Zurück zur Titel & Inhalt von Heft 20, zur Wandler
Startseite
Rotraud Sarker
Zisterne
Der wald war kalt und
weiß in meinem traum, die stämme
starr in purem
marmor Als leises stöhnen
lief das wasser aus den poren
eines schwarzen himmels
und verschwand In allen becken
stieg der wasserstand, ich wußte
daß ich immer schneller gehen
mußte, zwischen den zehen
spürte ich das zucken
zarter fische
Die wassertropfen trafen
meine haut, wie fäuste
klatschte jetzt ihr laut
in meinen ohren
Ich betete zu meiner göttin
flehte, raste Ich sah sie
an den füßen aufgehängt
über dem letzten becken
im wasserspiegel sah ich
ihr gesicht,
die aufgerissenen augen
und den jäh
gebrochenen mund,
ihr stein gewordenes
und sterbliches
erschrecken
Rotraud Sarker
Symmetrie
Als ich soeben gestorben war,
die verlassenheit der regennassen
erde, die höhnischen farben der schnittblumen
mich noch bedrückten, ich mich
aufsetzte, ganz nah in die gesichter
der menschen blickte, die angst sah,
die wie zahnschmerzen hinter den geschlossenen
lippen hauste, und in den linien
über den augen die zahl der jedem
verbliebenen jahre entdeckte,
legte ich mir ein feuchtes feinziseliertes
blatt auf die stirn, dachte an seine schwebende
symmetrie, an die lüfte, die durchsichtigen
blumenfische der tiefsee, während mein fleisch
schwand und ich weiß wurde, ährenleicht, stein
Rotraud Sarker wurde 1942 in Detmold geboren. Sie lebt in der Nähe von
London. 1994 erschienen Gedichte unter dem Titel "Die Farben des Windes".
Wandler, Zeitschrift für Literatur, Heft 20
Zurück zum Anfang der Seite, zur
Titel & Inhalt von Heft
20, zur Wandler
Startseite
|