Wandler, Zeitschrift für Literatur, Nr.20: Martin Stockburger

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Martin Stockburger

Wandelnd

(Ausschnitt aus einem längeren Text)

Ein neuer Tag. Neues Gestammel. Sich zusammennehmen. Selbstdisziplin. Zwei Frauen am Nebentisch. Gestern abend die Müdigkeit. Die Müdigkeit am Abend. Ein schönes Gesicht.

Einer setzte sich zu mir. Frühstückt. Entschuldigt sich dafür.

Frauen auf der Mauer. Das Meer. Esel beladen mit Obst. Weiße Häuser. Rucksäcke. Braungebrannt. Marmelade und Eier.

Einer schwärmte von Ios. Go to Greece, go to Ios.

Er ist Inder, sprach mit ihm, kommt aus Babylon, studiert computer science in Athen.

Was tun? Was tun? Sitzend einander gegenüber. Schweigend. Schauend zur Seite.

Gestern geschäftiges Leben in der Stadt. Ein Restaurant am anderen. Musik. Genesis. Dire Straits. Bob Dylan.

Das Ganze überlegen. Überlegen. Meine Reise. Meine Bestimmung. Schauend auf das Wasser. Ruhig. Die Fähren. Blau und weiß. Jemand geht vorbei. Lässig. Gequält. Ich schreibe gequält. Die Schatten auf der Mauer. Sie reden Französich. Vielleicht zu Hause anrufen.

Suchen. Suchen. Suchen. Er hat braune Augen. Tiefbraune ruhige Augen. Ruhe und Bewegung. Von einem Zustand in den anderen. Schwankend. Gleitend.

Was tun? Was tun? Kein Ziel. Keine Richtung. No direction. Schauen. Schauen. All die Leute. Er sagte etwas zu einem Vorübergehenden. Nun kommt er. Der Kellner. ist auch aus Indien. Sie geben sich die Hand. Reden. Ein Tablett steht auf dem Tisch.

Gestern am Strand gelegen. Befreit. Musik von hinten. Paul Young, Everything Must Change. Bob Marley. Dieser trübe Reggae. Sie reden von Santa Maria. Die Frauen. Lächelnd. Nun etwas überlegen. Etwas sagen. Dieser Zwang. Zwang. Der Zwang des Geistes. Das Gefühl resigniert. Gibt auf. Die Impotenz des Gefühls. If you know what I mean. Dieser Zwang. Von früh. Du mußt. Du mußt. Idealismus. Diese elenden Gedanken. Diese elende Selbstbestimmung. Selbstzerknirschung. Selbstzerquälung. Diese elende Gewissenforschung. Diese elende Verinnerlichung. Dieses Krampfhafte, dieses Festhalten, diese Angst.

Warum setzte sich keine Frau zu mir? Eine Frau. Elendes Fragen. Nicht fragen. Sein. Sich schicken in den Augenblick. Horchen auf die innere Bestimmung. Sich einfühlen. To be in tune. Wählen. Sich wählen.

Einer sitzt auf der Mauer, schaut, geht. Ich sitze. Er sitzt. Wir sitzen. Sitzen fest. Gefangen. Die Müllmänner kommen. Es rauscht. Der Kellner kommt, setzt sich, rührt in seinem Tee mit der Gabel. Leute, noch immer, die Leute, ich schaue mich um, die Zeit vergeht, vergeht. Was tun? Reden. Mann und Frau. Welche kommen. Welche gehen. Walk Of Life. Niemand stört den anderen. Sitzen. Sitzen. Schauen. Schauen. Was ist zu tun? Das Grün der Bäume. Fern der Heimat. Frei. Entlassen. Befreit. Losgelassen. Sie sprechen etwas von Antiparos. Ein Langhaariger kommt. Hinter dem Gitter der Campingplatz. Ein Schild: Slow. Weißes Dreieck auf hellblauem Grund. Ich vertue den Vormittag. Schreibe. Immerhin. Es ist gut. Geht gut. Der Kellner fragte, ob sie mich stören durch ihr Sprechen beim Schreiben. Diese Freundlichkeit. Diese Rücksicht. Der Wind. Eine Frau, blond, setzt sich auf den Absatz. Das Tuten der Fähren. Schlief gut. Frühstückte Cornflakes. Der Tag vergeht. Das Leben vergeht. Was tun? Was tun? Er raucht. Der Kellner raucht. Will gehen. Die Französin. Blaue Augen. Verwegenes Gesicht. Ihre Mimik. Sie reden.

Er sagte: "You're writing very much". Ich bejahte. Es war länger. Was soll man sagen? Reden über das Schreiben. Reden über das Schweigen. Schauend zur Seite. Der getroffene Blick. Verschämt. Schuldig. Getroffen. Ich bin unfähig. Unfähig der einfachsten, der natürlichsten Dinge.

Private Investigations. Sie spielten Industrial Disease. Ich ging. Mein Schatten auf dem Blatt. Ein Schatten. Schwindend. Entfliehend. Wandelnd. Vergehend. Auferstehend. Blühend.

Er sagte: "Now I'm going to the beach. I see you later. Maybe." Ich schreibe. Schreibe. Elendes Schreiben. Diese Sucht. Diese Flucht.

Zwanzig vor zwölf. Sie streicht sich die Haare aus dem Gesicht. Ißt. Ißt. Führt Dinge mit Gabel zu Mund. Kaut. Kaut. Bewegt Ober- und Unterkiefer gegeneinander.

Musik. Musik. All die Leute. Autos. Sind es die Stones? Zwei essen Joghurt. Joghurt. Reden. Reden. Leute am Strand. Self-Service steht an der Wand.

Rauchen. Rauchen. Marlboro. Eine Schachtel lag am Strand. Sie reden Deutsch. Es ist ihre Muttersprache. Zehn vor zwölf. Ich schaute die Berge hinauf. Lag auf der Matte. Auf dem Sand.

Eine schreibt. Kopf auf dem Tisch. Blondes Haar. Zerzaust. Graues Gesicht. Müde. Was tun? Was tun? Sich bewegen. Sich nicht bewegen. Nun Sweet Home Alabama. Lynyrd Skynyrd. Sie schaut. Gerade. Strenger Blick. Braune Augen. Zigarette in der Hand. Entblasend den Rauch. Er ging an den Strand. In Birmingham they robbed the governor. Frau. Ohrringe wie Armreifen. Rucksack. Sitzen auf der Mauer. Einer mit Gitarre. Im Aschenbecher Teebeutel und Zigarettenstummel. Er sagte, er spreche Griechisch, doch es bereite ihm Schwierigkeiten. Die fremdartigen Laute. Das zischende th. Der Wind in den Bäumen. Das Solo. Solo. Gitarre. E. E-Gitarre. Schauen. Schauen vor sich hin. Es ist live. Live. Ihre Augen. Ihr Blick. Ihr Mund. Streng. Das dilettantische Englisch. Der Applaus. Was soll ich essen? Der Hunger. Ernähre mich von meinem Schreiben. Von meinen Scheiben. Welchen Scheiben? Welches Schreiben? Irgendwoher ein lautes Klopfen, andere Musik, Schlagzeug, elender Beat. Ihr Bikini-Oberteil. Ihre geöffnete Bluse. Ihr Blick zur Seite. Die Schreibende raucht. Jemand bringt Obst. Eine stellt Rucksack an Säule. Jung. Habe ich sie nicht gesehen? Habe ich sie alle nicht schon gesehen? Sie steht. Steht. Schaut in einer Dose. Schaut in ihrem Rucksack. Was wird sie tun? Was wird sie tun? Fotoapparat um den Hals. Ein Lastwagen hupt. Hupt. Sie kniet. Kniet. All die Frauen. Schon wieder wird Müll geholt. Die Müllabfuhr. Alles weg. Abfuhr. Müllabfuhr. Sie trägt einen kleinen Lederbeutel um den Hals. Gelocktes Haar. Gestreiftes ärmelloses T-Shirt. Was wird sie tun? Noch immer kruschtet sie. Der Typ vom Nebentisch schaut mißmutig. Der Begleiter der braunäugigen Frau. Sie trägt nun eine Sonnenbrille. Dunkelbraun. Schaut nach vorne. Strenger Blick. Braune Haut. Inzwischen setzte sich das Mädchen an den freien Tisch nebenan. Ein Typ setzt sich zu ihr. Sie schüttelt den Kopf. Sie betrachteten einen Saftbeutel. Sie reden Englisch. Was tun? Was tun? Sie spricht nicht gut Englisch. Niemand setzt sich zu mir. Ich schreibe verbissen. Das elende Schlagzeug. Schlägt. Jemand hupt. Nebenan zwei Frauen. Blond. Grüne T-Shirts. Eine raucht. Raucht. Milde Sorte. Zerhackt. Vertrackt. Beknackt. Das junge Mädchen holt aus einem Mäppchen einen kleinen Spiegel, schaut sich an ihre großen graublauen Augen, reibt sich Creme darum, streicht sich durchs Haar. Der Typ neben ihr raucht, spricht gut Englisch, ist bestimmt aus England oder Irland. Sie lachen. Zwei lachen. Ich schaue. Sie lachen. Wahrscheinlich Italiener. Die Italiener am Strand. Sie bauten eine Burg. Stürzte ein. Blieb nicht lange. Sackte ab. Downstream. Zwei Rucksacktouristinnen um die Mauer. Der Kellner. Bei der Schreibenden sitzt einer. Sie raucht, schreibt nicht mehr. Der Englisch Sprechende holt einen Cassettenrecorder, Walkman, Ohrhörer, die Frau, die junge, grinst. Er reibt ihr Sonnenöl auf den Rücken. Am Nebentisch, die grüngekleideten Frauen, sprechen Deutsch, eine geht. Die Schreibende streicht sich durchs Haar, spricht. Spricht. Nun kommt eine Kolonne. Die Nebenfrau grün schreibt. Die streng Blickende und ihr Begleiter gehen. Einer mit einem T-Shirt, auf dem England steht. Eine reckt die Arme, raucht. Goldbraun. Die Junge. Ihr Blick. Mild. Trüb. Ihre Ringe um die Augen. Schlecht geschlafen. Was tun? Der Wind in den Bäumen. Graugrüne Bäume. Frischgrüne Bäume. An den Ohren trägt sie rosafarbene Ohranhänger. Die Schatten auf dem Boden. Licht und Schatten. Er hört von seiner Cassette, schaut in ein von Hand beschriebenes Heft. Sie schaut nun in ein Buch. Dinge darin eingeklebt. Ticket von der Fähre. Ich würde gerne mit ihr reden. Rette mich aus meiner Vereisung. Rette mich aus meiner Vergreisung. Die zweite Grüngekleidete ist wieder gekommen. Was soll ich tun? Sie kramt in ihrer Tasche. Sie schaut herum. Gelangweilt. Holt Farbstifte aus einem Beutel. Malt wohl. Nun einen Block. Ihre Brüste. All die vollbusigen Frauen. Wo sind die anderen? Die mit dem Ring am Ohr. Versucht sich in einer fremden Sprache. Now I'm a believer. Die Monkees singen. Ihre Musik. Neil Diamond. Der Kugelschreiber streikt.

Streikt.

Ich holte mir einen neuen. Bin wieder hier. Hunger im Magen. Was essen? An meinem Tisch alle Stühle weg. Unverschämt. Eine schreibt. Nun eine Walkman-Hörerin am Nebentisch. Raucht. Etwas essen. Was essen? Was tun? Vielleicht ist es auch ein Mann. Das Gequietsche der Musik. Einer rülpste. Hammel. Zwei Typen mit Bier. Der eine mit dem England-T-Shirt. An der Mauer wird weiter gebaut. The Wall. Die Mauer an der Straße am Wasser entlang. Ein Italiener setzte sich zu den Frauen. Ein anderer ruft ihm zu. Der Kellner. Ich schreibe. In grüner Turnhose. All die Geister. Verwegene Geister. Eine Frau. Schwarz gekleidet. Ihr blondes Haar. Setzt sich einfach zu ihnen. Ich nicht. Ich nicht. Nicht ich. Warum ich nicht? Der Junge am Tisch vor mir malt oder zeichnet etwas. Sie streicht über den Hals des Jungen. Sie küssen sich. Blechmusik. Gedröhne. Radau. Schrott. Sich erheben. To rise. Take these broken wings and learn to fly. Fly. To fly. Sie reden. Reden. Ich schweige. Trotz allem sie reden. Ich schweige. Schreibe. Rede zu mir. Es ist niemand da. Nur ich. Ich allein. Ich. Allein. Allein. Ich. Niemand.

 

Martin Stockburger, geboren 1960 lebt in Konstanz, arbeitet als Bürokaufmann, Veröffentlichungen in Literaturzeitschriften, Anthologien und im Rundfunk.


 

Wandler, Zeitschrift für Literatur, Heft 20

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