Wandler, Zeitschrift für Literatur, Nr.19: Johannes Diethart

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ESSAY

Johannes Diethart

Difficile est saturam non scribere

Gedanken zur Satire

Difficile est saturam non scribere - Es ist schwer, keine Satire zu schreiben, so lautet die Maxime, mit der schon im alten Rom Herrschaftsanspruch einer sicher nicht von Gott gewollten Autorität und gesellschaftliche Realität aufeinandergestoßen sind.

Seither hat sich nicht viel geändert, mögen auch die Zeitläufte Herrschafts- und Gesellschaftsformen bunt und oftmals blutig durcheinandergewürfelt haben.

Wer nun vermeint, der Begriff "Satire" leite sich von den "Satyrn" her, den trinkfesten, klassisch-kauzigen Kerlen, die in des Gottes Dionysos Gefolge die Gefilde des klassischen Altertums durchstreiften, hat in der Lateinstunde nicht aufgepaßt. Diese bocksähnlichen, mit Stumpfnase, Knöllchen am Halse und einem neckischen Ziegenschwänzchen ausgestatteten Gesellen sind der Vorstellung der "dionysischen" Hellenen entsprungen, während die "intellektuellen" Römer sich handfesterer Vorstellungen bedienten. Und so ist die Satire eben, was man nicht vergessen darf, vor allem ein Produkt römischer Mentalität, republikanischer Denkweise.

Satura tota nostra est, sagt Quintilian: Die Satire gehört ganz uns!

Das lateinische Adjektiv satur, satura, saturum in der Bedeutung "satt, voll, reich" ist Pate gestanden für das Substantiv feminini generis satura, -ae, "Gemengsel, Durcheinander", das schließlich eine Dichtungsart in Rom bezeichnete, eine dramatische "Farce" aus dem Stegreif; Lucilius und nach ihm Q. Horatius Flaccus machen aus dieser Satura das Spottgedicht, die Satire, während sie bei Quintus Ennius Gedichte noch ohne eigentlichen satirischen Inhalt bezeichnete.

Soviel zu Etymologie und Geschichte dieses geschichtsmächtigen Begriffs.

So ist "Satire" keine Bezeichnung für eine eigene literarische Form, sondern vielmehr für eine bestimmte Intention innerhalb der Literatur. Deshalb klingt die Definition der Satire fast zu banal, dafür umso treffender: Satire ist die Charakteristik und Verspottung von Mißständen jeglicher Art. Und obwohl die Satire oft gerade die häßlichsten Seiten der menschlichen Existenz aufs Korn nimmt, will sie uns gleichzeitig zum heilsamen, nicht zum sardonischen Lachen bringen. Und das spöttische Lachen des Satirikers ist eine aggressive Geste, ein Mittel im Krieg jeder gegen jeden, aber es dient letztlich einer guten Sache.

Hauptgegenstand der Satire, das lohnendste, erregendste, aber auch gefährlichste Ziel, ist und bleibt die Politik im weitesten Sinne. Natürlich ist auch die Literatur selbst ein wesentlicher Zielpunkt der spitzen Feder. Aber Satire dieser Art ist vielfach nichts anderes als literarischer Nahkampf, sind doch Poeten ein streitbares Völkchen und verwenden viel Zeit, Tinte und Geifer dafür auf, ihre Rivalen verächtlich zu machen, ob als Leserbriefschreiber, Klein- oder Großkritiker - und Kulturfunktionäre!

Aber nicht jeder, der sich in Polemiken ergeht, mit Invektiven um sich wirft, sich kritisch zu sozialen und moralischen Fragen äußert und die ganze Welt einen krummen Hund heißt, darf sich schon in die streitbare Riege der Satiriker einordnen:

Wer eine echte Satire schaffen will, muß als Mensch und Autor mit den leidvollen Problemen dieser Welt vertraut, selbst davon betroffen sein, er muß aber gerade deswegen auch eine gesunde Distanz zu dieser seiner Welt besitzen und ein Auge haben "für das Mienenspiel zwischen Resignation und Kraftmeiertum" (F. Richter).

Attacke und Vision

Fernseh-Nachrichten hierzulande sind keine Satire, sondern vielfach Selbstpersiflage und unfreiwillige Komik - dazu Karl Moik und Hugo Portisch als siamesische Zwillinge. Erst der Wetterbericht weist ins Visionäre.

In der "echten" Satire muß das Vermögen zur Abstraktion zum Ausdruck kommen, dazu Witz und Phantasie. Ein guter Satiriker zeichnet daher kein objektiv scharfes Bild der Mißstände, die er aufs Korn nimmt, denn bloßer Realismus wäre zu deprimierend, um eine befruchtende Katharsis auszulösen. Er versucht es vielmehr mit einer Travestie der Situation: Dadurch wird unser Blick zwar unmittelbar auf die Wirklichkeit gelenkt, gleichzeitig aber auch die Möglichkeit geboten, dieser Wirklichkeit zu entkommen.

Damit sind aggressive Attacke und phantastische Vision einer verwandelten Welt die Hauptingredienzien der Satire; wir können sie also durchaus auch als ritualisierte Aggression apostrophieren.

Das ist bereits im 17. Jahrhundert die Maxime eines Teiles der Satirenschreiben, wie etwa die des Daniel Georg Morhof, der 1682 formuliert:

"Eine Satyre ist ein Gedichte / darinnen die heimlichen Laster / die bey etlichen Personen im Schwange gehen / gestraffet und hönisch auffgezogen worden / und hat zur Endursache / die Verbesserung der Sitten."

Für Martin Opitz in seinem "Buch von der Deutschen Poeterey" (1624) soll sich allerdings die "Satyre" durch die "lehre von gueten sitten vnd ehrbaren wandel, vnd höffliche reden vnd schertzworte" legitimieren.

Da war der englische Bischof Joseph Hall einige Jahrzehnte früher in seinem "Virgidemiarum" (1597/98) schon um einiges deutlicher:

The Satyre should be like Porcupine,

That shoots sharpe quils out in each angry line,

And wounds the blushing cheeke, and fiery eye,

Of him that heares, and readeth guiltily.

Die Satire muß sein wie ein Stachelschwein,

das mit jeder bösen Zeile Stacheln schießt,

stolzes Auge verletzend und rosige Wängelein

von dem, der das hört und schuldbewußt liest.

Nach Meinung der Verächter dieser "beißenden" Schreibart, besonders natürlich von seiten der genasführten Opfer der Satire, ist selbige als eine Erfindung des Teufels verunglimpft worden: Satire galt diesen selbsternannten Wächtern der Dichtkunst als eine "unanständige Art der Poesie", wie es etwa J. B. Mencke in seiner "Ausführlichen Vertheidigung Satyrischer Schriften" (Leipzig 1722) formuliert hat: "als unchristliche Schreib-Art" hat sie auch Chr. L. Liscow in seiner "Sammlung Satyrischer und Ernsthafter Schriften" (Frankfurt und Leipzig 1739) bezeichnet. Diese Verteufelung kommt sicherlich nicht von ungefähr, denn nicht nur in den mittelalterlichen Satiren, sondern etwa auch bei Rost, Jean Paul, Hauff, E. T. A. Hoffmann oder Grabbe hat der Gottseibeiuns eine wichtige Rolle inne.

Es soll in diesem Zusammenhang nicht verschwiegen werden, daß viele der genannten Satiriker Rechtfertigungsschriften verfaßten, um sich des schlechten Gewissens wegen der Produktion ihrer Satiren zu entledigen. Verständlich wird diese Entschuldigungshaltung dadurch, wenn man bedenkt, daß nach gängiger Meinung der Zeit es Gott allein vorbehalten war, über Torheiten und Laster der Menschen zu richten. So sprechen auch die Kritiker der Satire immer wieder davon, daß der Satiriker gleichsam aus selbstangemaßter Gewalt handle und so gegen das christliche Liebesgebot verstoße. Dieses verpflichte schließlich alle Menschen, Sünden und moralische Gebrechen der Mitmenschen geduldig zu ertragen und zu verzeihen.

"Die Polemik ist eine schöne Hure!"

(F. Nicolai 1777 an Lessing)

Dabei äußerte etwa Christian Tomasius (1655 - 1728), Mitbegründer der Universität Halle und Dekan ihrer juristischen Fakultät, in seinen "Höchstnöthigen Cautelen" die Ansicht, daß der Satiriker es nicht vermöchte, den Lasterhaften durch seine spitze Feder zu bessern. Mehr als ein indirekter moralischer Effekt wird von ihren Kritikern zu dieser Zeit dem Satiriker nicht zugestanden. Auch Johann Christoph Gottsched (1700 - 1766) hat sich in seiner "Critischen Dichtkunst" nur wenig anders über das Wesen der Satire geäußert. Die Satire, meint er sinngemäß, empfange ihre Impulse vom gesunden Menschenverstand. Der Satirenschreiber, meint er weiter, müsse ein "Weltweiser" sein, der die "Lehren der Sitten eingesehen habe". Die Literaturhistoriker sind sich jedenfalls einig, daß seine "Critische Dichtkunst" bereits bei ihrem Erscheinen (1742 in 3. Auflage erschienen) veraltet war und auch bei der Definition der Satire letztlich einseitig und unzureichend war.

Christian Weise (1642 - 1708) jedenfalls war sich bewußt, daß eine "bittere Artzney" von allen "moralischen Patienten" nicht gerne angenommen werde; daher sei es notwendig, daß "bißweilen ein Philosophus aufftritt / und die Artzney mit lustigen und angenehmen Zucker dergestalt temperirt / daß sie hernach besser zu Halse geht."

Einer, der höfischen Laffen nicht zu Munde redet, ist der Hamburger Christian Wernicke (1661 - 1725), der mit seinen bissigen Epigrammen gegen höfische Poesie und Oper, gegen kriecherischen Fürstendienst sein bürgerliches Selbstbewußtsein ins Treffen führte:

Wo du die Thorheit suchst zu bessern, so sprich Deutsch,

Sey herzhafft, nicht beredt und greiffe, nach der Peitsch;

Verblümte Reden sind verlohren

Bey ungeschliffnen Esels-Ohren:

Es ist, wer einen Narrn aus Schertz, Herr Hofrath, heißt,

Gleich dem, der nach dem Hund' aus Eifer Knochen schmeißt.

Mochten allerdings einige der "ungebetenen Prediger" des ausgehenden 17. und des beginnenden 18. Jahrhunderts noch durchaus von Skrupeln geplagt gewesen sein, so haben sich die Satiriker des späteren 18. Jahrhunderts viel mehr mit politischen und moralischen Erwägungen über die Zulässigkeit der Satire auseinanderzusetzen.

Pasquillanten mit Gedanken-Hämorrhoiden

Pasquillanten sind in der Sprache der Zeit Satiriker, die bestimmte Personen angriffen und natürlich staatlicher Verfolgung ausgesetzt waren.

Kennern der Satire wird auch heute noch die fulminante Auseinandersetzung zwischen dem scharfsinnigen Freigeist und Pasquillanten Christian Ludwig Liscow (1701 - 1760) und dem Hallenser Professor Johann Ernst Philippi ein Schmunzeln kosten. Philippi war Verfasser schwülstiger und erbärmlicher Heldengedichte und devoter Lobreden (etwa auf den König von Polen 1732): "Der eröffnete Tempel der Ehren und Vorsehung, und die im Pallaste der Glückseeligkeit abgelegte Wünsche vor dem höchste beglückten Antritt des Hohen 63ten Stufen-Jahres Ihro Königl. Maj. in Pohlen und Chur-Fürstl. Durchl. zu Sachsen, Friedrichs Augusti des Grossen."

Liscow hatte einige Würdenträger seiner Zeit, etwa den platten theologischen Vielschreiber Sivers, Mitglied der Berliner Akademie, lächerlich gemacht, und besagten Professor Philippi, der sich etwa mit seiner Schrift "Cicero, ein großer Windbeutel, Rabulist, und Charlatan" lächerlich gemacht hatte, sozusagen "zur Sau gemacht". Liscow, der - verkannt - von Friedrich W. Ebeling in seiner "Geschichte der komischen Literatur in Deutschland seit der Mitte des 18. Jahrhunderts" (Leipzig 1869), als "leidend an Gedanken-Hämorrhoiden" apostrophiert wird. Der langen Rede rascher Schluß: Liscow ist ein sprachgewaltiges Beispiel für Satiriker, die ohne Ansehen der Person und ohne Angst vor gesellschaftlicher Ächtung ihre satirische Mission erfüllen mußten, und es gibt kein Anzeichen dafür, daß er seine "literarische Hinrichtung" Philippis je bereut hätte, es sei denn, man rechnet seine Unterstützung des völlig verarmten Philippi zur Kategorie einer Art von Wiedergutmachung, nachdem er mit der Ausrufung des desavouierten Professors zum König der kleinen Geister dessen totale Vernichtung eingeleitet hatte.

Trotz alledem ist bis etwa um die Mitte des 18. Jahrhunderts die Ansicht, daß die Satire nicht Privatsache sein dürfe, sondern sich in den Dienst der Sittenlehre zu stellen habe, die allgemeine Auffassung.

Ein ähnlicher Fall wie der von Liscow-Philippi ist die Auseinandersetzung Lessings mit dem Hamburger Hauptpastor Johann Melchior Goeze (1717 - 1786), wobei Lessings "Anti-Goeze" in die Literaturgeschichte eingegangen ist. Bekanntlich fühlte sich Lessing als "zoon politikon", dem nach seinem Selbstverständnis "schleichendes, süßes Komplimentieren" und "schlaue Höflichkeit", das Herumscharwenzeln um Höhergestellte und Bauchpinseln Vorgesetzter zutiefst zuwider waren. Sein ureigenstes Element war der Kampf: Er war davon überzeugt, daß der Streit das beste Mittel sei, der Wahrheit auf die Sprünge und zum Siege zu verhelfen. Und nicht zuletzt hat es der wackere Streiter Goeze fühlen müssen, was es bedeutete, sich mit einem Manne wie Lessing anzulegen.

Diese Auseinandersetzung zwischen dem Pastor und dem Aufklärer wurde in aller Öffentlichkeit ausgetragen und umfaßte in diesem Hickhack alle Bereiche des damaligen wissenschaftlichen und literarischen Lebens. Natürlich wäre es sicher verfehlt, Lessings polemisches Spiel allein an ästhetischen Kategorien messen zu wollen. Es muß klar sein, daß sein Spiel durchaus auch außerkünstlerische Absichten verfolgt hat: die öffentliche Verhöhnung und ungeschminkte Diffamierung des Gegners.

Narrenspiegel

Satire muß den Leser eine Brücke zur (historischen) Realität herstellen lassen, sonst wird sie mißverstanden und ihrer Funktion nicht gerecht.

Dazu muß man sich der drei manifesten, wesentlichen, konstitutiven Merkmale der Satire vergewissern: Da ist zum einen ein individuelles Element, das dem Satiriker eignet. Haß, Wut, durchaus auch Aggressionslust oder irgendeine private Irritation. Weiters ein soziales Element, was bedeutet, daß der Angriff des Satirikers einem guten Zweck dient, daß er abschrecken, mahnen und bessern will. Nicht zu vergessen ist das ästhetische Element. Darauf bezogen, hat Jürgen Brummack die Satire treffend und prägnant als "ästhetisch sozialisierte Aggression" bezeichnet.

So wird der Satire auch heute noch als wesentliches Element die moralische Belehrung abverlangt. Der Satiriker versteht sich gewissermaßen als Sittenrichter und Tugendlehrer. Gegenstand seiner Darstellung sind menschliche Laster und Torheiten, seine Absicht, bewußt oder unbewußt missionarisch zu wirken, die Menschheit von ihren - geistig-moralischen - Gebresten zu heilen.

Satiriker wie Thomas Murner (1475 - 1537) oder Sebastian Brant (1457/58 - 1521) haben mit ihren Narrenspiegeln der menschlichen Gesellschaft ihre Schwächen und Defekte vor Augen geführt, um einen Bewußtseinsprozeß, wie wir heute sagen, auszulösen.

Auch noch für die Aufklärer steht das moralische Element im Vordergrund wie zum Beispiel bei Johann Georg Sulzer (1720 - 1779): "Es ist der Endzweck der Satire, dem Übel, das sie zum Inhalt gewählt hat, zu steuern, es zu verbannen, oder wenigstens dem weiteren Einreißen desselben zu widersetzen, und die Menschen davon abzuschrecken."

Soviel also zur "sozialintegrativen" Funktion der Satire.

Nichts für Kirchenlichter

Satire ist nichts für dilettierende Kirchenlichter: Sie muß von rebellischen Moralisten gemacht werden, von Leuten, denen die Welt, wie sie sich darbietet, nicht für die beste aller möglichen Welten gilt. In gewissem Sinne sind sie immer Weltverbesserer und keine Zyniker; auch wenn vordergründig vielfach Witz im Spiel sein mag, so ist dieser jedenfalls das Vehikel für ernste Angelegenheiten, für tödlich ernste. Denn wo immer auf der Welt gähnende Widersprüche klaffen zwischen politischer oder sozialer Realität und zwischen der offiziellen und der landläufigen Meinung davon, wie eben diese Wirklicheit beschaffen zu sein hat: mit einem Wort, wo auf der Welt etwas faul ist, gibt es satirische Reaktion auf diese Edelfäule, wie es der Wiener Neustädter Autor Albert Janetschek (*1925), ein Meister der Mundart-Dichtung, ausdrückt:

unsa hodwolee

wauma sichd

wos de bessan leid

heidde so dreim

kumd an

unsa gaunze greem

eigandlich

wia da abschaum

fua

Gleichzeitig muß Satire, wie Janetscheck zeigt, sofort verständlich und unmittelbar zugänglich sein. Dafür ist sie eben bekanntlich nicht wählerisch in ihren Mitteln: Der Knüppel aus dem Sack und all die gift'ge Häme werden unvergoren und ungeschminkt serviert. Satire darf, und muß, wie es Tucholsky einmal formuliert hat, einfach alles.

Hand in Hand mit der "heilenden" Wirkung der Satire geht ihr Nahverhältnis zu Komik und Humor als notwendigen Vehikeln einher. Dabei besteht natürlich die Gefahr, daß ihr Angriffscharakter zugunsten eines letztlich allzu versöhnlichen Lachens in den Hintergrund tritt - Paradebeispiel für eine domestizierte Satire ist das 08/15-Kabarett, bei dem der Klamauk und die bestellten Lacher Hintergründigkeit und politische Geißel abgelöst haben.

Lachen gehört zur Satire, und zwar die verlachende Vernichtung ihres Gegenstandes. Das hebt sie über bloße Polemik und rüde Invektive hinaus. Ironie, Parodie, das Paradoxe, Witz, Pointierung, Wortspiel und Übertreibung sowie die Groteske sind die Stilmittel, deren sich der Satiriker bedient.

Weiter: Satire attackiert nie direkt: Erst durch die richtige Mischung von verformter, dargestellter Wirklichkeit und gemeinter, tatsächlicher Wirklichkeit entsteht eine Art von Komik, die aus sich die klassische Katharsis gebiert.

Ungeschminkte Frontalangriffe gehen ins Leere.

Vom Grobianischen zum Satirischen

Den Deutschen sagt man allerdings nach, daß in ihren Landen die Satire nie ein fruchtbares Feld gehabt habe, zu sehr habe obrigkeitsstaatliches Denken und tief eingeprägtes Duckmäusertum den Spott in die Schranken gewiesen, die Kritik im Keime erstickt.

Dieser Vorwurf ist angesichts des literarischen Schaffens auf dem Feld der Satire doch zum Teil unbegründet. Bereits die Satiriker des 16. Jahrhunderts haben mit ihren bissigen Attacken gegen den Klerus und dessen irdische und spirituelle Herrschaftsansprüche sowie im Gewande der Narrenbeschwörung gesalzene Kritik an den Ständen geübt.

Dem 17., kriegswunden Jahrhundert war allerdings oft genug über Hellebarden und Musketen die Lust am zugespitzten Witz abhanden gekommen, war in den Kriegswirren, die jedem dritten Deutschen das Leben gekostet hat, eher die Klage über die Lippen gekommen oder der ins Grobe, Grobianische verkehrte Schmerz. Trotzdem feierte der scharfgeschliffene Vers fröhliche Urständ.

Georg Christoph Lichtenberg (1742 - 1799) konnte mit seiner süffisant-kritischen Geschichte vom "Handel mit heiligen großen Zehen in Italien" seine Leser unterhalten. Satire, psychologische Sensibilität und Weltoffenheit prägten das Werk des begabten Göttinger Astronomen und Physikers. Eine seiner frühesten Schriften ist sein "Patriotischer Beitrag zur Methyologie der Deutschen", worin er Wendungen versammelt, die sich auf die Trunkenheit beziehen. Mit dem Ausbau der nützlichen Wissenschaft der Methystik (gr. methyo, betrunken sein ) oder Pinik (gr. pino, trinken) könnten, so Lichtenberg süffisant, die Deutschen, von denen Europa in früheren Zeiten die Systeme so nehmen mußte "wie das Gewürz von den Holländern", ihren durch ihre Empfindsamkeit und das "Recensiren omnium contra omnes" arg ramponierten Ruf als Systematiker wiederherstellen. Lichtenbergs Kritik richtete sich in erster Linie gegen die ehrgeizigen Verfertiger von neuen, meist unbrauchbaren oder zumindest überflüssigen Kunstwörtern und Nomenklaturen. Eine Kritik, die zeitlos gültig ist. Seine wohl bedeutendste Arbeit aus der Zeit um 1770 ist indes wohl der "Timorus", die ironische "Vertheidigung zweier Israeliten, die durch die Kräftigkeit der Lavaterischen Beweisgründe und der Göttingischen Mettwürste bewogen den wahren Glauben angenommen haben." Diese Satire kann als durchaus gelungene Vorstufe zu dem großangelegten Plan der Satire gegen die Journalistik, die Literatur des Sturm und Drang und gegen die "verderbliche Geniesucht" gelten.

Die deutsche Wirklichkeit dieser Zeit bot wahrlich genug Stoff zum Schweigen: "Geht einmal hin und schreibt eine Satire auf den regierenden Kammerdiener, auf den natürlichen Sohn oder des natürlichen Sohns Bastard oder des Bastards Bankert. Ihr werdet des Henkers werden. Überhaupt, wenn ihr in Deutschland auf vornehme Herren Satiren machen wollt, so rate ich euch zwei Stücke, entweder wählt euch welche aus dem alten Testament, oder bewerbt euch zuvor um ein Dienstchen zwischen den Tropicis, und wenn auch das nicht ansteht, so haltet's Maul."

Aber noch konnten wache Geister wie Gotthold Ephraim Lessing (1729 - 1781) sich vielsagend äußern:

Trinket Brüder, laßt uns trinken,

Bis wir berauscht zu Boden sinken;

Doch bittet Gott den Herren,

Daß Könige nicht trinken.

Denn da sie unberauscht

Die halbe Welt zerstören,

Was würden sie nicht tun,

Wenn sie betrunken wären?

Friedrich Schiller seinerseits hat dem Satiriker das Bürgerrecht in der Welt des schönes Scheins verschafft: In seinem Aufsatz Über naive und sentimentalische Dichtung finden wir die klassische Definition der Satire, der ihre Bedingung die Erfahrung des Widerspruchs zwischen Ideal und Wirklichkeit nennt. Diese "Entfernung von der Natur" sei Gegenstand der Satire, der Satiriker mithin auf der Suche nach der verlorenen Natur. Damit ist die "Naturwidrigkeit" der Kultur angesprochen, die Satire als gesellschaftskritische Größe in Funktion, weil der Satiriker nicht bereit ist, sich mit den bestehenden, immer mehr oder weniger unzulänglichen Zuständen abzufinden: "So wie es ist, bleibt es nicht!"

Dies geht auch aus der Art und Weise hervor, wie sich Feldherren und Dichter gegen Napoleon zusammentun und sich, wie es Jean Paul drastisch formuliert hat, auch die Schreibhand zur Kriegsfaust geballt habe. Später aber - 1817 in seinen "Politischen Fastenpredigten" veröffentlicht - geht er mit seinen Fürsten ins Gericht:

"Die Völker können sehr leicht gut angekorkten, fürstlich zugesiegelten Bier- oder Champagner-Flaschen ähnlich sein, in welchen so lange der versperrte Geist ohne Schäumen ruht und wächst, so lange der Kork nicht heraus gezogen worden; darnach aber wirds anders: unaufhörlich steigen die Blasen und Perlen und geisten fort, auch wenn wieder der Stölpsel darauf gedrückt worden."

Es ist satirische Ungeduld, die mit spitzer Feder bis zur Selbstaufgabe und persönlichen Gefährdung die kritische Auseinandersetzung sucht.

Auch Goethe hat in seinem "Reineke Fuchs", diesem satirischen "Hof- und Regentenspiegel", der Öffentlichkeit seine eindeutige Haltung zu den aktuellen politischen Ereignissen demonstriert. Was noch Gottsched entschuldigen zu müssen geglaubt hatte, nämlich die rigorose Abrechnung der mittelalterlichen Satiriker mit der unter den Großen herrschenden Korruption, kam dem Dichterfürsten durchaus gelegen. Das alte Epos vom Fuchs bot ihm die Möglichkeit zu einer distanzierten, indirekten und scheinbar unparteiischen Stellungnahme. Als Bearbeiter oder Nachdichter konzentrierte Goethe seine dichterische Potenz vor allem auch auf die formale und sprachliche Erneuerung der Satire. Im aktualisierten Reineke kommt sozusagen sein politisches Glaubensbekenntnis zum Ausdruck:

Unser Herr ist der Löwe, und alles an sich zu reißen,

Hält er seiner Würde gemäß. Er nennt uns gewöhnlich

Seine Leute. Fürwahr, das Unsre, scheint, es gehört ihm!

Darf ich reden, mein Oheim? Der edle König, er liebt sich

Ganz besonders Leute, die bringen, und die nach der Weise,

Die er singt, zu tanzen verstehn. Man sieht es zu deutlich.

Daß der Wolf und der Bär zum Rathe wieder gelangen,

Schadet noch manchem. Sie stehlen und rauben; es liebt sie der König;

Jeglicher sieht es und schweigt: er denkt an die Reihe zu kommen.

Mit der vielbeschworenen Aufklärung des 18. Jahrhunderts wird es allerdings auf dem Felde der Satire dürrer und dürftiger: nach dem Motto des Gottlieb Wilhelm Rabener sollte die Peitsche aus der Satire verbannt werden, Satiriker mit dem "redlichen Herzen" sollten nicht mehr Institutionen aus den Fugen heben, den Muff aus den Talaren prügeln, vielmehr durch einen gezielten pädagogischen Impetus mit Metternichschem Segen des Frontalangriffs gegen die politische Wirklichkeit antreten. Deshalb die Worte des Dichters Heinrich Heine (1797 - 1856):

Wir sind keine Römer, wir rauchen Tabak.

Ein jedes Volk hat seinen Geschmack,

Ein jedes Volk hat seine Größe;

in Schwaben kocht man die besten Klöße.

Wir sind Germanen, gemütlich und brav,

Wir schlafen gesunden Pflanzenschlaf,

Und wenn wir erwachen, pflegt uns zu dürsten,

Doch nicht nach dem Blute unserer Fürsten ...

Adolf Kußmaul (1822 - 1902) hat es in seiner "Politischen Triolette" so beschrieben:

Freiheit, Recht und Kinderzucht

Sind die Dinge, die ich singe,

Ob es mir auch Nachteil bringe

Und der Metternich mir flucht! ...

Ja, es kommt der Tag gewiß!

Dann erschaun wir sie in Reinheit,

Deutschlands Freiheit, Deutschlands Einheit,

Und es weicht die Finsternis! ...

Erst mit dem "Vormärz" - einer Zeit, in der aus Höflingen allmählich Staatsbürger wurden - erreichte der Kampf gegen die Philister einen phänomenalen Höhepunkt: Die Heilige Allianz, in der sich das fleischgewordene Unrecht kanonisiert hatte, mußte mit ihrer untertanenseligen Parasitenmentalität und ihrem großmäuligen Gottesgnadenanspruch die spitze Feder der Satiriker auf sich ziehen:

Der Berliner Autor Adolf Glaßbrenner (1810 - 1876) etwa, ein Nestroy verwandter Geist, hat in seinen Skizzen ein tiefschürfendes Zeitpanorama der Vormärzbewegung und der demokratischen Revolution geliefert:

Seyndt dir viel schröckliche Mordgesellen, so genennet werden Fortschrittler und Demokraten, davon die Zigeuner herkommen und anderes Gesindel der Art, das auf den Straßen fährt und im Heidekraute zur Nacht speist.

Vielsagend auch seine "Logischen Beweise für die Notwendigkeit der Staatsdiener, Künstler usw." von 1845:

Diplomaten: Gäbe es keine Diplomaten, so spräche jeder Mensch die Wahrheit; spräche jeder Mensch die Wahrheit, so müßten wir alle Tage die größten Grobheiten hören; müßten wir alle Tage die größten Grobheiten hören, so liefe uns auch endlich die Galle über; die Galle soll uns aber nicht überlaufen, ergo muß es auch Diplomaten geben.

Georg Weerth (1822 - 1856) hat dazu treffend von dem Kampf der Zahlen gegen die Nullen geschrieben, wobei die "Hauptnull" verständlicherweise der König ist.

Deutscher Michel, wach auf!

Nach dem verlorenen Zwischenspiel von 1848 blieb es für fast vier Jahrzehnte finster bei Deutschlands Satirikern: Humor, sperriger deutscher Humor, voller Resignation ob der verspielten Revolution, durchsetzt mit Bitternis, beherrscht den Blätterwald. Es ist der staatserhaltende Witz, der zerfließende Kalauer, der des Bürgers Sehnsucht kanalisieren hilft. Was einst im so berühmten "Kladderatatsch" martialisch-revolutionär klang, machte lustigen Geschichten "Aus dem Gesellschaftsleben" (die "Seitenblicke" des 19. Jahrhunderts) Platz, Humoresken über störrisches Dienstpersonal stellen das non plus ultra der Gesellschaftskritik dar. Junkertum und Bourgeoisie hatten den Sieg errungen, bis die spitze Feder im Bismarckschen Machtbereich von einer schwachen Funzel wieder zum lodernden Feuer erwachte.

Frances Külpe (1862 - 1937) beispielsweise hat mit seinem "Offenen Brief an den deutschen Michel" ein in deutschen Landen bis heute unversiegbares Thema angeschnitten:

Mein lieber Michel! Hast Du Dich auch schon mit dem nötigen Quantum patriotischer Begeisterung versorgt? Wenn nicht, dann tue es bald, denn Du wirst in diesen Tagen der 25. Wiederkehr der großen Menschenschlachtfeste von anno Siebzig und Einundsiebzig von diesem Artikel viel brauchen. Vor allen Dingen schreie tüchtig - "Hoch!" und "Hurra!" - wie es befohlen wird. Je lauter Du schreist, desto patriotischer bist Du - und der Patriotismus macht heute vor Gott und den Menschen angenehm. Sodann schimpfe tüchtig auf die Franzosen und lasse kein gutes Haar an ihnen; je schlechter Du sie machst, umso besser. Desto lauter aber mußt Du alles herausstreichen, was deutsch ist; das Deutsche ist für einen echten Patrioten der Inbegriff des Guten ... Wenn von Bismarck die Rede ist, so zerdrücke still eine heilige Krokodilsträne in Deinen blauen Germanenaugen ... Wenn Du eine Kanone siehst, oder eine Fahne, die den Eichenkranz trägt, so ziehe demütig Deinen Hut und neige Dich demütig bis zur Erde, oder noch besser: Stehe stramm und präsentiere Deinen Schirm oder Stock oder was Du sonst gerade in der Hand trägst - das verrät den alten Soldaten und verschafft Dir die Anerkennung aller Gutgesinnten ... Vor Schlachtenbildern stehe bewundernd still, und wenn Du vor einem Siegesdenkmal vorüberkommst und fällst davor andächtig in die Knie, so wird Dich niemand darob für verrückt halten ... Wenn Dich jemand nach Deinen Kriegsereignissen fragt, so schneide tüchtig auf; weniger als ein halbes hundert Franzosen darfst Du nicht umgebracht haben. Glücklich Du, wenn Du ein altes Wundenmal oder gar eine Medaille hast... Gib Dir Mühe, Dir das militärische Schnarren oder das noch vornehmere Näseln anzugewöhnen - da halten Dich die Leute für einen Reserveoffizier und liegen vor Dir auf dem Bauche. Aufs strengste aber hüte Dich vor jedem Umgang mit den Sozialdemokraten; diese Kerle nennen den Krieg einen Massenmord, halten den Militäretat für weggeworfenes Geld und überhaupt den ganzen Militarismus für eine verderbliche Institution. Sie haben keinen Respekt vor dem Waffenruhm und keine Liebe zu unserem schwarz-weiß-rot angestrichenen Vaterlande ... Und wenn Dich im Alter Dein Herr zum Teufel jagt oder Dein Konkurrent Dir die Kehle zuschnürt, so lasse Dir's ruhig gefallen, denn das gehört zur göttlichen Weltordnung, wie sie von den Bajonetten und Kanonen beschützt wird. Erst, wenn Du mit hungrigem Magen Hurra schreien kannst, hast Du die ganze Größe des Patriotismus erklommen, und wenn Du daran gestorben bist, wird Dir das dankbare Vaterland dreimal über das Grab sch-ießen ...

Die zeitlos gültige Neurotik der "Herrschenden" gegen Proteste derer von "unten" zeigt auch das Gedicht "Des Staren Rache" Adolf Gecks (1864 - ca. 1942) von 1887:

Zu Straßburg am Rheine die Polizei

Erlaubt keine Weisen der Protesterei,

In welchem Gesetz stehet bedungen,

Daß nur mit Erlaubnis werde gesungen;

Besonders verpönt sei die Melodie:

"Allons, enfants de la patrie!"

Wer dennoch singt, nach Gesetzes Kraft

Kriegt vierzehntägige Einzelhaft ...

Im Ersten und Zweiten Weltkrieg schließlich war den deutschen Satirikern die Zunge verboten, die Bemühungen des Staates, die Satire für ihre eigenen Zwecke zu vereinnahmen, längere Zeit von Erfolg gekrönt: die Kriegstreiber hatten die Friedensfreunde und Demokraten in die Schranken gewiesen.

Doch in der Zwischenkriegszeit erlebte die Satire in deutschen Landen eine Schärfe, die uns Nachgeborene geradezu beschämen muß. So beschrieb Franz Carl Weiskopf (1900 - 1955) im Jahre 1927 seine Sicht der "Demokratie":

Es saß mit breitem Hinterteil

Der Dicke auf dem Dünnen

Und sprach zu ihm: Jetzt können wir

Demokratisch zu reden beginnen.

Du weißt, ich hasse die Despotie

So, wie die Aufruhrgewalten:

Es möge jeder seinen Platz

An der Sonne in Frieden erhalten.

Drum bin ich dagegen, daß wir uns entzwei'n,

ich hasse Kanonen und Lunten.

Wir wollen gut pazifistisch sein,

Ich oben und Du unten!

Im Jenseits tauschen wir dann den Platz,

Dort will ich Dich gerne tragen -

So sind die Lasten gleich verteilt,

Du kannst Dich nicht beklagen.

Einstweilen jedoch ist der status quo

Die wichtigste Ordnungsstütze:

Drum bleib' ich mit meinem Prachtpopo

Auf angestammtem Sitze.

Gegen Tyrannei und Provinzialismus

Somit ist klar, daß die Satire die politischste Literaturform überhaupt ist: Was uns umgibt, ist Politik: Unpolitische Menschen sind etwas Irreales, sie sind viel mehr Opfer der Politik als diejenigen, die sich "denen da oben" wiedersetzen.

Es darf uns allerdings nicht verwundern, daß beide, die Politik und die Satire, bei den Betroffenen nicht gerade beliebt sind. Und gerade das Wort "Politiker" hat schon längst einen mehr als unangenehmen Beigeschmack, und es hat Zeiten gegeben, daß Satiriker für ihre spitze Feder geköpft worden sind oder sich entschuldigt haben.

Beider Notwendigkeit läßt sich nicht leugnen, allerdings bedarf jede Rechts- und Sozialordnung einer steten Reform, und nur eine funktionierende Politik kann die notwendigen Reformen durchführen. Und die Satire allein kann ätzend genug sein, um Betonköpfe zum Wanken zu bringen und erstarrtes Denken zu zersetzen.

Die größten Feinde der Tyrannei sind denn auch Tyrannei und Provinzialismus: Tyrannen sind jeder Kritik abhold, man kann ja nicht wissen, wohin das führt. Was Wunder, wenn unter Stalin und Hitler die Satire nicht in Blüte stand? Die politische Satire braucht ein gewisses Maß an Freiheit, das Fluidum des Städtischen ("Stadtluft macht frei!") und natürlich eine Vertrautheit mit dem politischen, kulturellen und sozialen Leben. Das hat uns bereits in unnachahmlicher Weise im Athen des 5. Jahrhunderts vor der Zeitenwende der Komödiendichter Aristophanes gezeigt. Der - geistige - Provinzler seinerseits sieht Moral, Anstand und Sitte gefährdet.

Besonders üppige Blüten trieb auch immer wieder die antiklerikale Satire; oft vordergründig als soziale Kritik verpackt, ist sie ein besonderer Typ der politischen Satire. Sie ist zu trennen von der religiösen Satire, die sich dem Lächerlichmachen der Götter oder des Glaubens an übernatürliche Mächte verschrieben hat.

Der Antiklerikalismus gebar politische Satire in dem Maße, in dem Kirche und Klerus an der Politik teilhaben, Politik machen: Was Wunder, wenn die Kirche des ausgehenden Mittelalters und der beginnenden Neuzeit als geradezu absoluter Machtfaktor galt, seit sie vor Jahrhunderten über das Stadium einer Sekte unter vielen hinausgewachsen war. Man führe es sich einmal vor Augen: Noch im 17. Jahrhundert betrug das Einkommen des französischen Klerus aus dem Zins-Zehnten und Lehen etwa die Hälfte des Einkommens des Landes! Diese gehäufte Macht, zumeist Arm in Arm mit der weltlichen Macht, führte fast unausweichlich zu Machtmißbrauch, Unterdrückung und Monopoldenken. Was Wunder nochmals, daß sich Unzufriedenheit und kalte Wut über soziale Ungerechtigkeit oft frontal gegen die Kirche richteten, eben gegen jenen Teil des Systems, der die größte Angriffsfläche bot, denn da klafften Ideal und Wirklichkeit am krassesten auseinander. Gleichzeitig war antiklerikale Satire auch politische Satire. Das läßt sich an der Kritik Voltaires und anderer Deisten und Freigeister sehen.

An eine der frühesten, lateinisch geschriebenen Satiren dieser Art, den "Ysengrimus" des Magisters Nivardus, aus der Mitte des 12. Jahrhunderts, soll kurz erinnert werden, desgleichen an die Satiren, die in den "Carmina Burana" enthalten sind:

Meum est propositum / in taberna mori;

Vinum est appositum / sitientis ori.

Ut dicant, cum venerint / angelorum chori:

"Deus sit propitius / huic potatori."

Es ist mein fester Vorsatz, in der Taverne zu sterben. Der Wein steht an meinem durstigen Munde. Die Chöre der Engel sollen einmal sagen können: Der Herr sei diesem Säufer gnädig!"

Wichtigste Adressaten sind auch hier die päpstliche Kurie, Kardinäle, Bischöfe und Mönche, denen Simonie, Freßsucht und die Vorliebe für dralle Dirnen vorgeworfen werden. Parodie und Travestie heiliger Texte sind die häufigsten Formen dieser engagierten Literatur, von der etwa das "Evangelium secundum marcas argenti", das "Evangelium nach der Heiligen Silber-Mark" zu nennen ist, nach dem in Rom nur das Geld das Sagen habe.

Mit dem Zeitalter Luthers bricht bekanntlich eine Blütezeit der Satire an: Das Bild vom Papstesel auf der einen Seite, und von Luther als Teufelsbankert auf der anderen Seite sind in die Geschichte eingegangen; wir können die ganze Fülle der Invektiven, Anwürfe und Scheltereien nur ansatzweise berühren. Außerdem ermöglichte ja die Erfindung der beweglichen Lettern durch Johannes Gensfleisch alias Gutenberg erst die ganze Fülle von Pamphleten, Parodien und Satiren, den schlagkräftigen Waffen im aktuellen politisch-religiösen Kampf.

"Wenn man dir liniertes Papier gibt, schreibe quer über die Zeilen!" - Wer könnte die Funktion eines Satirikers treffender ausdrücken als diese Maxime eines Juan Ramón Jimenez?

Das führt uns näher an die Gegenwart heran, als etwa in deutschen Landen, in der Tradition eines Heinrich Heine, Wilhelm Busch oder Christian Morgenstern, der "Simplizissimus", die legendäre Münchener satirische Zeitschrift, ihre Attacken gegen den deutschen Imperialismus und Militarismus ritt.

Hierher gehört ein Bereich der Satire, der heute in der zeitgenössischen Karikatur fortlebt und in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zu blühen begann: Es sind sogenannte satirische Karten, auch als "komische" oder "humoristische" Karten bezeichnet, die den Aggressionen einzelner Völker aufeinander freien Lauf ließen: Hier begegnet uns Rußland als riesiger Kosak mit einem Messer, begierig darauf, sich ein saftiges Stück vom Osmanischen Reich abzuschneiden, England als Bulldogge, Deutschland als Dackel, Frankreich als Pudel, Österreich - als Promenadenmischung!

Nachzulesen zuletzt in der "Kartographischen Zimelien" der Österreichischen Nationalbibliothek.

Aber nicht nur die einzelnen Nationen gingen aufeinander los, wie es etwa Karl Kraus, der "Satiriker der Apokalypse" (Edward Timms), angeprangert hat ("Serbien muß sterbien!"), auch innerhalb der einzelnen Länder schaukelten sich die Gegensätze zwischen den verschiedenen Ständen und Berufsgruppen auf. Das fand dann seinen Niederschlag auch in satirischen Texten.

Presseleute - ob national oder "international" eingestellt, waren besonders gerne Zielscheibe verbaler Anwürfe.

Als kleiner, aber vielsagend spitzer Splitter sei eine satirische Grabinschrift Erich Weinerts (1926) zitiert:

Ein Unentwegter

Hier ruht ein Patriot

Und Mann der Presse.

An ihm ist alles tot -

Bis auf die Fresse.

Das Land, wo die Kanonen blühn

Nach dem Ersten Weltkrieg setzten Erich Kästner (1899 - 1974), Bertolt Brecht (1898 - 1956) oder Kurt Tucholsky (1890 - 1935) die Tradition der perfekten Haxlbeißerei fort.

Kennst Du das Land, wo die Kanonen blühn?

Du kennst es nicht? Du wirst es kennenlernen!

Dort stehn die Prokuristen stolz und kühn

in den Bureaus, als wären es Kasernen ...

Die Kinder kommen dort mit kleinen Sporen

und mit gezogenem Scheitel auf die Welt.

Dort wird man nicht als Zivilist geboren.

Dort wird befördert, wer die Schnauze hält.

Soweit der "Moralist" Kästner 1928. Es ist der Kästner, der 1933 in Berlin zusehen muß, wie seine Bücher verbrannt werden!

In den privaten Bibliotheken der Liberalen wanderten Friedell, Wassermann, Stefan Zweig und Schnitzler im Laufe der dreißiger Jahre allmählich vor dem Zugriff der Bücherverbrenner in die zweite Reihe der Bücherkästen und fristeten hinter dem wehrfesten Korridor von Kolbenheyer und Binding in dunklen Verliesen ungelesene Jahre.

Tucholsky hat es in seinem "Schulaufsatz" (1932) "Hitler und Goethe" der Führer-Standarte heroisch-spießiger Überzeugungen ein Denkmal gesetzt:

Wenn wir das deutsche Volk und seine Geschichte überblicken, so bieten sich uns vorzugsweise zwei Helden dar, die seine Geschicke gelenkt haben, weil einer von ihnen hundert Jahre tot ist. Der andre lebt. Wie es wäre, wenn es umgekehrt wäre, soll hier nicht untersucht werden, weil wir das nicht auf haben. Daher scheint es uns wichtig und beachtenswert, wenn wir zwischen dem mausetoten Goethe und dem mauselebendigen Hitler einen Vergleich langziehn.

Ganz klar gesehen und gegeißelt hat es Bertolt Brecht in seinem "Kälbermarsch" von 1942:

Hinter der Trommel her

Trotten die Kälber

Das Fell für die Trommel

Liefern sie selber ...

Nicht von ungefähr ist die Nachkriegsliteratur von einer bewußt antifaschistischen Satire beherrscht, die aus ihrem Mißtrauen gegen die "ewig Gestrigen" kein Hehl macht, wie etwa Dietrich Kittner (geb. 1935):

Einst hatten die braunen Brüder

ein braunes Reich sich gebaut;

das hätten sie gerne wieder

und trommeln schon wieder laut ...

Der Freiheit, die sie meinen,

stinkt's Hakenkreuz voran.

Noch proben sie im kleinen,

so fing es auch damals an.

Die neue gesellschaftliche Situation, die aus Wirtschaftswunder, Vietnam und der globalen atomaren Bedrohung erwächst, stellt auch an den Satiriker neue Anforderungen. Eine "Neuorientierung" ist schon allein durch das Aufkommen neuer Medien gegeben: die literarische Satire ist durch Karikatur, Cartoon und Film abgelöst und zu einem großen Teil ersetzt worden.

Ist die Kraft der Phantasie erschöpft, haben die kleinen und kleineren Talente das Sagen und fällt den scharfzüngigen Kritikern zu den blassen Routinedemokratien nichts mehr ein, wo in der Politik drittrangige Haxlbeißereien, Schreiduelle wegen Politikerabfertigungen und marode Volksvertreter die Szene beherrschen, während die Welt vor die Hunde geht?

Keine Angst, sie können es noch. So zum Beispiel der Autor Wolfgang Becvar, der den zeitgenössischen Militarismus aufs Korn nimmt:

Der Kommandör sprach zum Frisör: Nehmen Sie alles weg, was Sie nicht für nötig erachten. Da machte der Frisör den Kommandör um einen Kopf kürzer ...

Und sogar im Einheitsbrei der Boulevardpresse sprießt das Pflänzchen der Satire noch hie und da:

Michaela Ernst im "Kurier" vom 24.9.1995 über den "neuen ORF": "Die Nörgler, die behaupten, mit der Zeilerisierung des ORF sei die Quotennutterei eingetreten, lügen. Es gibt ihn noch, den Bildungsauftrag. Er ist nur nicht mehr alleine für die Gebildeten da, sondern auch für die zu Bildenden. Seine Botschaften sind versteckt in Vorabendserien, Programmvorschauen, "Seitenblicken". Das ist neu. Und eine erquickliche Ergänzung zu den ganz offenkundigen Bildungsprogrammen.

Freitag war so ein Tag ... Es begann mit einem schlichten Aufklärungsunterricht in der Bill Cosby Show. "Es gibt Geranien. Die weiblichen öffnen sich schneller und die männlichen nur nachts." ...

"Sprachbewußte" österreichische Autoren nehmen auch das Überhandnehmen des "Serien-" und "Anschlußdeutschen" aufs Korn wie zum Beispiel der Autor und Künstler Peter Daniel in seinem Gedicht "Anschluß"-Deutsch:

Sahne schließt Schlagobers an

Quark den Topfen

Paradeiser gibt sich willfährig der Tomate hin

Palatschinke dem Pfannkuchen

Kaiserschmarren spreizt schon die Beine

Der Schilling sowieso

Und Österreich nennt sich wieder einmal "Opfer".


Dr. Johannes Diethart arbeitet in der "Österreichischen Nationalbibliothek" für die Redaktion der Zeitschrift "Biblos"

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Wandler, Zeitschrift für Literatur, Heft 19

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