WANDLER, Zeitschrift für Literatur, No 29
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Max Dernet
Sissy und der Freudomat
........ Der sogenannte "Freudomat" ist ein von einem
Holzvergaser angetriebener Psychoanalytiker aus verzinktem Blech. Sein Korpus
besteht aus dem Dampfkessel, einer Feuerung mit Ofenklappe und der durch ein
Paravent gegen die Hitze isolierten Ottomane für den Klienten. Zwei bewegliche
Linsen glotzen auf den Ratsuchenden, ein Messingmund speit während der
betriebenen Analyse begütigende und zur weiteren Aussprache ermutigende
Füllsel aus wie: "hmmm", ‘ich verstehe‘, ‘können
sie mir das genauer beschreiben‘, ‘was empfanden sie dabei‘.
Eine Sitzung wird allerdings erst möglich, wenn der Klient den Rost der
Feuerung von Asche gesäubert, neues Spanholz, frische Kohlen aufgeschichtet
und ein ordentliches Feuer entfacht hat. Ein Druckmesser zeigt, ob der Freudomat
auf Analysetemperatur hochgefahren ist. In diesem Fall dröhnt die Dampfpfeife
auf seinem spitz zulaufenden Schädeldach und signalisiert den Beginn der
Therapiestunde.
Vor dem Freudomaten steht in diesem Augenblick eine dunkelhaarige, junge Frau
in braunsamtenem Reitkleid, ein langer, weiter Rock mit schwarzer Schleife am
Hinterteil, darüber trägt sie eine taillierte Jacke mit engen Ärmeln.
Sie bückt sich über die Ottomane und prüft, mit zwei Fingern
ihrer Rechten in das rote Leder stoßend, die Elastizität der Polsterung.
Dann schaut sie mit der makellosen Höflichkeit Höhergestellter auf
den Freudomaten und sagt “Ich bin Elisabeth, Kaiserin von Österreich.”
Der Freudomat rollt verwundert mit den beweglichen Linsen: “Sind sie nicht
erstochen worden?”
“Habe ich deswegen weniger Anrecht auf seelischen Beistand?” fragt
die Dame ungehalten. Wer immer sie ist, was immer sie ist, sie weiß zumindest,
was sie will.
Der Freudomat zögert ein wenig mit der Antwort: “Nein, äh...
im Gegenteil! Sie müßten nur höchstselbst Holz nachlegen, um
mich auf Betriebstemperatur zu bringen. Wir haben hierzulande keine Domestiken.”
Die junge Frau macht sich ohne Zögern an die notwendigen Hantierungen.
Geschickt wie eine Hausmeisterin rüttelt sie die Asche in den Kasten, knüllt
Papier, schichtet Späne drüber, bläst die Glut auf und schiebt
Scheit um Scheit in das prasselnde Feuerloch des mechanischen Seelenerkundlers,
bis dieser mit einem zufriedenen Seufzen sagt:” Nun, das sollte für
eine Anamnese reichen. Legen sie sich auf die Ottomane und entspannen sie.”
Die Kaiserin nimmt züchtig Platz auf dem Ledermöbel. Pfauchend und
zischend läuft der Analytiker an. “ Hatten sie jemals Probleme mit
ihrer Vagina?” Sissy zuckt indigniert zusammen und schlägt die Schenkel
übereinander. “Ich nicht”, sagt sie und betont das ‘ich‘
dabei. “Sie ist mir seit jeher vertraut; ich kann mich mir ohne dieses
Organ eigentlich gar nicht vorstellen.”
“Ach, tatsächlich! Hatten sie Eltern?” legt sich der Freudomat
in die erste tiefenpsychologische Kurve.
“Ich erinnere mich nicht genau, ich dürfte wohl welche gehabt haben.”
antwortet die junge Frau und räkelt sich mit rollenden Schultern in eine
bequemere Lage.
“Nun für gewöhnlich...”, entgegnet der Seelengründler
bedächtig, aber Sissy unterbricht ihn: “Jedenfalls war ich irgendwann
ein kleines Mädchen, eine Kindheit müßte ich demnach durchlebt
haben. Das ist auch nicht weiter verwunderlich, denn eine solche widerfuhr eigentlich
jedem gewesenen Kind, sogar dem kleinsten Hüttler aus dem Waldviertel.”
Der Psychomat, zufrieden, den Redefluß der neuen Klientin entfacht zu
haben, entgegnet nur:”Erzählen sie mir mehr darüber!”
“Über meine Kindheit ? Ich glaube, Blechmännchen, du willst
bloß Zeit gewinnen! Aber gut, ich werde dir Auskunft geben: Ganz am Anfang
meiner Eindrücke lebte ich in einem großen Haus, an einem See, zwischen
bewaldeten Bergen. Das Haus hatte einen großen Salon, mit vielen geschwungenen
Möbeln darin, die Sessel waren mit rot-weiß gestreiftem Stoff überzogen.
Dort nahm mich ein dicker Herr oftmals auf seine dicken Knie und ließ
mich darauf hüpfen, was mir nur bedingt gefiel, ihm aber sehr. Ich glaube,
dieser Herr hatte Probleme mit meiner Vagina. Doch nun einmal zu dir, du impertinentes
Blechwesen, kennst du deinen Erbauer? “
Der Freudomat antwortet, zögernd, denn das Holz ist fast heruntergebrannt.
“Ich denke schon, ja. Wenn Sie mich gütigst in näheren Augenschein
nehmen wollen: An meinem Kessel ist ein Messingschild aufgenietet:
„Konstrukteur und Eigentümer:
Solemnius – derz. Ortsgenie
Salmdorf/Oberbyzantinien
jede Nachahmung dieses Gerätes wird unnachsichtig verfolgt“
steht darauf. Dabei dürfte es sich um meinen Hersteller handeln.”
Lebhaft entgegnet die Kaiserin: “Wie spaßig! Ich kenne einen k.u.k.
Ingenieur namens Solemnius, noch aus den Tagen meiner Kreuzfahrten um die Insel
Tofu vor der Bredouille. Er modernisierte damals den Blasebalg meiner Segeljacht.
Könnte es sich hier um ein und dieselbe Person handeln?”
Solemnius, durch den Nominator herbeigerufen, einer Vorrichtung, die immer dann
Alarm auslöst, wenn der Freudomat seines Erbauers Namen nennt, betritt
die Szene. Sein Blick geht besorgt über die Armaturen des Dampfanalytikers,
dann über die auf der Ottomane lagernde Frauengestalt. Da erhellt ein von
tiefem Erstaunen begleitetes Erkennen seine besorgte Miene. “Welche Überraschung!
Kaiserliche Hoheit, sie hier im Repetitorium? So belieben sie doch liegen zu
bleiben. Sie wurden anderweitig erstochen, hört man ?”
Die Freude über das unverhoffte Wiedersehen auf Sissys Gesicht erlischt.
Sie antwortet ausweichend: “ Nun ja, in jedem Gerücht ist wohl ein
Körnchen Wahrheit zu finden.”
Solemnius versteht. Er wechselt flugs das Thema: “Konnte ihnen mein Freudomat
helfen? Falls nicht, ich habe auch noch einen jungschen Archetyftler oder einen
Minderwerter nach Adler anzubieten. Diese Geräte stehen allerdings in den
Ausstellungsräumen meiner Werkstatt drüben in Salmdorf und müßten
erst auf den neuesten Stand gebracht werden.”
Die Kaiserin antwortet, schon wieder gewohnt huldvoll: “Ich bin recht
angetan von diesem Freudomaten. Unser Blechfreund hier ist zwar ein arger Spintisierer,
doch auf der Ottomane liegt sich‘s bequem. Und das geheimnisvolle Gerede
vom Unterbewußtsein ist so angenehm grauslich wie die Geschichten vom
Krampus, als wir noch Kinder waren. Ich bin wirklich rundum zufrieden. Die Reise
hinüber läßt sich gut an.”
“Ich habe noch kein Wort über den psychischen Apparat verloren!”
protestiert der Freudomat, um in professioneller Hartnäckigkeit fortzufahren:
“Sie erwähnten soeben ihre Kindheit. Also erinnern sie sich definitiv
an diese Lebensphase? Das müssen wir nun genauer herausbekommen. Denn Kindheit
ist der Ort, an dem diejenigen Mythen entstehen, die unser Leben lang gelten.
Kindheit ist, kurz gesagt, immer, wenn wir glauben.”
“Eine schmucke Definition haben Sie sich da zugelegt”, erwidert
die Kaiserin spöttisch. “Ob ich eine Kindheit hatte? Ja, ich glaube
wohl! Ich sagte das bereits, eine fürstliche Kindheit muß das gewesen
sein, eine mit allen Schikanen! Sogar ein Pony hatte ich und welches frühere
Kind kann das schon behaupten? Bloß wird die ständige Fragerei nach
mir als kleinem Mädchen allmählich fad. Und Holz nachlegen will ich
auch nicht mehr. Außerdem: auf die Bezeichnung ‘psychischer Apparat‘
für mein kompliziertes kaiserliches Seelenleben in all seiner Flüchtigkeit
und verschlungenen Vielschichtigkeit kann nur ein Blechkopf wie du kommen. So!
Genug der Psychologie!”
Die Kaiserin stellt flink ihre in schwarzen hohen Schnürstiefeln steckenden
Beine auf den Boden, springt von der Ottomane auf und hüpft davon wie eine
Wenigjährige.”Warten sie doch, Herr Ingenieur”, ruft sie dem
am Horizont unserer Geschichte gerade noch ersichtlichen Erfinder nach. “Seien
sie so lieb und zeigen mir das sagenhafte Oberbyzantinien und auch ihre Werkstatt
mit den anderweitigen Analytikern. Vielleicht ist da einer nach meinem Gusto
darunter, so ein Streichler und Tröster, wissen sie !”