine Vorderpranken auf ihre schmächtigen Schulterblätter. Versuchte sie, sich ihm zu entziehen oder zu verschließen, stach er sie mit einer Stricknadel in den Po oder brach ihr die Kiefer auseinander. In den Pinkelpausen zwischen zwei Fernsehspielen bediente er sich ihrer im Vorübergehen, die er über den Couchtisch gefesselt hatte und die schon blutete, weshalb er eine Plastikschüssel unter sie geschubst hatte. Sich befriedigenden Zugang zu ihrem Ohr zu verschaffen, benutzte G das Brecheisen, um den verlockenden, aber engen Bauchnabel zu weiten, die Geflügelschere. Schon beim Gedanken daran, geriet G in eine solche Liebesbrunst, daß er ihr mit seinen Grobschmieddaumen die Augen in die Höhlen zurückdrückte und liebevoll kleinere Brocken aus den Hüftpolstern zwackte. Als G, freundlichst dem Opel entstiegen, sie beim sowohl reckenden wie beugenden Wäscheaufhängen hinterrücks gepackt und in kurzem Prozeß durch die Hosen hindurch geaalt hatte, nutzte sie in äußerster Angst den sinntrüben Höhepunkt seiner übermännlichen Leidenschaft, um sich samt dem in und an sie gehefteten G in einer geringen Drehung von dem als Trockenplatz dienenden Großgaragendach hinabfallen zu lassen in die schon rostenden Eisenpfeile des Staketenzaunes, welcher den gut gepflegten Rasen vor Kindern schützte, die diesen allzu gerne widerrechtlich betreten, ja sogar: überquert hätten.
Hermann Kinder, geboren an einem von ihm geheimgehaltenen aber an Jubiläen gelegentlich ausgeplauderten Tag im Jahre 1944 in Thorn. Aufgewachsen in Münster (Westfalen), heimisch geworden als Autor und Universitätsdozent für Literatur in Konstanz. Zuletzt erschien die umfangreiche Essay- und Aufsatzsammlung "Von gleicher Hand" in der Edition Isele, Eggingen und "Um Leben und Tod", Erzählung Rotbuch Verlag, Hamburg 1997.
Wandler, Zeitschrift für Literatur, Heft 20
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