Wandler, Zeitschrift für Literatur, Nr.19: Lutz Rathenow

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Lutz Rathenow

Herr Leibling

Schon beim Bau des Wochenendhauses, der ihm als Auszeichnung für stete Pflichterfüllung vom Betrieb genehmigt worden war, tat sich Herr Leibling durch besonderen Fleiß hervor. Nach dem Einzug sah man ihn meist mit Hacke, Spaten, Gießkanne und Luftgewehr, letzteres für Spatzen, die Gras- und Blumensamen aus der Erde picken wollten. Seinen Garten hielt Herr Leibling mit Eifer instand. Die Ligusterhecke wurde durch einen Holzzaun ersetzt, als der Verdacht bestand, streunende Hunde hätten das Blumenbeet angewühlt. Anschließend führte er eine Schädlingsvernichtungsaktion durch, die den größten Teil der Insekten vernichtete, allerdings durch ausgiebigen Einsatz verschiedenster chemischer Mittel die Gemüsebauerträge auf die Hälfte schrumpfen ließ. Herr Leibling bedauerte dies, doch vor allem sollte keiner sein Eigentum annagen, begehren, stehlen wollen. Deshalb wurde, als sich die Vermutung erhärtete, daß Kinder die Apfelbäume geplündert hatten, der Holzzaun durch einen höheren Eisenzaun ersetzt, der nach oben in langen Spitzen endete. Herr Leibling erkannte als erster die gartenschutzfördernde Wirkung von Stacheldraht in Verbindung mit Zäunen, für die er den Titel "Aktivist der Gartenbewegung" verliehen bekam. Dadurch angespornt, startete er eine zweite, erfolgreichere Insektenvernichtungsaktion, nach der jedoch Gemüseanbau nicht mehr möglich war. Weitere Schädlingsbekämpfung würde vorerst unnötig sein - bedrohlicher schienen die Grassamenraubzüge der Vögel. Nachdem Herr Leibling das Luftgewehr als zu uneffektiv empfand, eine im Garten angebrachte Selbstschußvorrichtung wegen ihrer Streubreite polizeilich verboten wurde, rammte er in regelmäßigen Abständen Pfähle in den Boden und spannte Stacheldraht über den Rasen. Die Vermutung, ihm könne weiterhin Baumobst entwendet worden sein, erschien nicht gänzlich unbegründet. Er fällte alle Bäume, die Wurzeln wurden gerodet, was ein besseres Sicht- und Schußfeld ergab und den Vögeln ihren konspirativen Hauptschlupfwinkel raubte. Er grub den Rasen mit den letzten Blumen um, ein Schutzgrabensystem entstand entlang des Zaunes und erleichterte die Früherkennung von Maulwürfen.

Verbissen arbeitete Herr Leibling und hatte manchmal das Gefühl, einer würde versuchen, ihm die Erde unter den Füßen wegzutragen. Mehr und höhere Pfähle wurden in den Boden gerammt, Stacheldraht vom Zaum zum Dach gespannt. Nichts wird er sich nehmen lassen, dachte Herr Leibling, selbst die verbliebenen Insekten im Garten durfte nur er ausrotten. Aber die Vögel wollten ihre Beutezüge nicht aufgeben, auch als der Draht durch Stromleitungen ergänzt und mit verschiedenen Chemikalien bestrichen wurde wie der Zaun, bei dem es ihm schon lange Unbehagen bereitete, daß dieser von vorbeigehenden Passanten einfach angefaßt und durch sich summierende Berührung abgenutzt werden könnte. Metallfäden durchschnitten die Luft, ein Geflecht aus Stacheldraht und elektrischer Leitung entstand, das sich teppichähnlich über Haus und Garten zu legen begann. Gleichzeitig lenkt er seine Wachsamkeit auf unbefugtes Eindringen von unten. Ich werde nicht zulassen, daß die Fundamente meines Hauses untergraben werden, schrie Herr Leibling und stieß im Abstand von zehn Zentimetern dreißig Zentimeter tiefe Löcher in den Boden. Er setzte Gas ein.

Die Öffentlichkeit wurde auf ihn aufmerksam, als er gegen Käfer in der Erde vorging. Besucher wanderten zu dem Grundstück, das von außen wie ein Drahtberg aussah, ohne Einblick in sein Inneres. Versuch, zu Herrn Leibling vorzudringen, blieben ohne Erfolg, anfangs antwortete er mit Flüchen und Stinkbomben, später reagierte er weder auf Rufe, noch auf Böllerschüsse oder Rauchzeichen. Das Haus löste als Touristenattraktion das ortsansässige Heimatsmuseum ab und wurde unter Naturschutz gestellt. In der Versammlung des Gartenverbandes stellten mehrere Mitglieder die Frage, ob es für das ruhige Gedeihen der Gemeinschaft nicht von Vorteil wäre, man nutzte die Erfahrung des Kollegen Leibling und zöge um die gesamte Siedlung einen Stacheldrahtelektrozaun. Der Wirt des GRÜNEN KRUG schlug vor, wegen der besucher- und umsatzfördernden Aktivitäten Herrn Leibling als "Hervorragenden Aktivisten der Gartenbewegung" auszuzeichnen. Der Betreffende selber wurde nicht mehr gesehen - letzte Gerüchte wollen vom Auslegen von Minitretminen für Ameisen wissen.


Lutz Rathenow lebt als freier Schriftsteller in Berlin.

Wandler, Zeitschrift für Literatur, Heft 19

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