Wandler, Zeitschrift für Literatur, Nr.19: Miller, Bukowski, Konecny

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Miller, Bukowski, Konecny

Zu Jaromir Konecnys erstem Buch "Zurück nach Europa"

Oliver Gassner: "Zurück nach Europa" heißt das Bändchen mit knapp über hundert Seiten in dem neun Deiner Kurzgeschichten versammelt sind. Einige davon, darunter "Die dritte Klogeschichte", die auch in diesem Heft zu finden ist, sind recht eindeutig als Satiren einzuordnen. Aber nicht auf alle Texte paßt dieser "Stempel". Wie würdest Du die Texte charakterisieren?

Jaromir Konecny: Manchmal lustig, manchmal nicht,.. wie das Leben halt so ist.

OG: Die erste Geschichte heißt "Die erste Liebe" und erinnert an autobiographische Texte von Altmeister Bukowski. Wenn man die Figuren der Erzählungen und Deine Biographie aneinanderhält, dann fallen gewisse Parallelen auf. Wie verhält sich in Deinem Fall Fiktion zu Erfahrung?

JK: Bukowski prägte den Begriff "Autobiographische Fiktion". Er dachte, die Wirklichkeit allein ist zu langweilig für eine Story. Für mich spielt es keine große Rolle, Wirklichkeit oder Phantasie... Die Geschichte ist wichtig. Die Geschichte, die du jetzt erzählst, ist die Wirklichkeit - dieser Gedanke stammt leider nicht von mir, sondern von Günter Ohnemus. Canetti soll einmal gesagt haben, daß er keinem Menschen traue, der die gleiche Geschichte immer gleich erzählt. Das ist, als ob der Mensch seine Rolle auswendig gelernt hätte. Du erlebst halt etwas, und machst eine Geschichte daraus. Das nächste Mal fällt dir wieder ein Thema ein, und du schaust dich in deinem Kopf um, ob da eine Erinnerung rumliegt, in die du den Gedanken einkleiden könntest. Viele meine Erlebnisse kann ich gar nicht zu Geschichten verbraten. Die würde mir keiner abkaufen. Jeder würde sagen: "So was Unwahrscheinliches!" Du mußt also schon sorgfältig auswählen, was du zu Papier bringen willst. Außerdem konnte ich alle meine Geschichten "wirklich" gar nicht erlebt haben. Da würde ich sogar den Casanova in die Tasche stecken. Da wäre ich jetzt der größte Abenteurer der Welt. So was wie rein nichtautobigraphische Texte gibt es aber auch nicht. Unser Hirn ist halt unser Hirn. Wer kann schon sein eigenes Hirn so überlisten, daß es seine ganze Vorgeschichte vergißt? Wer bringt schon sein Hirn dazu, sich "nichtautobiographische" Texte auszudenken? Das wäre gegen Goedels Unvollständigkeitstheorem :-) (ach du Scheiße, jetzt gebe ich wieder mit meiner Bildung an). Die Parallelen zwischen meinem Leben und meinen Geschichten müssen selbstverständlich auffallen. Mein Stilmittel ist sowieso, authentisch zu schreiben. Die Kulissen für meine Stories nehme ich aus meinem Leben. Sonst müßte ich doch dicke Bücher wälzen, um mir neue Kulissen zu bauen. Aber warum denn? Und wozu sollte ich auch etwas verschleiern wollen. Die Geschichte ist doch das Wichtigste, und nicht, daß ein paar Leute auf mich nicht mit dem Finger zeigen. Ich muß also alle meine Energie aufwenden, um eine gute Geschichte zu schreiben. Alles andere ist nur Krampf.

OG: Das Muster der Geschichten erinnert eher an die amerikanische "short story" als an die deutsche Kurzgeschichte der Nachkriegszeit. Wo würdest Du Deine Vorbilder sehen?

JK: F. M. Dostojewski (nicht nur seine Romane, auch seine Kurzgeschichten sind genial), Knut Hamsun, Louis-Ferdinand Céline, Jaroslav Hašek, Ernest Hemingway, Henry Miller, Ray Bradbury, Raymond Chandler, Dashiell Hammett, John Fante, Charles Bukowski, Jörg Fauser, Philippe Djian, Tom Waits, Jethro Tull, Led Zeppelin, Uriah Heep, Neil Young, Frank Zappa, Patti Smith, selbstverständlich der gute alte Ozzy Osborne, und viele andere. Ich bin halt ein Typ mit vielen Vorbildern, so muß ich keinem Fan-Club beitreten.

OG: Dein Buch ist in einem Verlag erschienen, den man getrost als "deutschen Underground-Verlag" bezeichnen kann. Hast Du versucht, Deine Erzählungen an große Verlage zu schicken?

JK: Früher mal ja. Jetzt bin ich froh, daß meine Sachen keiner genommen hat. So konnte ich mein erstes Buch mit Freunden machen. Das war schön. Doch ich habe selbstverständlich kein Problem damit, meine Sachen bei einem großen Verlag drucken zu lassen. Ich schreibe ja nicht für mich, sondern für Leute. Und je mehr Leute ich bequatschen kann, um so glücklicher bin ich.

OG: Im Ariel-Verlag erscheinen vor allem Autoren, die sich dem "Social Beat" zurechnen. Bei Deinen Texten hatte ich allerdings nicht unbedingt den Eindruck, daß sie "typische" SB-Texte sind. Könnstest Du Dein Verhältnis zum SB beschreiben?

JK: Ja, was ist Social Beat? Ursprünglich als eine rein literarische Bewegung gedacht, zählt sich jetzt fast jeder dazu. Ich persönlich finde das gar nicht schlecht. Den Begriff "Social Beat" haben sich Jörg André Dahlmayer und Thomas Nöske ausgedacht: "Beat" sollte das Pochen, das Wilde ausdrücken. "Social" interpretiert jeder, wie es ihm gefällt. Manch einer sogar als Sozialismus, womit zum Beispiel ich sicher nichts am Hut habe. Ich verstehe unter "Social": Themen aufgreifen, die möglichst viele Menschen berühren. Ich soll also dem Leser nicht mein eigenes Ego vor die Augen kotzen. Die Lebensnähe sollte wieder groß geschrieben werden, du solltest mit einfachen Worten große Sachen sagen (das ist auch nicht von mir, sondern von Schopenhauer) - jeder muß dich verstehen! In meinen Geschichten müssen lebendige Menschen vorkommen, je mehr, umso besser. (Wenn du das so siehst, war Jane Austen die erste Social-Beat-Autorin - in ihren Romanen wimmelt es nur von Menschen, die miteinander intensiv verkehren.) Und diese Menschen haben so zu reden, wie sie es auch im Leben tun. Und viel lachen, und viel weinen, die Leser genauso. Ich will keine Beliebigkeit, ich will meine verdammte Meinung haben, auch als Autor, und sie mir aus der Lunge schreien, wenn ich's für notwendig erachte. Ich muß ehrlich sein, und damit meine ich nicht, daß ich die Geschichten so schreibe, wie sie tatsächlich passiert sind: Ich darf nichts verstecken, nichts ungesagt lassen, was mir wichtig ist, nur weil man so was nicht sagt. Robsie Richter hat es in einem seiner Gedichte auf den Punkt gebracht: "...und so viel ist sicher, ein morgendlicher Bierschiß ist kein Klischee, sondern tägliche Realität und ebenso wichtig wie die Luft, die wir alle brauchen, um zu überleben. Und wenn mir jemand sagt, das sei kein bedeutendes Thema, dann soll er sich sein Arschloch zunähen und abwarten, was passieren wird." Da ist es! Je mehr die literarischen Großkotzer in Deutschland ihre Sätze mit vorgetäuschter Bedeutung schwängern werden, um so mehr werde ich klare Sätze zu schreiben versuchen. Sätze so klar wie ihre Tränen, die sie vor Neid vergießen, wenn sie meine Sätze lesen. Ob ich selber ein Social-Beat-Autor bin? Keine Ahnung! Eher nicht. Ich persönlich mag diese Schubladen nicht und bin gegen jedwede Ghettoisierung. Viele meiner Texte haben auch nichts mit Social Beat zu tun. Andererseits hast du am Anfang des Interviews gesagt, "Die erste Liebe" erinnere Dich an autobiographische Texte von Bukowski. Diesen Vorwurf macht man ziemlich vielen Social-Beat-Autoren. In diesem Sinn... Na, ja, es ist eigentlich kein Vorwurf, es ist ein Vergleich, der mich freut. Beleidigt wäre ich, wenn du mich mit Thomas Mann vergleichen würdest. Und wo ich mich sehe? Zuerst vielleicht in der Münchner Poetry-Slam-Szene - dort habe ich auch die meisten Freunde. Und wenn ich ein Social-Beat-Autor sein soll, dann möchte ich mich zu OBF zählen - Olli-Bopp-Fraktion -, wie Roland "Rodney" Adelmann sagt. Und aus der Szene liebe ich Autoren wie: Kersten Flenter, Tuberkel Knuppertz, Roland Adelmann, Olli Bopp, Michaela Seul, Dagi Bernhard, Hartmuth Malorny, Robsie Richter, Jan Off, Bettina Sternberg, Rayl Patzak, Rudolf Proske, Hardy Krüger, und viele andere, die ich jetzt vergessen habe. Wenn wir schon über Social Beat sprechen, sollten wir die Poetry Slams nicht vergessen. In München haben zum Beispiel Rayl Patzak, Ko Bylanzky und Lisa Cameron eine phantastische Veranstaltung auf die Beine gestellt. Im Schnitt besuchen den Slam 200 literarisch begeisterte Zuhörer. Das muß uns noch die etablierte Literatur vorführen, daß sie in einem solchen Maß Leute begeistern kann. Die "großen" Literaten suchen in ihren Hirnen weiter nach Tiefsinn, während wir schon sagen: "Scheiß drauf", und die Leute mit unseren Geschichten und Gedichten unterhalten. Sollen doch die Literaturschwergewichtler ruhig weiter ueber den Tod der Literatur grübeln und schwafeln, was das Zeug hält. Aber ohne uns!

OG: Ich zitiere mal: "Findest Du das nicht absurd? Jetzt ist in Polen Kriegsrecht, wir Polen und ihr Tschechen hassen wieder einmal gemeinsam die Russen, sitzen hier im Sammellager und warten bis uns die Deutschen den beschissenen Asylpaß geben (...) und lassen uns von den Albanern auf die Eier gehen. Verfickte Welt." Ja, ok, Leute reden so. Miller und Bukowski haben damit noch provoziert, aber das ist ja wohl vorbei. Glaubst Du nicht, das sowas nur unnötig bei den Kritikern Punkte kostet?

JK: Die Kritiker, die mir mit so was kommen, gehen mir am Arsch vorbei. Ich will keinen provozieren. Ein Mensch in einem Sammellager redet halt nicht wie ein Germanist. Ach du absurde Welt: In der Glotze schlachten sich täglich Leute ab, die Kinder schauen sich das Zeug an. Abends hockt der Spießer in seinem Sessel und stopft sich voll mit Schweinehaxe, während vor seinen Augen Leute verhungern,.. ständig bauen wir verschiedenes Gerät, um andere Leute damit umzubringen, und keiner schreit auf. Wenn du einmal aber "Ficken" oder "Muschi" sagst, dann entrüstet sich der Bürger. Was sind sie aber, diese Wörter: "Ficken", "Muschi", "Schwanz", "Arsch"?.. Sind doch nur Wörter, Wörter, die genauso zur Sprache gehören wie "Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen" oder "Leistungsausgleich", nur um einiges schöner sind - viel schöner. Nur Wörter... Henry Miller sagte mal: "Obszön ist für mich die Atombombe!" Er war ein kluger Kerl, der Herr Miller.

OG: Ganz und gar nicht zum Schmuddel-Image der Figuren passen Geschichten wie "Als ich zu trinken aufhörte (Part 1)" - eine meiner beiden Favoriten in diesem Bändchen. Plot, "imagery" und "atmosphere", wie es bei der "short story" heißt, erinnern eher an die Romantik, auf die Du auch in "Sommertage" Bezug nimmst. Das ist doch sicher kein Zufall?

JK: Ha! Was ist das? Das Schmuddel-Image? Ist es schmutzig, wenn ein Achtzehnjähriger mit seinem Mädchen ficken will und davon besessen ist? Wo leben wir denn? Im Mittelalter? Okay. "Als ich zu trinken aufhörte..." ist meine Hommage an die Romantik. Doch der Ich-Erzähler in der Story ist kein ätherischer Held. Vielmehr wollte ich eine romantische Kurzgeschichte meiner Zeit schreiben - eine neoromantische Geschichte. Hm, "Sommertage"... Als ein Mann, ein Schriftsteller, die Geschichte hörte, sagte er zu mir: "Das war die frauenfeindlichste Geschichte, die ich je gehört habe." Das hat mir ziemlich viel zu denken gegeben. Später sagte eine Frau aber über diese Story: "Das war die charmanteste frauenfeindliche Geschichte, die ich je gehört habe." Seitdem frage ich nur Frauen, was frauenfeindlich ist und was nicht - keine Männer mehr. Ich hatte mit "Sommertagen" durchaus romantische Absichten gehabt. Hab das Lob der Frau schreiben wollen. Doch zum Schluß der Story ist mir nichts mehr übriggeblieben, als den Ich-Erzähler gnadenlos zu vernichten.

OG: In der Titelgeschichte geht es um die ambivalenten Gefühle der Deutschen gegenüber Asylsuchenden von "jenseits des eisernen Vorhangs" - den es damals noch gab: Man sonnt sich in seiner Gastfreundschaft, aber wehe die Tochter nähert sich "so einem".

JK: Ja. Die Geschichte ist die "symbolischste" des Buches. Wollte an Einzelschicksalen ein bißchen mit Europas Schicksal spielen. Dazu gehört auch der Plot der Story: Bei uns im Westen sind alle willkommen, vor allem, wenn sie als Bettler kommen. Dann begrüßen wir die armen Schweine. Stellen sie sich aber auf die gleiche Stufe mit uns, mögen wir die Leute nicht mehr. So sehen wir vielleicht auch die ehemaligen Ostblockländer oder Ostdeutschland. Wollen wir wirklich, daß es den Ossis so gut geht wie uns? Sind uns Bettler nicht lieber als Partner?

OG: Mein anderer Favorit ist "Stahlstiche", dieses Gemisch aus Bierbesäufnis, Bibliophilie, Liebe und Politik. "Typisch slavisch" möchte ich beide der Lieblingsstorys nennen, wenn ich mir sicher wäre, daß Du und ich darunter dasselbe verstehen. Können wir uns darüber verständigen?

JK: Ich liebe das "typisch Slawische" ja auch. obwohl ich nicht glaube, daß es so was gibt. Ich hab hier in Deutschland eine Menge Leute kennengelernt, die "slawischer" sind, als ich es je sein kann.

OG: Kann es sein, daß ich beide Geschichten gut finde, weil sie beide gute - statt: "schöne"- Liebesgeschichten sind - während "Die erste Liebe" im Vergleich eher eine eher groteske Story über Hormone ist?

JK: Eine ältere Frau sagte mir unlängst, nach der Lesung von "Die erste Liebe", daß sie nicht wußte, daß Jungs mit diesen Sachen solche Probleme haben. Ich meine, diese "Hormone" ätzen manchmal auch an Deinem Hirn. Das solltest Du nicht vergessen. Aber wie ich dazu stehe? Wenn ich "Die erste Liebe" lese, dann lachen die Leute, und das reicht mir, das ist schön, genauso schön wie mit Olli Bopp und Isabel Rox Bücher zu machen.

OG: Das Buch macht Lust auf mehr Konecny. Wie sieht's aus?

JK: Jetzt, wo ihr mir erlaubt habt, Bücher zu schreiben, werdet ihr mich nicht mehr los. Das schwöre ich.


Das Interview wurde im Januar 1997 per E-Mail geführt.

Eine der Kurzgeschichten aus J. Konecnys Buch findet sich auch weiter vorne im Heft.

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