WANDLER, Zeitschrift für Literatur, No 29

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Christa Brauner

Melissenträume

wenn man nach dem abendessen
da man bald schlaffengehe
von melissen isset
so kommen im schlaffe allerhand vorbildungen für
die man sich nicht lustiger wünschen sollte
denn da siehet man felder lustgärten blühende wiesen
und deucht einem das ganze land sei grüne geworden
mit lieblichen angenehmen schatten untermischt
und wenn man umhersiehet
so ist gleichsam die ganze welt im frühling

Frischgetischlerte Holzbankln riechen harzwürzig über margaritene Wiesen, darüber ziehen sanft die Wölkchen hin. Biensgesumm. Anna hat sich ins Dirndl geknöpft und gehakt, Blau mit Gold wie Himmel, Miriam in schwarzen Fransen hebt das Bleichgesicht der Sonn entgegen, der prallen.
Hunde, große und kleine, schwarzrassig mit schönen Zähnen und saubern Lefzen, fressen Bratwurstrestln von senfigen Papptellern. Die Würstlbuden spucken fettigen Rauch in die laue Luft, Bier schäumt in weiße Plastikbecher. Spatzen picken die Brösel von der Tischplatte, zankend zwischen trocknenden Bierpfützen.
Blasmusik, fesche Mannsbilder in roten Jacken tun sich kund, blasen aus vollen Backen in glitzerndes Metall. Kleine Schweißtröpfchen perlen von Stirnen und Oberlippen. Ein dunkler Knabe singt feinen Alt. Fähnchen flattern erregt vom Gestänge, von hüben und drüben grüßt der Berg. Dann werden die Hendln auf den Spieß gespießt, der Obmann des Schützenvereins, der Obmann der Jagdbruderschaft, Reden haltend, hunderte Uniformierte, Ordensbrust an Ordensbrust, blicken ernst. Anna kichert leis in die Rednerpausen hinein. Pscht.
Zwei Mädchen in Häubchen lächeln durch die Reihen, schenken Schnaps aus kleinen pelzigen und großen glatthalsigen Flaschen. Gesetzte Matronen in Krinolinen, geleibschnürt, spannen Schirmchen auf. Des is die Jüngste vom Filzmoser, von der oberen Leitn. Geht a scho in die
Obstbauschul. Gehst weida. Hot sie außaputzt, s‘Dirndl. Kirtog. Prost. Dassworis. Die am lustigsten lacht. Die mit die Griaberln. Aber sie waß no nix davon. Die Älteste vom Filzmoser ist auch nimma die Jüngste. Wie haßt denn die. Mariann? Marei? Annemarie, Mirl. A Kind hats a. An Buam an klan.
Anna beißt einem Würstel die Spitze ab, achtet nicht auf das Fettige, das ihr am Kinn herunterrinnt.
Der Kaplan wagt ein Tänzchen. Des hätts früher net gebn. Meinst kann man den aufreißen, sagt Miriam versunken. So a junger Kaplan a fescher. - Kannst es ja versuchen. Anna atmet den Frühling ins Hemd, warm und feucht, lehnt den Rücken an trutzigem Tannenstamm. Vielleicht riecht der ja nach Zigarrenrauch, Keuschheit, Lavendelseife Veilchen Limonen, vielleicht noch nach Heiligkeit, nach sowas Geweihtem, Weihrauch und Myrrhe, sodaß man schier um den Verstand. Die Arme links und recht gestreckt vom Körper wie Kreuz. Sie sollen doch alle eine heimliche Freundin. Oder auch mehrere. Man weiß ja nichts Genaues. Von wegen. Inoffiziell.
Nach Kichern ists ihr jetzt, nach singend perlndem Gelächter. Applaus. Die Danksagungen. Tusch. Der Kapellmeister läßt sein Stöckchen über die rote Schulter zucken. Geschunkelt.
Glasige Augen in röter werdenden Gesichtern, verlieren allmählich den Halt in der Menge. Anna schließt die ihren, läßt den brandenden Lärm auflaufen, an Brustbein Bauchfell oder wo. Hände, behaarte, so leibhaftige, überall am mageren Vorderleib, die wärmer machen und heißer. Annas ungemachtes Matratzenbett unter freiem Himmel in warmen Sommernächten. Der kleine Kaplan in weißen Jockeyunterhosen, taucht ein zwischen zerfledderte Bücher, fleckige Zettel, Eierbecher, Kaffeetassen und Marmeladegläser. Wühlt sich durch gebrauchte Hemdchen Höschen Strümpfchen, kümmert sich nicht um ihren Schlaf, zieht ihr das Kleid über den Kopf. Manchmal sind seine Spiele ein wenig roh. Dann ist sein Körper massiger als sonst. Er nähert sich ihr mit prankenartigen Handbewegungen, zerrt ihre Beckenknochen auseinander, drückt ihr die Knie bis an die Ohren.
Manchmal aber ist er fast durchsichtig, stößt zärtliche Laute aus an der Grenze der Hörbarkeit und füttert ihre Magerkeit mit magischen Essenzen. Im Büro ist Anna stets abwesend, liest geheime Botschaften auf dem Bildschirm, die alle irgendwie der Bibel entnommen scheinen, rosarote Schriftzeichen, die fallweise ätherisch aufzittern zwischen den Tabellenkalkulationen, ein Weilchen flackernd stehenbleiben und, kaum wahrgenommen, wieder verschwinden. Sie fährt mit dem Zeigefinger über ihre Ellbogenbeugen, streicht mit der Zungenspitze die Mundwinkel aus. In manchen Nächten sagt er ihr vielstrophige Balladen auf, oder er singt mit rauher Stimme, Moritaten von grauslichen Räuberhauptmännern, in des Waldes finstern Gründen, begleitet von sphärischer Drehorgelmusik. Schläfst du, sagt Miriam, Ungeduld am Dekollté, darf ich dir Gregor vorstellen.
Uben und onten zwischen Restl und Kaltglut, dacht ichs doch, dacht ichs. Anna und Gregor und Anna. Alphabetisch gereiht. Fortgeschrittene Stund hinter Würstlstand. Vom Bierzelt das ferne Hmtata Hmtata.
Rhythmußmuß Rhythmußmuß.

der hügel is rot vom mohn saatmohn oder klatschmohn leidensang säfte im gekrös bins schon ein schöns mannsbild so ein golden verbrämt im nachtnabel verhangens bins für alls weibsvolk hienieden mit königlich himmelskron hatts genug sehnigs gestrotz in ober und unter und braungelockts zum ewigschad für die frawn jetzund an der schwelle zum alls entscheides gekämpf zwischen uben und onten gehackt ins zweie

In grünem Plastiktrog vertrocknen Hendlknochen neben Ameisen auf Senfspuren und angebissenen Essiggurken. Die Sonne läßt langsam nach.
Kühl noch der Abend im Mai.

 

Christa Brauner

Nirvana

Reif lagen die Zwetschgen in der Obstschüssel und die Würmer verständigten sich durch ihre verfaulenden Oberflächen hindurch. In der Nacht war wieder Schnee gefallen. Das Weiß erhellte das Küchenfenster und ließ die feinen Schlieren auf der Scheibe regenbogenartig schimmern.
Die Frau war eine von denen, die nichts vom Putzen hielten. Sie war nackt bis auf die pelzigen Hausschuhe und einen Talisman, der an einer Kette zwischen ihren Brüsten lag.
Wenn der Winter kommt, sagte die Frau, dann muß ich immer an die Bären denken.
Anatol lenkte seinen Blick auf die Füße der Frau und nickte ernsthaft. Anatol war 17. Er war dabei, sich die Haare wachsen zu lassen. Die Frau war nicht mehr ganz so jung. Sie fröstelte ein wenig. Einen Kachelofen sollte man haben, sagte sie. Mit weißblauen Kacheln. Einen
Kachelofen wie einen Zuckerhut. Anatol spuckte in die Hände und rieb sie an den Gesäßtaschen seiner Jeans ab. Er ließ den Blick langsam höher wandern, bis er in die Obstschüssel fiel. Man sollte sie zu Powidl verkochen, sagte Anatol zur Frau. Mit Zimtstangen, Zucker, Nelken und einem Schuß Rum. Er nahm eine der Zwetschgen aus der Schüssel, zerdrückte sie zwischen Daumen und Zeigefinger und ließ dabei den Kern herausflutschen. Du bist ein besonders feinschmeckerisches kleines Tier, sagte die Frau.
Ein dunkelroter feuchter Wurm ringelte sich auf dem Küchenkastl. Das ist Beelzebub. Vertrieben aus dem Paradies. Hinter der Obstschüssel lauerte das Nirwana. Ich mach uns einen Punsch, sagte Anatol, willst du auch einen? Die Frau lächelte auf den Wurm hinunter.
Eine schöne Bescherung, sagte die Frau. Auf den Punsch werde ich zurückkommen. Ich liebe dich, sagte Anatol und trat auf den Hund. Der Hund hieß Dago, was sich von “Dagobert” herleitet. Entschuldigung, sagte Anatol. Er starrte die Frau mit großen blauen Augen an.
Und was machen wir jetzt? Dago lag wie ein großer weißer Bär über den Küchenfußboden gebreitet.
Die Frau wußte, was zu tun war.
Die Frau und Anatol stöhnten nur ein bißchen.
Und Dago jaulte hin und wieder ein wenig lauter, aber da er ein gelassenes Vieh war, nahm er die Sache mit Gleichmut.
Nichts, großgeschrieben, fernöstlich Nirwana, ist jener Ort, wo die Seligkeit am größten sein soll.


Christa Brauner

Flieg

Die Contessa hängt die Wäsche auf die Leine. Unterwäsche Oberwäsche
Bettwäsche, alles weiß vor verschlossenem Grün.
Wolfslicht am Nachmittag.
Noch ein Campari-Soda.

Im Zitronenglas schimmert ein Augenfleck, morsche Kristalle,
verblassender Schnee im Glasauge. Der Wind klatscht die Wäsche auf
Eine Botschaft?
Tränenpfeile und Lichtpawlatschen.
Der gelbe Vogel ist heute morgen steif vor der Gartentür gelegen. Die
Contessa, im schwarzen Cocktailkleid, hat ihn in die hohle Hand genommen.
Leichtgewicht.
Schlüsselbein zu Schlüsselbein.
Eine durchlöcherte Münze werfen, Kopf oder Adler.
Verschlossenes Grabwurzelgrün.
Die Contessa schluckt den Campari. Viermal vier rote Pfeile werfen ein zackiges Rosenlicht über den Himmel.
Regenkristalle trommeln die Wäsche.
Flieg gelber Vogel, sagt die Contessa.