Wandler, Zeitschrift für Literatur, Nr.20: Scardanelli

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Scardanelli

 

erwachen

jener morgen tränenlos

zehrt jetzt dein blindenalter auf

haut

wüste aus schorf und bitterer geduld

zerklüftung dessen

was einst jungsein hieß und

meervergessen

dann siehst du die zähe flut

verwaist und tot

der fische knochenstaub am strand

vernichtetes geheimnis

aus poren brechen glänzende insekten

schweiss der hinabrinnt deinen leib

demütig jedem atemstoss ergeben

dem herzschlag deines nichts

gräbst du in einer wunde überfällig

die wir leben nannten

leben das hinaus will in die leere

in brutale sterneneinsamkeit

dein hirn die feuchte masse

gierig nach welt nach licht von liebenden

o rausch einer erinnerung

hirn das im schädel trocknet

im schwarzen panzer eines käfers

eines totenfalters starr

paralysiert

sinnloses knäuel aus pergament

die luft wird dünner

die dein endliches erstickt

schatten kriecht dein fleisch empor

kündet von einem all

das unvordenklich ragt

ein riesenschlund aus todesfurcht

 

VII.1997 nairobi

 

scardanelli, lyriker, geb. 1964, lebt in berlin-friedrichshain

"elegien vom ende der welt" - gedichte, maas verlag berlin, "die litanei des todes" - gedichte, libelle verlag lengwil, "hautabziehn - the alien of hölderlin" - gedichte, cyan press berlin. aufenthalte u.a. in der mongolei und im osthimalaya.


 

Wandler, Zeitschrift für Literatur, Heft 20

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