WANDLER, Zeitschrift für Literatur, No 29

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Silke Rosenbüchler

Barbie

Ich sollte aufhören, diesen Glenfiddich in mich hineinzuschütten. Erstens bin ich harte Getränke nicht gewöhnt, und zweitens wird die “Sache” dadurch bloß verworrener. Und wenn ich von dem Fusel auch noch Kopfweh bekomme, drehe ich endgültig durch. Dabei ist im Grunde genommen gar nichts passiert, außer, daß ich ein paar Bilder gesehen habe. Bilder, die, richtig zusammengefügt, einige bitterböse Interpretationen erlauben. Natürlich kann es ein Zufall sein. Synchronizität, oder wie das Zeug heißt. So, wie ich den dicken schwarzen Käfer in meiner Küche gesehen habe, nachdem ich einen Artikel über eine Insekteninvasion gelesen hatte. Vorher und nachher ist nie so ein Exemplar aufgetaucht.

Also, wo soll ich anfangen. Ich meine, ist ja ´ne ziemlich komplizierte Geschichte, und reingeschlittert bin ich nur, weil ich ein paar Vorurteile testen wollte. Das Vorurteil mit den schlechtesten Folgen für mich war, daß Frauen über 30 keinen knallrosa Lippenstift verwenden sollten, worauf meine Mutter mich aus unserer Ein-Zimmer-Bude schmiß - aber das ist nebensächlich. Dann erschien es mir interessant, die Aussage zu testen, WU-Studenten seien steif und phantasielos - ersteres im Leben und letzteres im Bett, nicht umgekehrt. Die sicherste Methode, herauszufinden, ob das stimmte, war, sich in die WU-Mensa zu setzen und dort ein Probeexemplar aufzureißen. Zwar ist einer statistisch gesehen nicht relevant, aber irgendwie mußte ich ja anfangen. Ich schmiß mich also in meine tollsten Klamotten und suchte an meinem freien Mittwoch die WU´sche Studentenabfütterungsstelle auf, um mein Versuchsobjekt zu ködern. Die Strategie ist relativ simpel: Typ raussuchen, Futter holen, dazusetzen, anfangen zu quatschen. Natürlich brauchte frau ein paar Versuche, ehe einer anbiß, aber Minimundus war auch nicht an einem Tag erbaut worden.

Der Knabe, der mir letztendlich ins Netz ging, war groß, sportlich, dunkelhaarig, das eher kantige Gesicht glatt rasiert und mit zwei furchtbar ernsten und verantwortungsbewußt dreinblickenden Augen bestückt. Außer im Bett und unter der Dusche trug er immer Krawatte, und lachen hab’ ich ihn eigentlich nie gesehen. Das käme von seinen permanenten Kopfschmerzen, meinte er. Als ob ihn ein schwerer Helm erdrückte. Da helfe nur mehr Valium. Ansonsten redete er über Börse, Weltbank und Weltwirtschaft. Alles, was ich tun mußte, war, zu seinem Geschwafel zustimmend zu nicken. Den ersten Teil der Aussage fand ich also voll bestätigt, und um den zweiten zu prüfen, brauchte ich einen Monat Zeit, drei neue Kleider und einen gültigen Aidstest. Dann aber hatte ich es geschafft: Er nahm mich das erste Mal in seine Ein-Mann-Gasonaire mit.

Was ich erwartet hatte, weiß ich nicht, was aber mich erwartete, werde ich mein Lebtag nicht vergessen. Naja, das Barbie Bettzeug störte mich noch weniger, das konnte wirklich ein Geschenk seiner kleinen Schwester sein, die ihn gestern besucht hatte, um zu sehen, ob er es auch wirklich verwende. Daß sie aber ihre Barbiepuppensammlung bei ihm deponiert haben sollte, samt Barbie-Haus und Barbie-Auto, schön gleichmäßig über die Wohnung verteilt, hielt ich denn doch für übertrieben. Selbst auf dem Klo hatte er ‘ne Puppe, auf dem Spülkasten - mit Barbiedessous und hohen Stiefeln. Also, entweder hatte er einen Tick auf seine Schwester oder auf Barbiepuppen. Und hatte meine Freundin nicht unlängst erst gekichert, wir zwei sähen aus wie Barbie und Kent?

Zwei weitere Versuche hatte er noch, diese aber in meiner Bude und ohne Barbiepuppen unter dem Kopfpolster. Die Trennung von ihm fiel mir danach nicht schwer. Er schien es auch nicht sonderlich tragisch zu finden, außer, daß er nachher noch etwas ferngesteuerter wirkte als sonst.
Nach diesem Abenteuer ließ ich die WUler mal WUler sein und erschloß mir ein neues Jagdrevier, um einem weiteren Vorurteil nachzugehen: Waren Schwarze wirklich stärker gebaut?

In der Afro-Bar, die ich mir für diese Zwecke ausgesucht hatte, war eine andere Strategie vonnöten: abwarten und Mangosaft trinken. Das größte Problem waren diejenigen, die mit ihrer Eblackizipation zu kämpfen hatten: die einen warfen mir vor, nicht mit ihnen tanzen zu wollen, weil sie schwarz wären, die anderen behaupteten, ich käme “Bimbos gaffen”. Da ich mir für einen weiteren Versuch einen sympathischen Kerl aussuchen wollte, war ich nahe dran, entnervt das Lokal zu wechseln. Schließlich kam doch noch ein netter Kerl daher, schwarz wie Ebenholz und dezent genug, den ersten Kontakt mit den Augen zu knüpfen.

Nachher hatten wir ein tolles Gespräch über Diskriminierung und darüber, daß jemand erst dann wirklich gleichberechtigt sein kann, wenn mensch ihn bedenkenlos anschnauzen darf. Ja wirklich, überleg’ das mal: Da steht so ein ekelhafter Typ, den du gerne so richtig fertigmachen würdest, und du tust es nicht, nur weil er...was weiß ich was... im Rollstuhl sitzt. Dabei ist der vielleicht genauso widerlich wie einer, der “ganz normal” ist, und dem du schon längst eine geknallt hättest. Aber lassen wir das. Aus meinen vorherigen Erlebnissen klüger geworden, schleppte ich ihn zunächst zu mir ab, zumal er meinte, daß sein WG-Genosse ein wenig eigen wäre. Die nächste Zeit also tanzten wir gemeinsam den Kaisermühlenblues und ich vergaß fast, warum ich mir den Knaben angegrinst hatte, obwohl er wirklich ein Prachtexemplar zur Unterstützung meiner Hypothese war. Na, wahrscheinlich hat bloß mein Unterbewußtsein den richtigen ausgesucht. An meinen ersten Test-Trip wurde ich erst wieder erinnert, als mich mein Black Beauty heute doch noch in seine Großstadt-Hütte mitnahm. Sein Zimmer war ja noch halbwegs normal, wenn mensch von diversen Affen-auf-Klo-Poster absieht, die er zu sammeln schien. Wir sind also heftigst am Schmusen, da verläßt kurz vor Mitternacht sein Mitmietenzahler ihr gemeinsames Domizil. Ich blicke kurz auf und glaube zu träumen, was ich durch die für den Bruchteil einer Sekunde geöffnete Tür zu sehen glaube: Barbiepuppen. Das durfte doch wohl nicht wahr sein! Scheinheilig bat ich Blacky, mir doch einen Tee zu kochen, jetzt auf der Stelle, ich würde sterben für eine Tasse Tee.

Kaum allein, pirschte ich mich schon an die Tür zu dem ominösen Raum an. “Früchtetee oder Schwarzer?” - “Äh - Früchtetee, bitte!”- Langsam, um nur ja kein verdächtiges Geräusch zu produzieren, öffnete ich die Tür - verdammt noch mal, was mußte ich auch so neugierig sein! Warum konnte ich nicht friedlich auf meinen Tee warten, Zimmer Zimmer sein lassen und mir lieber überlegen, wohin ich Blacky als nächstes küssen sollte, um ihm einen Schauer über den Rücken zu jagen? So aber rann mir ein Schauer durch den ganzen Körper, aber kein angenehmer, das kann ich euch flüstern. Ein paar Sekunden nur hatte ich Zeit, mich in dem Raum umzusehen, ehe der bleichste Schwarze, den ich je gesehen hatte, mich mit vor Angst weißleuchtenden Augäpfeln zurückriß und mit zitternder Stimme etwas von “Abhauen” und “Voodoo” stammelte.

Tja, und als nächstes hab´ ich mich in dieser Bar wiedergefunden, mit einem scheußlichen Whisky vor meiner Nase, schaue dem Kellner beim Getränkeshaken zu und versuche, mir keinen Reim auf das zu machen, was ich gesehen habe. Am besten gar nicht erst nachdenken darüber, alles vergessen, das Plakat für Entwicklungshilfe, von Pfeilen durchbohrt, von den Resten zerplatzter Tomaten verunstaltet; die Reihe von Kents, mit goldglänzenden Hauben versehen, an denen Drähte hervorwuchsen, die mit einem Computer verbunden zu sein schienen; die Bilder von jungen, aufstrebenden Männern, soviel Bilder wie Puppen, manche kannte ich aus diversen Wirtschaftszeitungen, und einer davon war mir besonders vertraut - richtig, mein VersuchsWUler.
Hoffentlich gelingt es Blacky, alle Haare, die ich auf Kopfpolster und Kleidung hinterlassen habe, rechtzeitig zu vernichten. Ich hab’ wirklich keine Lust, herauszufinden, daß meine Vorurteile über Voodoomeister stimmten. Aber solange ich keine Kopfschmerzen hab’, geht die Sache O.K., denke ich. Hoffentlich.