Wandler, Zeitschrift für Literatur, Nr.20: Michaela Seul

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Michaela Seul

Die Zuhälterin

Kannst du dir überhaupt vorstellen, was das bedeutet? Sag das mal. Sag: Mein Freund geht auf den Strich. Sag: Mein Freund fickt fremde Frauen für Geld.

Marina lacht. Grell. Bemüht sich um einen beiläufigen Tonfall, doch ihre Stimme balanciert.

Hat von acht bis zehn keine Zeit. Dann kommt er zu dir. Frisch geduscht, mit einem Mittwochabendlächeln im Gesicht, als ob nichts gewesen wäre, er mal eben eine Runde Tennis gespielt hätte mit seinem besten Freund und sein Haar ist noch nass, weil er keine Sekunde Eurer Nacht verlieren will. So ist es aber nicht. Überhaupt nicht. Er küsst dich und du denkst, eben noch hat er eine andere geküsst, obwohl er sagt, er küsst sie nicht. Das glaubst du ihm und denkst es trotzdem. Ertappst dich dabei, wie du ihn abriechst, nach Spuren suchst. Natürlich findest du keine. Weder an seinem Geruch noch auf seinem Rücken. Es ist alles wie immer, er ist wie immer und macht es dir leicht, zu vergessen. Bis zum nächsten Mal. Bis er wieder anruft. Heute ist es soweit. Weil sie ihn angerufen hat. Ist es soweit. Vielleicht sagt er, daß er dich liebt. Oder daß es ihm leid tut. Du bist trotzdem allein. Seine Liebe lindert nicht. Und du stellst dir seinen Schwanz in der fremden Möse vor.

Bea atmet ein lautes Puh aus.

Marina verbirgt ihr Gesicht in den Händen. Er sagt, es ekelt ihn an. Und tut es trotzdem. Warum tust du es dann. Wenn es dich anekelt. Wegen des Geldes, ahmt Marina eine Männerstimme nach. Er ist gar nicht richtig da. Sagt er. Nur sein Körper. Und ich frage, wie geht denn das, nur dein Körper. Das weiß er nicht. Aber du mußt doch, sage ich, verdammt nochmal deinen Schwanz hochkriegen. Er sagt, das geht schon. Das geht schon! ruft sie. An die Frau, die unter ihm oder was weiß ich wo liegt, denkt er nicht. Sagt er. Die ist aber da. Ganz da. Und schaut ihn an. Das gehört dazu, sagt er. Daß sie ihn sieht. Im Preis inbegriffen , sage ich. Aber das macht ja nichts. Weil, wie gesagt, er ist ja nicht da. Wo er ist, weiß er nicht. Manchmal denkt er an mich. Neutral, sagt er. Wenn ich ihm nicht glauben würde. Aber ich glaube ihm. Er ist die Liebe meines Lebens. Sag jetzt nicht, wendet sie sich an Bea, das habe ich von allen behauptet. Er ist's wirklich.

Marina schüttelt den Kopf, als könnte sie ihre Gedanken wie lästige Fliegen vertreiben. Ich benehme mich ja unmöglich. Sie versucht Bea anzulächeln, doch das Lächeln rutscht aus auf ihren traurigen Zügen. Als halte ihr Beas Anwesenheit einen Spiegel vor, springt sie auf, geht hin und her. Und dann ruft er mich an. Sagt heute abend ist es soweit. Und dann ist es wieder soweit. Für mich.

Soll ich gehen? fragt Bea unsicher. Ich hätte wohl besser angerufen. Aber ich habe gerade eine Arbeitskollegin nach hause gefahren. Die wohnt um die Ecke. Und als ich Licht sah bei dir, dachte ich ...

... dachtest du, du schaust mal vorbei, vollendet Marina. Und dann bist du mitten drin. Reingeplatzt. Kopfsprung in die nackte Existenz. Was sich hinter geschlossenen Türen abspielt. Wenn die Kamera aus und das Fotoalbum voll ist. Was passiert, wenn der Fernsehapparat nur noch rauscht. Kein: Ach wie schön, was für eine Überraschung. Kein: Wie geht es dir. Kein - Halt! ruft Marina, weil Bea aufsteht. Bleib. Bitte bleib. Ich bin froh, daß du da bist. Bleib. Bitte.

Gerne, sagt Bea. Und fragt, ob sie Marina richtig verstanden hat. Ob Eugen ein Kavalier ist.

Marina tänzelt im Kreis. Mein Freund fickt andere Frauen für Geld, singt sie die Melodie von alle meine Entchen.

Bea grinst. Entschuldigt sich. Marina, du bist toll. Aber du stehst auf keiner Bühne, sondern - wie du eben selbst festgestellt hast: mittendrin.

Marina geht übertrieben langsam zum Sofa, gibt sich einem Sketch ordentlichen Sitzens hin, überkreuzt die Beine, zupft einen Faden von ihrer Jeans, schaut Bea mit dem Blick eines trotzigen Kindes an, sagt knapp: Du hast Recht.

Wie hast du das entdeckt? fragt Bea. Hast du ihn erwischt, seine Telefonnummer in der Zeitung gefunden?

Marina lacht. Fast herzlich. Er hat es mir gesagt. Einfach gesagt. Ich kannte ihn vielleicht eine Woche, da rückte er damit raus. Ich bin aus allen Wolken gefallen. Sie zündet eine Zigarette an. Stößt den Rauch heftig aus, schaut ihm nach, als entstehe ihre Vergangenheit dabei. Es war nach einer unserer ersten Nächte. Beim Frühstück. Keine Ahnung, wie wir auf dieses Thema kamen. Auf jeden Fall sagte er es mir. Ich erinnere mich noch an den blöden Satz meiner Oma, der mir einfiel. An jedem Mann ist ein Haken dran. Marina lächelt. Meine Oma. Das hat sie schon gesagt, als ich noch ein kleines Mädchen war. Richtig begriffen habe ich es erst später. Gerade bei Eugen gehofft, es sei anders. Liebe auf den ersten Blick mit meinem Traummann - eine erotische und zwischenmenschliche Explosion - die Geschichte kennst du ja.

Ich habe dich auch gebührend beneidet, gibt Bea zu. Aber ich verstehe nicht, warum du mir von diesem sogenannten Haken bisher nichts erzählt hast. Schließlich seid ihr ein paar Jahre zusammen. Konntest du nicht darüber sprechen? Oder hast du mit anderen darüber gesprochen? Das würde mich allerdings kränken.

Ich habe es gehalten wie er: Es hat nicht existiert. Nur wenn es soweit war. Ansonsten Tabu.

Dann erzählst du mir das jetzt nur, weil ich an einem solchen Tabutag bei dir reingeschneit bin?

In gewisser Hinsicht ja. Marina streichelt über Beas Hand. Ich bin sehr sehr froh, daß du da bist. Früher oder später hätte ich mit dir darüber gesprochen. In letzter Zeit fällt es mir immer schwerer, es wegzuschieben. Es ist, als hätte ich Fleisch gegessen oder noch schlimmer Ananas und zwischen den Zähnen hängen diese lästigen, hartnäckigen Fasern. Wobei die wenigstens irgendwann verschwinden. Das andere ist fast immer da. Er lädt mich ins Theater ein, schenkt mir Ohrringe. Und ich denke das ist vom Fickgeld. Manchmal liegen wir im Bett und plötzlich liegt sie zwischen uns. Sind wir zu dritt. Ich verstehe nicht, warum es immer schlimmer wird. Am Anfang war ich sicher, mich daran gewöhnen zu können. Es sollte einen Platz finden in unserer Beziehung.

Hat er dir eingeredet, dieses Kavaliersdelikt würde einen Platz finden? fragt Bea wütend.

Nein! Bei diesem Offenbarungs-Frühstück war mir überhaupt nicht klar, daß es etwas mit mir zu tun hat. Bis er fragte, wie ich damit umgehe. Das läuft nicht, habe ich gesagt. Nicht mit mir. Er hat mir lang und breit erklärt, daß er diesen Job, so nennt er es immer, schon einige Jahre macht und er früher mehrere Frauen hatte. Jetzt nur noch diese eine. Die ist geblieben, weil er bei ihr nichts besonderes zu tun braucht. Überhaupt nichts, sagt er. Normalerweise wollen die ja was geboten bekommen für ihr Geld. Seine Stammfreierin ist verheiratet, Ende vierzig, ziemlich reicher Gatte, roter Porsche. Sie sieht nicht mal schlecht aus und jünger als sie ist. Nicht so, wie man sich vorstellt, daß eine aussieht, die dafür zahlt. Hat ja auch den ganzen Tag Zeit, ihre Schönheit zu konservieren, setzt Marina bissig hinzu.

Hast du sie mal gesehen?

Einmal. Bin ihr am Parkplatz begegnet.

Du hast doch eben gesagt, du warst dagegen. Warum hast du deine Meinung geändert?

Warum habe ich meine Meinung geändert, wiederholt Marina wie eine aufgerufene Schülerin, die Zeit gewinnen möchte. Ich glaubte, ich würde ihn verlieren, wenn ich ihn vor die Wahl stelle - sie oder ich. Schließlich kannten wir uns gerade mal eine Woche. Wir wußten nicht, was aus uns wird, hatten lediglich die Ahnung, wir könnten zu einer großen Liebe zusammenwachsen. Was dann ja auch passiert ist. Deshalb ist es jetzt viel schwieriger für ihn.

Wie darf ich das verstehen! ruft Bea empört.

Bitte, Bea, schalt deine Frauenpower ab. Sonst kann ich gar nichts mehr sagen. Es ist nicht so, daß er das Schwein ist und ich bin die arme, unschuldige, unterdrückte Gattin. Er hat mir nichts aufgebürdet. Es war klar, daß wir es nur zusammen tun können. Wir haben nur nicht damit gerechnet, daß es unsere Beziehung gefährdet. Sein Problem ist, daß er mir vorsätzlich Schmerz zufügt. Am Anfang stand auf der einen Seite sein Job, eine klare Sache, auf der anderen Seite die Hoffnung: ich. Ich weiß nicht, ob er diesen Job aufgegeben hätte, wenn ich bei meinem Nein geblieben wäre. Ich habe es nicht gewagt. Mein Pech. Daß er es mir freiwillig erzählte, machte mir Mut. Er hätte es schließlich ohne mein Wissen tun können. Bei meinen Arbeitszeiten - kein Problem. Ich bin mindestens zwei Abende pro Woche beruflich unterwegs. Gut, ich hätte ihn mal erwischen können. Wäre er eben in ein Stundenhotel gegangen mit ihr. Ich habe ihm - obwohl ich es wußte - nie etwas angemerkt. Wenn ich nicht durch einen irrsinnigen Zufall, aber keinen normalen Zufall, wie er uns Sterblichen manchmal winkt, sondern einen Kinozufall, darauf gekommen wäre, hätte ich niemals davon erfahren. Vielleicht hätte ich mich gewundert, warum er - obwohl er selten arbeitet - immer Geld hat. Hätte er eben vom Erbe seiner Eltern gelebt. Wie sollte ich das kontrollieren. Sie sind tot und Geschwister hat er keine. Ich sage dir das nur, damit du begreifst, daß seine Aufrichtigkeit mich umstimmte.

Das klingt einfacher, als es war, beschwichtigt Marina Beas aufgebrachtes Gesicht. Zuerst war ich völlig schockiert. Wir haben nächtelang diskutiert. Einmal sogar mit seinem Freund. Eugen hat kein Geheimnis daraus gemacht. Wenn er nicht dazu stehen kann, sagt er, muß er es bleiben lassen.

Und wenn der gnädige Herr dazu steht, mußt du das auch, oder wie?

Was ist schon dabei, sagt Marina leichthin. Der eine putzt, der andere fickt.

Bea verdreht die Augen. Der eine verkauft seine Seele, der andere seinen Körper. Wir leben wirklich in einer rückständigen Gesellschaft. Woanders wird mit Organen gehandelt und bei uns ist nichtmal Prostitution salonfähig.

Die Rechnung ist ganz einfach. Wie viele Stunden muß ich investieren, bis ich das in der Hand habe, was er in zwei Stunden verdient. Wenn ich es könnte, würde ich es genauso machen.

So ein Pech aber auch!

Marina zündet sich die nächste Zigarette an. Starrt wieder in den Rauch. Schweigt.

Ich wollte dich nicht unterbrechen, erzähl weiter, bittet Bea. Wie war das erste Mal?

Er rief an und sagte, sie kommt. Ich war hier, zuhause. Nervös. Nervöser. Bin fast wahnsinnig geworden bei den Bildern, die in meinem Kopf dröhnten. Sein Körper. An der fremden Frauenhaut. Wenn er die Augen geschlossen hat - er sagt, das hat er immer bei ihr - sieht sie die Fältchen in seinen Augenwinkeln. Die man nur sieht, wenn man ganz nah dran ist an ihm. Die ich so liebe. Immerzu küssen möchte. Das alles gehört jetzt ihr. Sie kauft es sich einfach. Ich habe sie gehasst wie ich noch nie im Leben gehasst habe. Wollte ihn ihr entreißen, beschützen vor diesem Irrtum, der unsere Liebe austauschbar zu machen schien. Ich weiß nicht, was ich dachte, bis ich es nicht mehr aushielt und zu ihm fuhr. Von unten habe ich das kleine Licht brennen sehen, das er auch anknipst, wenn ich da bin. Das hat mir den Rest gegeben. Unser Licht. Er kann doch nicht einfach unser Licht. Ich stand unter seinem Fenster. Schaute hoch. Rauchte Kette. Es war kalt. Ich konnte nicht denken. War nur allein. Grell allein. Nichts verstanden. Da oben ist ein Mann der sagt er liebt mich und steckt seinen Schwanz in eine andere Frau. Marina räuspert sich. Irgendwann, als ich vor Kälte schon zitterte, sind mir Zusammenhänge klar geworden, Kapital und Proletariat. Aber das gehört nicht hierher.

Meinst du, sagt Bea leise.

Ich habe natürlich auch mit dem Gedanken gespielt, die Beziehung zu beenden. Er liebt mich nicht gedacht und gewußt, es stimmt nicht. Weil sein kleiner Job etwas ist, das man nicht vergleichen kann. Einmal schaute er aus dem Fenster, sah mich unten stehen. Danach duscht sie ewig. Wegen ihrem Mann. Später habe ich ihren Porsche röhren gehört. Ich konnte mich nicht von der Stelle rühren. Das darfst du wörtlich nehmen. Er holte mich hoch. Es war grauenhaft.

Ich verstehe nicht, unterbricht Bea, warum du dich dieser Qual aussetzt. Es könnte dir doch genügen zu wissen, daß er es tut. Warum mußt du auch noch wissen wann?

Das ist eine prinzipielle Entscheidung, die jedes Paar trifft - nicht wegen bezahlter Seitensprünge, sondern: wird eine Affäre gebeichtet oder verschwiegen. Ich möchte alles wissen. Mein Recht wahren, Konsequenzen zu ergreifen. Ich halte nichts davon, so etwas mit sich selbst auszumachen. Zur Liebe gehören zwei; immer. Außerdem ahnte ich, mir ständig einzubilden, sie sei da gewesen. Den Zeitpunkt zu wissen war meine Bedingung. Ich war auch neugierig. Als wir darüber sprachen, schien alles ganz leicht. Aber dann stand ich unter seinem Fenster. Ein Gefühl, als greife mich etwas Unbeschreibliches an, aus einem Hinterhalt und ich so ohnmächtig, hilflos, klein. Unsere Liebe, unsere Zukunft, alles weggewischt. Aufgefressen von der fremden Möse.

Kurz: Du warst eifersüchtig.

Nein! Ich hätte nicht das geringste dagegen, eifersüchtig zu sein. Eifersucht hieße, ich befürchte, er verläßt mich. Oder vergleicht mich mit ihr. Das habe ich nie gedacht. Es geht darum, daß er die Reinheit unserer Liebe beschmutzt. Er tut etwas Heiliges mit ihr. Er versündigt sich.

Das sagst ausgerechnet du! Ich weiß noch, wie du mich konservatives Heimchen an der Mikrowelle genannt hast, als ich mich über Holgers Affäre mit dieser Barfrau aufregte. Es gibt nur eine Treue, äfft Bea Marinas Stimme nach. Und die ist geistig. Hast es doch selbst, ruft Bea, als Zumutung zurückgewiesen, wenn ein Mann körperliche Treue verlangte von dir.

Das hat sich geändert, lächelt Marina nachsichtig mit sich selbst. Eugen ist der erste Mann in meinem Leben, bei dem ich Sex als Ausdruck von Liebe erfahre. Für andere Menschen mag das die Norm sein. Ich kannte es nicht. Vor Eugen gab es für mich auf der einen Seite die Liebe, die war nicht an einen Körper, sondern an einen Charakter gebunden, und auf der anderen Seite Sex. Bei ihm war das genauso. Deshalb fiel ihm sein Job früher leichter. Weil seine Seele sowieso nie richtig dabei war. Die traute sich gar nicht in ihn hinein, wenn er mit einer Frau im Bett lag. Seit wir zusammen sind, ist seine Seele aber dabei. Deshalb ist es problematisch geworden, lediglich den Körper zu verkaufen. Jetzt, wo er etwas anderes kennengelernt hat.

Willst du damit sagen, er hat seine privaten Frauen wie Geschäftspartnerinnen behandelt?

Quatsch! Natürlich hat er sie aufrichtig geliebt oder begehrt. Doch was wirkliche Hingabe bedeutet, haben wir erst durch uns erfahren. Beide.

Glaubst du ihm Geld zu schulden, wenn du mit ihm schläfst?

Nein, sagt Marina leise. Aber ich könnte es mal denken. Wo ist der Unterschied? Er steckt seinen Schwanz in sie - wie er ihn in mich steckt. Bei mir fühlt er was, bei ihr fühlt er nichts. Das glaube ich - wenn ich bei ihm bin. Dann kommt die Unsicherheit. Kann er es trennen - obwohl was sich zwischen den beiden abspielt lächerlich ist. Ich frage schon gar nicht mehr danach. Es ist immer dasselbe. Sie ruft an, vereinbart einen Termin, dann kommt sie - bis auf wenige Ausnahmen exakt siebzehn Minuten zu spät. Das regt mich auf. Weil es ihr eine persönliche Note gibt. Er öffnet die Tür, noch im Flur zieht sie sich aus, manchmal fordert sie ihn auf, sie auszuziehen, selten will sie vorläufig in ihren Klamotten bleiben.

Trägt er irgendetwas Besonderes? So eine Art Reizwäsche?

Ich habe mir oft überlegt, ihn zu fragen, aber wenn er sagen würde, diese oder jene Hose, würde ich, wenn er diese oder jene Hose bei mir trägt, an sie denken. Als erstes macht sie seinen Oberkörper frei, ohje, kichert Marina, das klingt wie beim Arzt. Dann muß er sie festhalten, sehr fest, mit ihr tanzen. Sie streichelt seine Arme. Auf seine Muskeln ist sie besonders scharf. Sie tanzen eine Art Schieber, bis sie ihm die Hose auszieht, dann gehen sie ins Bett, wo sie ihm den Slip auszieht und sich an ihm weidet. Wenn sie genug gesehen hat, wird gefickt.

Das kann ich mir nicht vorstellen! platzt Bea heraus.

Ich habe es mir auch nicht vorstellen können. Du mußt doch irgend etwas tun, habe ich gesagt. Das gibt's doch nicht, daß sie damit zufrieden ist. Eugen war schon ganz verzweifelt, weil er die Wahrheit gesagt hat. Einmal hat er mich gefragt, ob er etwas Glaubwürdiges erfinden soll.

Das heißt also, denkt Bea laut, er ist reines Objekt für sie, ästhetischer Genuß. Ein Kunstgegenstand. Will sie denn nicht begehrt werden von ihm?

Marina zuckt die Achseln. Vielleicht begehrt ihr Alter sie. Was weiß ich. Es ist ihr nicht wichtig, angefaßt zu werden. Hauptsache, er fickt sie anständig.

Vom bloßen Daliegen kriegt er doch keinen hoch in einer solch abartigen Situation oder macht ihm das Spaß?

Vorausgesetzt, es stimmt was er mir erzählt, und das bezweifle ich nicht, macht es ihm keinen Spaß. Wie er es anstellt, weiß ich nicht. Er sagt, es geht schon. Irgendwie. Manchmal hilft er nach. Oder sie. Aber das ist alles nicht zu vergleichen, mit den Frauen, die er früher hatte. Die mußte er verwöhnen - so nennt er das. Da mußte er sich engagieren. Das ist ihm zu viel gewesen. Zu anstrengend. Es hat seine Substanz angegriffen, sagt er, was immer er auch damit meint. Als er sie dann kennenlernte und sich ihre Rendezvous einspielten, hat er die anderen Jobs aufgegeben. Weil es bei ihr ein Kinderspiel ist, sagt er. Ich glaube, herausgehört zu haben, daß - wenn er erst mal in ihr ist - die größte Hürde genommen ist. Es geht dann schon, sagt er.

Er meint, er holt sich einen runter in ihr, sagt Bea.

Wahrscheinlich. Manche Sachen will ich gar nicht wissen. Sonst fühle ich mich wieder wie damals, als er unser Licht für sie anschaltete.

Du hast das vorhin so gesagt, als würde er die Lampe weiter angeknipst haben in deiner Gegenwart?

Das hat er auch. Zuerst hielt ich ihn für pietätlos. Er meinte, seine Wohnung sei mein Zuhause, nicht ihres und wenn er zwischen einer Beleuchtung für sie und einer für mich unterscheide, fange er an, Geheimnisse zu haben.

Habt ihr mal daran gedacht, sie zu erpressen?

Er nicht. Ich schon. Anfänglich wußte er nicht, wer sie ist. Ein Freund schrieb mal ihre Autonummer auf. Eugen hielt es für unnötig, sie verfolgen zu lassen. Gentleman agreement. Dann war eine Vernissage - von einem großen Konzern gesponsert. Da hat er sie gesehen. An der Seite ihres Gatten. Generaldirektor mit beträchtlichem Aktienanteil.

Na wenn das kein - wie hast du vorhin gesagt - fragt Bea, Kinozufall ist. Wie hat sie reagiert? Ist sie erschrocken?

Ich war nicht dabei. Eugen meint, es hat ihr Spaß gemacht. Zu deutsch: es hat sie aufgegeilt.

Da muß sie sich ziemlich sicher sein, was ihre diskrete Geschäftsbeziehung betrifft. Hat Eugen gefragt, ob sie etwas für ihn tun kann? Er ist doch selbst Maler und wenn ihr Mann Kultur sponsert, könnte sie Eugen unterstützen. Ausstellungen, Presse, was weiß ich. Es heißt doch immer, das einzige, was ein Künstler wirklich braucht, sind Beziehungen.

Marina schüttelt den Kopf. Eugen sagt, für seine Bilder wälzt er sich nicht in Betten. Außerdem weiß sie, daß er malt. Sie ist doch seine Mäzenin. Wenn sie ihre Scheine zückt, erfüllt sie damit ihr Mäzenatentum. Damit waschen sie ihre Hände in edlen Motiven. Er fickt sie nur für seine Malutensilien.

Das ist doch das gleiche! Er malt seine Bilder mit dem Fickgeld! Bea grinst, jetzt rede ich schon wie du.

Fickgeld, spricht Marina bedächtig. Ja. Für mich ist es auch das gleiche. Aber Eugen versteht das nicht. Er redet nur von der Zeit. Daß er bei keinem Job, der ihm angeboten würde, achthundert Mark ...

... hast du eben achthundert Mark gesagt?

Achthundert Mark, bestätigt Marina. In zwei Stunden. Inklusive Duschen. Jetzt verstehst du vielleicht, daß dieser Betrag ein anderes Licht auf seinen kleinen Job wirft. Wenn sie ihn alle zwei bis drei Wochen besucht, und das ist die Regel, braucht er nicht mehr viel Geld. Seine Miete ist ein Witz - dank der lächerlichen Gartenarbeit, die er dem Eigentümer abnimmt.

Die Wohnung ist traumhaft, ergänzt Bea. Und dann noch das Atelier unterm Dach.

Er hat keine hohen Ansprüche, aber er kann sich ein Auto leisten, essen gehen, in den Urlaub fahren. Manchmal nimmt er irgendeinen Job an, als Zubrot sozusagen. Aber im Prinzip lebt er von ihrem Geld. Es ist immer ihr Geld. Ob er mir Blumen mitbringt oder mich zum Essen einlädt. Es ist immer das Fickgeld, aber da bin ich wie gesagt, erst später draufgekommen. Er sagt, das wären Kleinigkeiten. Damit du verstehst, was sich verändert hat, muß ich dazu sagen, daß mich die Vorstellung, er fickt sie, am Anfang aufgegeilt hat. Es hat mich auch erregt, wenn er mir Bettgeschichten aus seiner Vergangenheit erzählte. Ihn mir mit einer anderen vorzustellen war geil. Natürlich immer aus der Sicherheit unserer Liebe heraus. So eine Art Besitzerstolz. Daran kann ich jetzt nicht mehr denken. Es hat sich alles verschärft. Wenn er mir etwas größeres schenkt, zum Beispiel zum Geburtstag, geht er seit neuestem dafür arbeiten. Ich werfe alles durcheinander. Es kommt noch so weit, daß ich hysterisch werde beim Anblick seines Portemonnaies.

Wie wäre es zur Abwechslung mal mit ernsthafter Arbeit? Andere Leute können sich auch Sinnvolleres vorstellen, als jeden Tag einer geregelten Arbeit nachzugehen und tun es trotzdem.

Bis er zwölfhundert Mark netto im Monat verdient, muß er lange arbeiten. Er ist doch Künstler! Was soll er seine Zeit als Grafiker oder was weiß ich verschwenden. Das will ich nicht. Ich komme mir so prüde vor, moralisch, kleinkariert.

Er ist Künstler! Wenn ich das schon höre! wütet Bea. Heißt das, es entbindet ihn von jeglicher zwischenmenschlicher Rücksicht? Ich will dir mal sagen, daß gerade ein Künstler die Nähe zum Volk sucht. Und wenn dich sein Job verletzt, hat er das zu akzeptieren!

Das ist nicht das Problem. Ich akzeptiere mich nicht! Verlange ich nicht zuviel? Er bietet mir regelmäßig an, aufzuhören. Wenn du es nicht mehr packst, sagt er, ist Schluß damit. Sofort. Damit macht er mich verantwortlich für seine finanzielle Situation. Ich habe Angst, er hasst mich, wenn er keine Zeit mehr hat um zu malen oder andere Dinge zu tun, die er gerne tut. Wie oft wird er an die achthundert Mark in zwei Stunden denken? Er meint, aufzuhören sei kein Liebesopfer, sondern eine logische Konsequenz und kapiert nicht, daß er mich zur Herrscherin über seine kostbare Zeit macht. Dann bin ich nicht mehr seine Muse sondern sein ewiges Verhängnis. Er sagt, ich hätte das gleiche Recht wie er. Nachdem wir eine Weile seine Meinung verwirklicht hätten, sei meine an der Reihe. Klingt gut, oder? Aber ich kann es weder verantworten, sein Leben durcheinander zu bringen, noch, so weiterzumachen. Nachts halten wir Krisensitzungen ab, anstatt miteinander zu schlafen. Und sind beide verzweifelt. Weil es keine Lösung zu geben scheint. Früher war das einfacher für ihn. Niemand hat der angeblichen Banalität einer mechanischen Arbeit seines Körpers widersprochen. Seit ich von Mißbrauch rede und er Einssein erlebt hat mit unseren Körpern, Seelen, ist alles anders.

Hast du Angst, er zelebriert dieses Einssein mit ihr?

Oh Gott! Daran habe ich noch nie gedacht. Das will ich auch gleich wieder vergessen! Ich denke, wenn er seine Seele, seine Gefühle einfach abstellen kann - würde ich das merken? Wenn er es bei mir ...

Überbegriff: Künstler, Fach: Verstellung, sagt Bea trocken.

Eugen leidet auch unter Einbildungen, erwidert Marina verteidigend. Er hat Angst, unsere Liebe so zu verletzen, daß sie daran verendet. Ich habe ihm versprechen müssen, zu sagen, wenn ich es nicht mehr aushalte. Das würde ich tun. Aber weiß ich es denn? Habe ich mich nicht schon gefährlich unempfindlich gemacht, so betrogen, daß es den großen Knall geben muß? Und ich dann vor einer ausblutenden Liebe stehe und nichts tun kann, weil ich ihre Schreie überhört, mich taub und blind gestellt habe? Ich glaube, dieses Geldficken hinterläßt Spuren. Angenommen, jemand kifft einmal im Monat. Das hinterläßt doch auch Spuren. Feinstofflich. Das bestreitet Eugen nicht - im allgemeinen. Aber in seinem besonderen Fall hinterläßt es keine Spuren. Behauptet er.

Wie haben denn seine anderen Frauen reagiert? Er war schließlich nicht immer Single.

Der Frau vor mir war es egal. Frag mich nicht, warum. Das ist auch ein Problem für mich. Weil ich mich immer mit ihr vergleiche und mich wie eine erbärmliche Versagerin fühle. Die anderen Frauen wußten es nicht. Da hat er es heimlich gemacht. Und wie gesagt, das hätte er bei mir auch tun können.

Seine Aufrichtigkeit ist doch kein Freibrief! ruft Bea. Und hat nichts damit zu tun, wie du empfindest. Auch deine Vorgängerin sollte dir egal sein!

Marina seufzt. Ich weiß. Im Kopf weiß ich das alles.

Mal eine andere Frage: Nimmt er wenigstens ein Kondom?

Klar. Und er küsst sie nicht und leckt sie nicht und eigentlich fasst er sie überhaupt nicht an.

Hast du dir mal zeigen lassen, was er macht mit ihr? Das müßte sich dann schnell erledigen lassen.

Marina grinst. Nein. Das heißt, ich wollte es. Aber er meint, bei mir könnte er sich nicht so leblos benehmen und wenn er sich anders benähme, weil er mich begehrt und liebt, bekäme ich einen falschen Eindruck.

Weißt du, ob er abspritzt bei ihr?

Marina zündet die nächste Zigarette an. Manchmal. Eher aus Versehen, sagt er. Er spürt nicht viel dabei. Es ist nur sein Körper.

Nur der Körper, der auch bei dir abspritzt.

Scheiße, sagt Marina. Bea beugt sich vor und streichelt über Marinas Gesicht.

Weißt du, sagt Marina, wenn er kommt bei ihr, ich ... auf diese Sekunden bin ich eifersüchtig. Da ist er hingegeben. Da sieht sie sein Gesicht. Sie muß ja dauernd glotzen. Da hat er ein ganz anderes Gesicht. So weich, so ... das schönste.

Das Geschäft ist also beendet, stellt Bea fest, wenn sie befriedigt ist. So abartig das jetzt für dich klingen mag, das gefällt mir.

Wenn du nicht kommst bei ihm, denkst du dann, er denkt, sie ist besser?

Marina nickt: Treffer.

Ich fange an zu verstehen, was du vorhin mit Sünde gemeint hast. Er frevelt der Liebe, weil er sie nicht im Vollbesitz seiner Gefühle betreibt. Deine Unsicherheit liegt in seiner Vortäuschung bei der anderen.

Korrekt. Das Verrückte ist, daß ich im Prinzip nichts dagegen habe. Nur manchmal - so wie ich ihn manchmal heiraten möchte. Ein Fürimmer herbeizwingen.

Das ist allerdings bedenklich, lächelt Bea.

Ich will es nicht wirklich. Es ist so ein Spleen. Ich halte es für mutiger und richtiger, nicht zu heiraten. Aber manchmal wünsche ich es mir. Wenn ich zu schwach bin, unserer Liebe zu vertrauen. Dann verkrafte ich auch seinen Job nicht. Und manchmal befürchte ich, er unterscheidet nicht zwischen ihr und mir. Ich befürchte, er verachtet Frauen.

So wie sie ihn verachtet.

Wie meinst du das?

Sie demütigt ihn doch, indem sie ihn kauft. Ihr Geld läßt ihn sie ficken. Das geilt sie auf.

Ein Irrenhaus! ruft Marina. Ich habe Angst, er verachtet mich, er hat Angst, ich verachte ihn, sie verachtet ihn und er verachtet sie - wir wollten frei sein! In allem. Mit meinem Gehabe mache ich ihn unfrei. Am Anfang hat er gesagt, sie kommt und dann war es okay oder schlimm. Heute sagt er sie kommt. Dann diskutieren wir. Ich weine. Ich hasse mich dafür, entferne mich von ihm. Er ist verzweifelt. Ich kann ihm nicht versprechen, ihn niemals zu verachten. Das macht mich schon wieder rasend, weil es wie eine Drohung klingt. Ich habe eine bestimmte Meinung zu all dem. Leider versteht er die nicht. Ich glaube schlicht und einfach, daß er auf dem falschen Weg ist. Er malt großartige Bilder. Für mich ist er ein Genie.

Nicht nur für dich.

Aber: Er hat keinen Erfolg. Ich glaube das liegt daran, daß er für seine Malerei fickt. Das tut er nämlich indirekt. Ich glaube, wenn er mehr Vertrauen hätte, wenn er die Liebe als solches nicht beschmutzen würde, hätte er Erfolg. Vielleicht müßte er vorher noch einiges durchstehen. In den Schoß gefallen ist ihm schon genug. Nur der Erfolg nicht.

Bea nickt. Und wenn er es versuchen würde und zu lange warten müßte, sich also trotz seines Entschlusses, die Frau nicht mehr zu sehen, kein Erfolg einstellen würde, trügst du die Verantwortung. Weil den Erfolg, den kannst du ihm nicht versprechen.

Marina zündet die nächste Zigarette an.

Jetzt ist sie also bei ihm, stellt Bea fest.

Ja. Seit neun. Seit siebzehn Minuten nach neun, verbessert sie sich.

Siehst du ihn später?

Wir sehen uns immer danach. Früher, weil wir ein großes Bedürfnis hatten. Heute wohl eher, weil er glaubt, daß er sich um mich kümmern muß. Das sind die Schatten der Unfreiheit -vielleicht hätten wir tatsächlich Sehnsucht. Er erzählt, wie es war, also, ob etwas besonderes war oder es eben wie immer war und dann vergessen wir es, beziehungsweise versuchen es zu vergessen - bis zum nächsten Mal. Mittlerweile habe ich ein Gespür dafür entwickelt, wann sie sich meldet. Nach dem Motto: jetzt braucht sie es wieder. Einmal habe ich sie sogar am Telefon gehabt. Sie sagte einen falschen Namen. Frau von Breitenstein oder so ähnlich, ist Herr Clemens zu sprechen, das ist aber schade, hätten Sie die Freundlichkeit ihm auszurichten, daß ich angerufen habe.

Weiß sie von dir?

Sie stellt ihm manchmal Fragen. Ob er noch andere Klientinnen hat oder es in irgendeiner Form riskant für ihn sei. Daß jemand davon weiß, kann sie sich nicht vorstellen. Eugen beantwortet ihre Fragen auch nicht. Das macht ihn wahrscheinlich noch geheimnisvoller, sprich erotischer, für sie.

Wie nennt er sie eigentlich?

Susanne. So heißt sie nicht richtig. Aber es ist dabei geblieben, obwohl er jetzt weiß, wer sie ist.

Ich verstehe diese Frau nicht. Ich meine jetzt nicht wegen Eugen. Er ist sehr attraktiv, charmant, hat eine tolle Figur und so weiter. Aber wenn ich ein Abenteuer suche gehe ich doch nicht jahrelang zu dem selben Mann.

Das habe ich mir auch schon gedacht. Mittlerweile glaube ich, er gehört zu ihrem Leben wie ein Friseur- oder Kosmetiktermin. Außerdem hat sie es bequem bei ihm. Sie muß nicht groß erklären, kann danach ausgiebig duschen und sich instandsetzen und außerdem ist dieses Hobby seit Aids nicht ungefährlich. Und dann ist da noch etwas. Ich bin mir ziemlich sicher, daß sie verliebt ist in ihn. Eine Beziehung, das weiß sie, käme nicht infrage. Trotzdem macht sie manchmal Anspielungen. Da ist zum Beispiel der Spiegel. Irgendwann habe ich - ich liebe dich - draufgeschrieben. Mit Wachsstift. Fragt sie ihn, wann er das draufgeschrieben hat.

Sie glaubt, er hat es für sie hingeschrieben?

Ja! Wir lachen uns manchmal krumm über ihre Einbildungen. Hin und wieder will sie wissen, ob es ihm gefällt mit ihr. Oder ihn zum Essen einladen. Sie hat ihm auch gesagt, daß sie ihn mag, sehr. Anscheinend kommt sie mit ihrem Mäzenatentum nicht ganz zurecht und muß sich einreden, er habe noch andere Interessen an ihr. Überprüfen traut sie sich diese jedoch nicht. Eigentlich ist das alles harmlos. Er geht auch nie darauf ein.

Merkst du, wie oft du dir widersprichst? fragt Bea. Einmal leidest du, dann ist es im Prinzip überhaupt kein Problem, einmal bist du leider nicht eifersüchtig, dann doch - fehlt dir der Mut, Stellung zu beziehen?

Sehr schlau Bea, zischt Marina. Darauf wäre ich wirklich nicht gekommen!

Stell ihn endlich vor die Wahl! Hör auf, dich zu quälen, Schwester!

Hast du deine Frauenpower jetzt wieder eingeschaltet oder was?

Bea lächelt nachsichtig. Was mich noch interessiert- schläfst du mit ihm, wenn er von ihr kommt?

Ja. Wir schlafen oft miteinander, danach. Es ist nicht anders als sonst - halt. Beim ersten Mal war es anders. Da wäre es besser gewesen, wir hätten es nicht getan. Wir hatten beide Angst. Ob es anders wäre. Und dann war es anders. Ich dachte dauernd, ob er das auch mit ihr gemacht hat. Er dachte gar nicht an sie. Zuerst. Bis er merkte, daß ich verändert bin und dachte, mir ekelt vor ihm.

Er kommt später zu dir, ihr schlaft miteinander und dann vergesst ihr es wieder oder versucht es zumindest - so kann es doch nicht weitergehen.

Ich weiß. Aber was soll ich denn tun? Eigentlich geht es ja nur darum, daß ich mich so ausgeschlossen fühle. Aber ich kann mich doch nicht zu den beiden ins Bett legen!

Warum nicht? Das wär doch mal eine nette Variante. Vielleicht zahlt sie dann doppelt! Du leidest doch seit ich dich kenne unter chronischem Geldmangel.

Wenn ich mich zu den beiden ins Bett legen würde, könnte ich mir auch einen Freier anschaffen. Aber das pack ich nicht. Nicht mal in meiner Vorstellung. Deshalb habe ich ja auch Schwierigkeiten, das Kinderspiel seines Jobs nachzuvollziehen.

Fällt dir etwas anderes ein, wodurch du dich beteiligter fühlen könntest?

Es gibt keine Lösung, seufzt Marina resigniert.

Da du nichts tun willst, kannst du nichts tun.

Eben. Er müßte was tun. Oder - momentmal. Marina beugt sich vor. Nächstes Monat hat mein Auto TÜV.

Hochinteressant - hey, Bea kichert. Du denkst an eine kleine Beteiligung von sagen wir fünfundzwanzig Prozent, sprich einem monatlichen Nebenverdienst von zirka dreihundert Mark?

Marinas Augen blitzen.


Michaela Seul wurde 1962 in München geboren und arbeitet dort als Lektorin. Sie hat rund 300 Kurzgeschichten in Zeitungen, Zeitschriften und Anthologien veröffentlicht. Sie erhielt 1993 den 1. Wiener Werkstattpreis und sitzt 1997 auf dem "Poetensitz der Literaturzeitschrift Passagen" in Heidelberg.

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Wandler, Zeitschrift für Literatur, Heft 20

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