Der
Brennende
Busch


Martin Auer

Ich bin eine Nixe, sagt sie



Ich bin eine Nixe, sagt sie,
ich komm durch die Wasserleitung.
Meine Familie zog aus dem Süden
herauf in die Stadt.
Meine Familie wohnt in einem
Aufzug im achtzehnten Postbezirk.
wenn sie beim Frühstück sitzen,
tunkt immer der Zahnarzt aus dem zwölften Stock
seinen Mantel in ihren Kaffee.
     Und sie sagt:
     O Mann, o Mann, o Mann,
     wie ich dich liebe!
     Und sie sagt:
     o Mann, o Mann, o Mann,
     o Mann, o Mann!

Und im Stadtpark ist es so hell heut,
die Luft ist wie Silber.
Und Baby kriegt Eiskrem
und bekommt einen Erstickungsanfall.
Und eine kleine fliegende Kamera
macht Fotos von uns mit rosa Schleifchen.
Und der Brezelmann geht Pleite
vor unsern Augen.
     Und sie sagt:
     O Mann, o Mann, o Mann,
     wie ich dich liebe!
     Und sie sagt:
     o Mann, o Mann, o Mann,
     o Mann, o Mann!

Das sind vielleicht herrliche Zeiten, sagt sie,
für alles gibt es Gratisgutscheine.
Und gestern hab ich mich versichern lassen
gegen Todesangst und Melancholie.
Und alle haben jetzt Telefon im Auto,
eine Kreditkarte und eine Versicherungsnummer.
Und sogar die Polizisten
tragen Lebkuchenherzen im Haar.
     Und sie sagt:
     O Mann, o Mann, o Mann,
     wie ich dich liebe!
     Und sie sagt:
     o Mann, o Mann, o Mann,
     o Mann, o Mann!

Ich bin eine Nixe, sagt sie,
ich kann nicht ertrinken.
Aber immer, wenn ich Goldfische seh,
wird mir ganz furchtbar schlecht.
Und vielleicht bricht morgen der Frieden aus,
dann gehn wir ganz groß einen saufen.
Und vielleicht bricht er nicht aus,
aber das erfahrn wir dann schon.




Aus: "Lyrikmaschine"
von
Martin Auer




© 1996 Der Brennende Busch ~ Alle Rechte vorbehalten

 

Der Brennende Busch ARCHIV!