WANDLER, Zeitschrift für Literatur, Nr. 29

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Lutz Villwock

Ibbi

Huberts Stofftiere ruhen allesamt am Rande seines Bettes. Oberhalb des Kopfkissens - auf seiner Seite, nicht auf Julias - die kleineren. In der Ecke, dort wo sein erster Morgenblick hinfällt: Ibbi. Ibbi ist der Chef, der klügste, ,der Streit schlichtet und ein Machtwort spricht: wenn es sein muß. An der Seite, an seiner Seite, liegen die größeren oder sitzen, an die Wand gelehnt. Alle wie sie da sind schauen sie ihn an; nur die freche Lolo nicht, die immer mit den Gedanken woanders und nie bei der Sache ist. Sie starrt ihm meist unverwandt auf die Füße, manchmal dreht sie sich zur Wand: ihm den Rücken zu.

Ibbi ist der Chef, weil er am längsten bei ihm ist. Ibbi ist alt. Er hat Hubert schon getröstet, als er allein in seinem Bettchen lag, sich nichts sehnlicher als die Brust wünschte: nicht um sich zu sättigen, sondern der Wärme und Weichheit wegen, seine Händchen suchten Halt.
Die anderen kamen Jahr für Jahr, dreißig Jahre lang, hinzu. Die jüngste ist die grünhaarige Narkara mit ihren langen Ärmchen und Beinchen. Ibbi macht es nichts aus, daß Narkara Huberts aktuelle Favoritin beim Sex ist; er schmunzelt, wenn er dabei zusieht: wie tapsig Narkara ihre daumenlosen Pfötchen gebraucht und mit heiserem Stimmchen einer Leidenschaft Laut verschafft, die Ibbi für stark übertrieben hält. Im Gespräch hält Narkara sich zurück; das wollte Ibbi ihr aber auch geraten haben!

Oliman ist ein angenehmer Diskutant, sehr aufmerksam; er denkt mit und findet die richtigen, versöhnlichen Worte, wenn die Debatte zu hitzig wird oder gar in einen handfesten Streit zu münden droht. Ibbi liebt Olimans honigweiche, kehlige Stimme, die alle Konsonanten samtig und gefällig, die Vokale rund und klingend formt.

Die freche Lolo hat es ständig auf Ima abgesehen. Ima war Narkaras Vorgängerin, was Huberts Sex betraf. Imas Platz ist zur Rechten Ibbis, dort ist sie einigermaßen sicher vor Lolos Unverschämtheiten und Frivolitäten; wenn Ibbi nicht gerade sehr beschäftigt ist. Ima macht sich eigentlich nichts aus den Anzüglichkeiten, sie ist sehr gutmütig. Am besten versteht sie sich mit Umu, der ihr helles Lachen ebenso zu schätzen weiß wie ihr stets wache Bereitschaft zum Schmusen. Bei Gelegenheit legt sich Ima auf Umus Bauch und rudert mit den Armen, was Umu regelmäßig ein wohliges Knurren und Grunzen entlockt. Sie kümmern sich dann gar nicht um Lolos schmutzige Witze und lassen sich viel Zeit: sie wissen, daß Hubert auf Ima wartet, bis er an der Reihe ist. Oder er macht es mit Julia.

Die freche rote Lolo war allerdings die einzige, deren Berührung Julia zuließ. Anfangs war Julia freundlich zu allen, besonders zu Oliman; den kleinen Ibbi aber hatte sie geradezu ins Herz geschlossen. Hubert hatte nicht verstanden, was in sie gefahren war, als Julia den Chef inmitten der fröhlichsten Unterhaltung - an der Julia teilnahmslos vorbeisah - packte: und Ibbi quer durch das Schlafzimmer an die gegenüberliegende Wand schleuderte. Ibbi zog sich beim Aufprall einige Verletzungen zu; sein linkes Auge hätte er fast verloren, der linke Arm hatte eine Beule, die nicht heilen wollte und eine seiner Nähte, die im Schritt, war zwar nicht vollständig aufgeplatzt: aber doch fast.

Seit dieser Nacht hatte sich etwas geändert zwischen Julia und Hubert. Seinetwegen konnten sie Sex machen wie gewöhnlich, aber Julia war ihm fremdgeworden. Als sie sich von ihm trennte, war er fast froh, jedenfalls nachdem er begriffen hatte, daß er mit sich und den Seinen sehr, sehr zufrieden sein konnte. Und dann hatte er Nicki kennengelernt, die erst zwanzig war. Und Nicki küßt Ibbi. Auf den Mund.


Lutz Villwock

aus Kuddls bürgerlichem Leben zwischen den Straßen

“Du siehst aus”, sagte Kuddl, “wenn du vor der Balkontür stehst, kitschig, wie ein Kitschbild; die Sonne steht neben dem Speicher, bevor sie in die Elbe fällt.
Dein Haar glänzt. Wie Rotgold bei Wempe unter Halogen.”
Der schwarze Hund wußte zu schweigen.
“Zieh dich nicht an”, sagte Kuddl, “bleib stehen.” Fang jetzt nicht an, den Ring an deinem Finger zu drehen, leg ihn besser ab; oder nicht? Die Sonne wird breiter, wenn sie sich auf das Wasser legt und trinkt rote Farbe; fast bis sie platzt. Vielleicht platzt sie wirklich und es gibt jeden Morgen eine neue. Deine Zehen waren grellrot lackiert, jetzt glühen sie, warm , warm wie? ich weiß nicht wie, doch ich weiß es, aber es gibt kein Wort dafür, sowieso nicht; keinen Gedanken. Du drehst den Kopf, ich sehe dich. Ich sehe dich zum erstenmal.
Der Schwarze spitzt das Ohr.
“Warum sagst du nichts?” sagt sie, “was schaust du so?”
Ein Windhauch schlängelte durch das feuchte Weiße auf dem Ständer auf dem Balkon.
“Nun sag doch schon was.”
“Du bist schön”, denkt Kuddl, “das kann nicht gutgehen”.

Lutz Villwock

Kuddl

Kuddl macht wieder Platte. Mona hat ihn rausgeworfen. Der Hund, der Schwarze, geht mit Kuddl. Er will allein bleiben. Er war bei den anderen, unten, am Containerschrottplatz, wo sie bleiben dürfen, “wir sehn hier nach dem rechten”, sagen sie, dafür bleibt die alte Kiste stehen. Dach überm Kopf.” Die Hälfte von der Seitenwand fehlt: “Sind wir nicht so eingesperrt”, sagen sie. Aber Kuddl bleibt nicht, er will nur, daß sie wissen, daß er zurück ist. Daß mal einer nach ihm fragt. Ist besser so.
Kuddl träumt oft von Mona. Nicht von der Wärme ihres Körpers, höchstens von ihrem Haar, dem weichen. Er sieht ihr dabei zu, wie sie ihm die Haare schneidet, sieht sich selbst zu, wie er in den Spiegel schaut und ihre Finger beobachtet, die, wie aus eigener Überlegung aber in gegenseitiger Absprache die Schere führen, den Kamm halten. Er träumt ihre Sprache; wenn sie ihn ruft, wenn sie mit ihm streitet, wenn sie schluchzt. Kuddl möchte träumen, wie Mona lacht, aber es gelingt ihm nicht. Ein Lächeln, ein Ansatz zu einem Lächeln, dann sieht er nur noch ihre Augen, dann ihre Finger mit der Schere, dann ist sie fort und er wacht auf. Wenn er aufwacht, hat ihn der Schwarze mit der Schnauze in die Rippen gestupst und schaut ihn an.
Kuddl wacht auf, als der Regen einsetzt. Erst hört er das weiche, rauschende Plätschern, das die windstill schnürenden Tropfen beim Eintauchen im Kanal erzeugen, dann spürt er die Feuchtigkeit in seinem Haar. Der Schwarze liegt mit offenen Augen neben der Streusandkiste. Kuddl richtet sich auf, langsam, mühsam, seine linke Hand stützt sich auf die Tasche und tastet sie gewohnheitsmäßig auf Vollständigkeit des Inhalts ab. Er fingert die Kapuze aus dem Kragen und zieht sie nachlässig über den Kopf. Der Traum ist frisch und klar, in dem er mit Mona im Regen Hand in Hand am Kanal schlendert, sie sprechen nicht, sie streiten nicht, der schwarze Hund, der immer nur sein Hund ist, läuft voraus und zurück wie ein Kind. Kuddl findet zurück zum Schrottplatz, die anderen sind nicht da, keiner von ihnen. Kuddl sucht nicht Schutz im Container, der Regen ist weich und warm und die Luft ist seltsam klar. Kuddl setzt sich auf den großen Reifen, der noch warm ist von der Sonne vor dem Regen; er lehnt sich mit dem Rücken an eine rostige Badewanne, die kopfüber im öligen Erdreich halb versunken ist. Der Schwarze legt seine linke Vorderpfote auf seinen Schenkel. Mona ist wieder bei ihm.
Er muß immer die Haare waschen, bevor Mona sie schneidet. Er spürt ihre kühle Hand an seiner Wange, an seinem Ohr. Berührung, die sich ergibt, weder gewollt ist noch zufällig. Er hört die Schere an seinem Ohr; Mona spricht nicht beim Haareschneiden, kommandiert seinen Kopf mit unwiderstehlich sanftem Druck nach oben nach unten, daß er den Spiegel mit seinem Bild aus den Augen verliert und nur noch hört und spürt und im Traum eine Vorstellung von Mona und sich selbst hat, ohne zu sehen, ohne Gesicht.
Regen verdünnt sich zu zartem Niesel. Sonne tastet sich durch Dunst. “He”, sagen die anderen, “da ist Kuddl; he Kuddl, komm rein, das fängt gleich wieder an zu pissen.” “He”, gröhlt ein anderer, “was ist, solln wir dich holen.” “Schwarzer, bring den Herrn!” Und sie lachen.
“Laß man”, sagt einer und: “Scheiße” und: “Der ist hin”.