Editorial


Auf der Info-Seite ist die Rede davon, daß wir nicht erklären wollen, was wir unter guter Literatur verstehen, weil wir, einmal angefangen, damit nicht wieder aufhören könnten. Das stimmt zwar uneingeschränkt, aber es ist wohl nicht gerechtfertigt, daraus den Schluß zu ziehen, man brauche es gar nicht erst zu versuchen. Glücklicherweise gibt es keine permanent gültigen Antworten auf die Frage, was gute Literatur ausmacht, denn es ist genau dieses Wechselhafte, dieses Unentscheidbare, dieses endlos neu deutbare, das die Beschäftigung mit ihr so faszinierend macht.

Und vielleicht läßt sich damit auch die Funktion des brennenden Busches umreißen: Nicht, wie sein biblischer Vorgänger, unberirrbar Wahrheiten zu verbreiten, weise und unwiderlegbar dogmatisch das Wahre, Schöne, Gute vom Unfug trennen, sondern vielmehr - ohne sich selbst zu verzehren - zwischen seinen Autoren, Künstlern, Lesern und Herausgebern eine Unterhaltung zu entfachen über das, was gute Literatur ist.

Unterhaltung. Dieses Wort ist mit Bedacht gewählt. Nicht Diskurs, nicht Diskussion, nicht einmal Dialog. Nein: Unterhaltung. Denn der Busch besteht als ein Angebot unter Tausenden im World Wide Web, genau wie Literatur ein Angebot unter Tausenden ist in der Welt; eine Sache unter unzähligen, mit denen wir unsere Zeit verbringen mögen, so wie Rollerblade-Fahren und Töpfern. Unterhaltung, weil ich meine, daß Literatur, die gut ist, genauso spannend sein kann wie Jurrasic Park, genauso gefährlich wie Bungee-Jumping und schneller als Rotterdammer Techno. Daß Literatur, die gut ist, genauso spannend, gefährlich, schnell und aufregend sein muß wie das Leben dort draussen, wenn sie irgendetwas damit zu tun haben will.

Wie so oft ist natürlich genau das Gegenteil ebenfalls wahr. Traurige, einsame, furchtbar lange und scheinbar langweilige Geschichten, Gedichte die weh tun und hässliche Auswüchse aus der Feder von übermäßig gebildeten Säcken können viel interessanter - besser - sein als jeder hippe postmoderne Wahnwitz. Kein Stil, keine Masche oder Strömung kann aus einer schlechten Geschichte eine gute machen: Es geht darum, wieviel uns das, was wir da lesen, bedeutet, und wenn uns alles ganz egal ist, dann hat der Autor halt versagt, da helfen auch schöne Worte und Wendungen und alle Interpretation der Welt nichts.

Für den brennenden Busch ist Literatur wie Töpfern: Jede Geschichte, jedes Gedicht, ist ein kleines Ding, ein Objekt, vielleicht ganz nützlich um eine Rose hineinzustellen, oder auch nur etwas merkwürdiges, das man sich mal genau von allen Seiten anschaut und dann auf dem Kaminsims läßt, von wo aus es dann das ganze Jahr über das Treiben im Wohnzimmer beobachtet. Diese Seiten hier sind voller kleiner Objekte, von unseren Autoren und Künstlern gemacht, als Geschenke an uns alle. Kunst, das ist, wenn wir Dinge machen, die wir uns gegenseitig zeigen. Das World Wide Web, das ist eine Art Ort, wo wir uns allerhand von dem, was wir gemacht haben, zeigen können.

Wir vertrauen darauf, daß das, was es hier zu sehen gibt, die Zeit wert ist, die man braucht, um es zu betrachten.

Jürgen Fauth


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