Wandler, Zeitschrift für Literatur, Nr.19: Jörg-Martin Willnauer

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Jörg-Martin Willnauer

Komikaze

Ich laborierte damals gerade an einer Sprechblasenentzündung und war entsprechend aufgelegt. Ständig diese Schmerzen, ständig dieser Drang. Rund um die Uhr, in den unmöglichsten Situationen meldete sich meine Sprechblase. Laut und deutlich. BLUBBER. FLÖRPP. GLUCKS. Ich rannte von einem Arzt zum nächsten. Jeder raspelte Süßholz. LABER. SÜLZ. Keiner wußte bescheid. STÜMPER. STOTTER. STUSS. Schließlich fand ich einen heruntergekommenen Quacksalber, dem man wegen diverser Unregelmäßigkeiten die Lizenz entzogen hatte. Er wohnte im Nuttenviertel. GEIFER. HECHEL. Direkt über einer roten Laterne. SPRITZ.

Da er tagsüber soff, ordinärte er am Abend. FUMMEL.

Die Adresse hatte ich von meinem alten Freund Fritz, der damals noch als Comic-Zeichner arbeitete. KRITZL.

Als ich die Haustür auftrat, -ZGUNG, CRASH - trieb mir ein beißender Gestank die Tränen durch die Nase. SNIFF.

Ich hielt die Luft an und stürmte in den zweiten Stock. Halb erstickt hämmerte ich an ein verbogenes Namensschild. BOLLER.

Nach einer Ewigkeit öffnete ein kleiner Fettling die Tür. QUIETSCH.

"Was gibt's!?", fragte er mißtrauisch.

Ich berief mich auf Fritz, den Comic-Zeichner.

Seine Schwiemelaugen musterten mich kalt. GLUBSCH.

"Komm rein!", sagte er.

Das Zimmer war schäbig und leer. Nur zwei leere Bierkisten standen in der Mitte. Ich zog mich aus und er fingerte an mir herum. NESTEL-NESTEL.

Endlich röchelte er: "Anzieh'n!"

Wir hockten uns auf die Bierkisten. Die roten Funzeln vom darunterliegenden Etablissement schimmerten durch die trüben Scheiben. FLACKER. BLINK.

"Tausend!", sagte er.

Ich zog einen neuen Schein heraus. KNISTER.

Er wurde gesprächig: "Klar, vollkommen klar. Schwere Comic-Sucht im fortgeschrittenen Stadium."

Ich wurde bleich.

"Batman?"

Ich nickte verzweifelt.

Er grinste: "Endet gewöhnlich letal. Die Sprechblase schwillt an, wird groß wie ein Kinderkopf und platzt. Komikaze."

"Therapie?", fragte ich leise.

"Keine", murmelte er. "Eine minimale Chance besteht durch die Hyper-Dosis Batman. Alle anderen Comics absetzten. Batman pur. Dreißig Hefte morgens, dreißig Hefte mittags, dreißig Hefte abends. Und nachts den Film. Dann vier Wochen strenge Bettruhe mit Simmel und Konsalik. Viel Glück!", hämelte er und schob mich hinaus.

Ich wankte zum nächsten Buchdealer. Dort lud man mir je eine Gesamtausgabe Simmel und Konsalik ins Taxi. KLONK.

Ich fuhr zu Fritz. Kaum war ich in seiner Wohnung, wurde mir schlecht. WÜRGG. Der Geruch halbfertiger Comics drehte mir die Sprechblase um. GULP. Ich kotzte sein Atelier voll, die Küche voll und in die Badewanne. UARRGG.

Fritz brachte mich zu Bett und simmelte sich rührend um mich. Konsalik las er selber.

Nach vier Wochen war ich wieder gesund und fuhr ein halbes Jahr in die Südsee. Meine Sprechblase war wieder völlig O.K.

Die Simmel-Gesamtausgabe bekam einen Ehrenplatz auf dem Klavier, - FUNKEL-PROTZ - die Konsaliks schenkte ich Fritz.

Er verschlang sie und ging elend daran zugrunde. MORB-ÖFF.

Niemand konnte ihm helfen.

Nicht einmal Charles Bukowski.

Jörg-Martin Willnauer lebt als "Unterhaltungsindustrieller" in Graz.

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Wandler, Zeitschrift für Literatur, Heft 19

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