Wandler, Zeitschrift für Literatur, Nr.20: Ponti

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Ponti

Wie der Wandler Wandler wurde

Wenn der Wandler ein High-Tech Produkt wäre und die Universität Konstanz nicht im Niemandsland zwischen Deutschland und der Schweiz, sondern in Boston oder Silicon Valley läge, dann wäre der Wandler ein klassischer Spin Off.

So ist der Wandler eine Literaturzeitschrift, deren Gründer sich über das Erreichen eines zweistelligen Jubiläums verwundern. Und doch hat der Wandler etwas von einem High Tech Produkt, nämlich seinen Namen.

Entgegen der mehrfach geäußerten Meinung, Wandler sei als Titel esoterisch angehaucht, verweist der damals bei der Namensgebung zugezogene Duden korrekt darauf, daß Wandler eine technische Bezeichnung für ein technisches Produkt ist (dieser Umstand hat natürlich den materialistischen Flügel der Redaktion stark magnetisiert).

Die Namensgebung war neben den archaischen Produktionsbedingungen der ersten Ausgabe (Layout behelfs einer Olivetti-Schreibmaschine mit dreizeiligem Display und entsprechendem Korrekturspeicher, zweiwöchiges Abtippen im Zweifingersystem, Druck mit Hilfe der Infrastruktur des AStA Kaiserslautern etc.) die kritischste Phase im Entstehungsprozeß des Wandler.

Zur Lösung dieses Problems wurden diverse Methoden herangezogen: Brainstorming, Diskurs, Abstimmung, Punktvergabe, Listen, sowie diverse weitere ausgeklügelte Strategien, die mir entfallen sind.

Der Erfolg dieser Maßnahmen wurde sehr sauber durch das Vetorecht jedes Redaktionsmitglieds verhindert. So kam es, daß beispielsweise in einer Redaktionssitzung mit vier Anwesenden unter allgemeiner Begeisterung ein Vorschlag zum Sieger erkoren wurde, nur um in der nächsten Sitzung von dem letztmals Abwesenden mit einem Veto belegt zu werden. So zog sich diese Lähmung über viele Wochen hin und es kam zu Zerwürfnissen, Drohungen, Schuldzuweisungen und anderen lustigen Demokratiespielen. Mit dem näherrückenden Produktionstermin mußte ein Name her und so wurden noch einmal der gute Wille aller Beteiligten und die über 300 Vorschläge enthaltenden Listen zusammengerafft, wobei das Ausschlußverfahren zur Anwendung kam, bei dem jeder äußern durfte, welchen Namen er nicht haben will. Dabei blieb WANDLER übrig. Ein Vorschlag übrigens, mit dem keiner vollständig glücklich war, gegen den aber auch niemand ein klares Veto einreichen wollte, mithin also das Ergebnis gesunkener Frustrationstoleranz.

10 Jahre später kann ich sagen, daß der Wandler seinem Namen entsprochen hat. Immer wenn ich geglaubt habe, der Wandler habe sich in einer inhaltlichen Richtung festgefahren, hat er sich gewandelt. So lebt der Wandler bis heut mit den aus diesem Konzept entstehenden Vor- und Nachteilen, einerseits muß er die fehlende Stammkundschaft einer linientreuen Leserschaft missen und andererseits erwächst daraus die Offenheit, immer wieder das Neue und das Andere zu präsentieren. So wünsche ich dem Wandler weitere wandelvolle Jahrzehnte.

P.S. : Wem - wie mir - immer noch unklar sein sollte, was ein Wandler ist und was dies bedeuten soll, dem seien hier Martin Vietens erklärende Worte aus dem Editorial der ersten Ausgabe nahegelegt: "Der Wandler soll ein Transmissionsriemen sein zwischen jungen Schriftstellern und literarisch interessierten Lesern." Ein Transmissionsriemen also.

Alexander "Ponti" Brückner ist zur Zeit ohne festen Wohnsitz, arbeitet irgendwas mit Geld und Computern und gehörte zur Gündungsredaktion von "Wandler".


 

Wandler, Zeitschrift für Literatur, Heft 20

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