Wandler, Zeitschrift für Literatur, Nr.20: Franz Ralf Willms

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Franz Ralf Willms

Von Endau nach Mersing

Der Bus hält, keine Selbstverständlichkeit. Es regnet, der Himmel ist aus einem Grau. Kreutnik steht als einziger da, nachdem er über eine weiße Brücke, einen weiten Bogen über das Meer gegangen war.

Jemand hatte ihm gesagt, dass dies die Bushaltestelle sei, sonst wäre er nicht drauf gekommen. Alle Plätze im Bus sind leer. Er setzt sich ganz nach vorn. Warum unnötige Schritte verschenken. Der Wind weht die Tropfen im Trommelrhythmus gegen die Scheibe, an sein Ohr.

Hinter dem Busfahrer steht eine Malaiin, um die Schulter ein Tragriemen, der an ihrer Hüfte mit einer schwarzen Ledertasche abschließt. Gleich kommt sie auf ihn zu, fragt etwas, er sagt "Mersing", sie nickt, reißt einen Fahrschein von der Rolle, er reicht ihr kleines Geld und bekommt noch kleineres zurück. Dann geht sie wieder. Schade, denkt er. Eindrücke aus vergangenen Tagen laufen in einer großen Kopfleere aus, immerzu, ihm ist schlecht von Melancholie; mit dem letzten Haltpunkt hatte er den Eindruck gehabt, seine Reise sei zu Ende gewesen.

Die Tür steht die Fahrt über offen. Die harte Realität des Wetters in den Bus hinein. Ein dicker, sich noch ausweitender Tropfen befindet sich auf seinem Brillenglas. Der Fahrer redet ein auf die Frau, die noch kein Automat ersetzt hat. Sie ist um dreißig, ganz hübsch anzusehen, mit gedrungenem Körper, der Handfestes verspricht. Sie hat ein schönes grünes Kopftuch, das am Hals in Dreiecken ausgeschnitten ist. An den Dreieckspitzen befinden sich noch kleine Kreise aus feinem Tuch. Der Bericht des Mannes wird immer lebhafter, keine Atempause, kein Zwischenwort, ohne sie nur einmal aus einem Augenwinkel anzusehn. Die Stimme hebt nochmal an. Schweigen, dem man nicht trauen kann, noch der dröhnende Motor. Energisches Kreischen, dann, ihre Stimme, was aber ungekannte oder vergessene Sehnsüchte in ihm wachruft. Der Bus verlangsamt sich. "Mersing", schreit der Busfahrer, als wäre der Bus voll. Ohne nur geringfügig von seiner Blickspur abzuweichen.

Über eine Brücke, darunter ein Flüsschen, das sichtbar ins Meer hineinfließt, schreitet er ins Dorf hinein. Ist einmal mehr überrascht über die Läden, das rege Treiben auch hier; die Idyllen, die er vor seiner Reise im Kopf gehabt hatte, traf er nirgendwo an.

Er setzt sich ins erste Restoran, das er erblickt. Ein überdachter, zur Straße offener Anbau. Einfache Stühle und Tische auf Stein. Auf der Karte Fish-head. Variationen von Fish-head. Es ist das erste Mal, dass er das sieht. Gleich steht die Kellnerin neben ihm. Er schließt einen Moment die Augen, und tippt auf eines der Gerichte.

Mit leerem Bauch lauscht er dem Regen, der ist stärker geworden. Sitzt da im T-Shirt mit kurzen Ärmeln, ein rotes Herz, das die Brustgegend ausfüllt. Schon auf der Insel Pulau Tioman, von der er gerade kommt, hatte er es getragen; kalter Schweißgeruch. Alles Sterben und alles Leben, als er da sitzt, sammelt sich in seiner Brustmitte. Eine Ewigkeit, der Regen.

Ein Teller voll Essen wird vor ihm abgesetzt. Beißt dann auf Knochiges. Und es wird ihm gewahr, dass es sich um Fish-head handelt.

Er kann nicht sagen, dass es ihm schmeckt, und nicht sagen, dass es ihm nicht schmeckt; er beißt ja auf kaum anderes als auf Hirngewinde, Knochensplitter. Doch im Verlaufe des Essens spürt er, dass sich ein ... ja ... heilendes Gefühl in seiner Magengegend ausweitet. Auf dem Weg zum Timotel, wo er vor seinem Inselverweilen ein Zimmer hatte und wieder eines beziehen möchte, ist er erfüllt von diesem Gefühl, das wie ein Rausch seinen ganzen Körper ergriffen hat.

Im Timotel ist er überrascht über die mit grauem, wolligem Teppich ausgelegten Korridore, die er vergessen hatte. Im Zimmer - ein anderes, er geht nie ins selbe Hotelzimmer zurück - stellt er sich ans Fenster. Es ist im fünften Stock. Blickt auf die Linie kleiner Restorans; in einem hatte er, als er hier, in Mersing, angekommen war, gespeist. Als er aufgestanden war, weil er seit einiger Zeit niemanden mehr gesehen hatte, war ihm die Kellnerin lächelnd, sich ihr schwarzes, schulterblattlanges Haar bis in die Spitzen hinunter kämmend, entgegengekommen. Es ist jetzt später Nachmittag. Vor den Restorans, auf dem Platz davor, werden Stände für den Nachtmarkt aufgebaut.

Nach dem Restoranbesuch war er mit einem Handtuch, ein paar Sachen darin, aufgebrochen zum Strand. Der, wie jemand gesagt hatte, sieben Kilometer außerhalb liege. Während der Mittagszeit war er in einer Sumpflandschaft gewandelt, die nichts vom Meer wissen wollte.

Doch auf einmal war es da. Eine Sandflucht von einigen hundert Metern. Keine Häuser, kein Mensch. Die Hinterlandschaft grün, in einer Fruchtbarkeit, die Europa nicht darreicht. Der Sand endet an einem Felsenberg, der nur oben bewachsen ist. Zur andern Seite Felsplatten, die immer unbegehbarer werden und endlich nur noch den Vögeln gehören.

Am Tag zuvor hatte er das erste Mal auf das südchinesische Meer gesehen. In die erste Freude war ein Krebs gelaufen, der ein Stückchen im unberührten Sand neben ihm herlief.

Heute ... wollte er ins Wasser. Von diesem Wasser berührt werden. Es war warm wie die Luft. Er ließ sich mit der Strömung auf dem Rücken hintreiben. Ein Sonnenstrahl stach, immer wieder, hart in sein Auge. Aus voller Kehle sang er: je suis heureux.

Auf dem Rückweg, vom Wasser aufgeweicht und geschwächt, wieder die Sumpflandschaft. Bei Sonnenuntergang standen die kleinen Söhne des Landes und ihre kopftuchgerahmten Schwestern mit Fahrrädern zusammen.

Mit großer Geschicklichkeit und Schnelligkeit sind die Stände aufgebaut. Schon sitzen die Standbesitzer, überdacht, vor einem Berg mit Früchten, den Durian, Ciko und Rambutan. Letztere - der Lychee-Frucht ähnlich - baumeln in Bündeln vom Dach herab. Andere sitzen vor Bergen mit Kleidung oder Gewürzen.

Auf einsamsten Straßen noch sieht man einen einzelnen Stand. Dahinter eine alte Frau oder ein runzeliges Männlein, am Dach lediglich ein oder zwei dürre Ästlein Rambutan, so dass man sich fragt, wer die kauft und wovon sie sonst so leben.

Einzelne Regentropfen fallen aus nie gesehenem Grau. Er holt sich einen chestnut-drink aus der Zimmerbar. Er schaltet den Fernseher ein. Werbung, in Deutschland schaltet er die demonstrativ ab, um so zur Ausrottung dieses Phänomens beizutragen. Hier sieht er sie gern, die fremden Gesichter und ihre Sprache. Er legt sich hin. Erneut das hackende Geräusch von Vögeln. Als wären sie bald durch. Mit diesem Geräusch, das immer näher kommt, schläft er ein.

Erwacht. Auf dem Nachttisch der geöffnete Drink, neue Deutlichkeit. Vom Bett aus macht er Licht. Es ist vier Uhr morgens. Er möchte aufstehen und schafft es kaum.

Kreutnik stellt sich wieder ans Fenster, blickt aus fragilem Innern. Da sitzen sie noch immer, hinter ihren Kleidern und Früchten. Es sieht nicht so aus, als ob sie was verkauft hätten. Zwei schwarze Vögel setzen sich ans Fenster.


Franz Ralf Willms, Texte aus Malaysia (1996). [Biographische Angaben auf wunsch des autors angepasst im Jahr 2005.]

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Wandler, Zeitschrift für Literatur, Heft 20

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