Wandler, Zeitschrift für Literatur, Nr.20: Karin Kinast

Zurück zur Titel & Inhalt von Heft 20, zur Wandler Startseite


Karin Kinast

NÄMLICH (ein Kommentar zur allgemeinen Wetterlage)

Das war nämlich heute

oder

Am ersten warmen Frühlingstag

oder

Kein Aprilscherz

oder

Ich glaub, ich träume

oder

Heute ist Bruchtag

oder

Als ich die Wohnung verließ und nicht mehr kam

oder

Klimatische Veränderungen

oder

Es passiert total viel, aber es bewegt sich nichts

oder

Endlich Sommer

oder

Bald wieder Winter

oder

Pollenalarmstufe 1

oder

Wohin also reisen

oder

Heute. Das Ende. Ein Anfang

oder

Als die Wohnungstür hinter mir zufiel und ich noch nicht wissen konnte, was auf mich zukam

Das war nämlich heute, ja, heute. Und heute war ein besonderer Tag, das können Sie mir glauben. Und in diesem Bewußtsein, daß heute ein besonderer Tag sei, in Gedanken an das, was denn dieses Heute so besonders machte, anders als gestern und anders als morgen, sanftwissend erinnerndes und zugleich nichtsahnendes Lächeln, in Gedanken eine Sekunde und ein paar mehr meinem Treten über die Schwelle voraus, ein Schritt schon genügt, schon istís passiert, vorwärtsgewandt also, mit dem Rücken zur Türe, vernahm ich dicht hinter mir das gewohnte Geräusch einer ins Schloß fallenden Wohnungstür, nämlich meiner, und im Wenden schon schoß es mir blitzartig in den Kopf: Schlüssel steckt, nämlich innen.

Noch nie in meiner gesamten Wohnungslaufbahn war mir derartiges passiert. Und beim Weggehen, ich hatte nämlich einen dringlichen Termin, und wozu vor der verschlossenen Türe stehen, worauf warten, zu war zu, trotz Schütteln Rütteln Treten, heute hielt sie, (eingeschnappt, alte verzogene Türe, als wärst du zehnfach verriegelt, während du manchmal von alleine aufspringst, blöde Tür, tust immer genau das, was du nicht sollst, schlagen hilft auch nichts), und beim Weggehen also dreh ich mich um und sehe mich stehen vor der Tür, nämlich meiner, vorwärtsgewandt, mit dem Rücken zur Türe, hinter mir das gewohnte Geräusch einer ins Schloß fallenden Wohnungstür, im Wenden mit dem Wohnungsschlüssel die Schlösser verriegelnd, den Rucksack um die Schultern, die Wohnung Wohnung sein lassen, raus aus dem Haus, noch nichts war passiert.

Nämlich raus aus dem Haus, an die Sonne, am ersten richtig warmen Frühlingstag im April. Noch vor zwei Wochen hatten wir Minus-Grade, Ostern im Schnee. Sie glauben es nicht, ich auch nicht, so lesen Sie: "Sonnenschein und Wärme in ganz Österreich: Die Klimaforscherin und Agrarklimafachfrau Dr. Sissi Koch vermerkt in ihrer neuen Analyse vor allem in Ostösterreich noch eine Vegetationsverspätung von etwa 3 bis 4 Wochen. Nun kann aber die Natur aufholen, denn das frühsommerlich warme Hochdruckwetter dauert an. Biowetter: Derzeit gibt es keine ungünstigen Einflüsse auf den menschlichen Organismus..." Las ich heute in der Zeitung, mit pflasterverklebter Armbeuge und dreizehn aufgeritzten Hautpünktchen, nachdem mir die Wohnungstür zugefallen war, nachdem ich mich umgedreht hatte und nachdem ich mich vor der Wohnungstür stehen gesehen hatte, die Türe dreimal verriegelnd, den Rucksack um die Schultern, die Wohnung Wohnung sein lassen, nämlich raus aus dem Haus, an die Sonne, am ersten warmen Frühlingstag im April, ungelesen die Zeitung am Boden, Wetterbericht (die "Steuersteuer"), Horoskop (Mars im Dauerspannungsaspekt zu Ihrer Geburtssonne, Sparschweinejammern), Wetterlage (das Schnürlregen-Sparpaket), Aussichten (ganz Europa im Rinderwahn), Vorschau auf morgen (die genmanipulierte Antimatschtomate), noch frisch, noch fröhlich, hinaus in den Tag.

Zwei Monate später die Wohnung erst wieder betreten, alles vorgefunden, wie verlassen, die Zeitung am Boden, ungelesen und unberührt. Nämlich "Sonnig und sehr warm - Die Warmluftzufuhr verstärkt sich - Vom Westen her eine Störung - zeitweise Regen - und auch nicht mehr so warm." Eine andere Prognose nämlich an jenem Tag, als die Türe ins Schloß fiel, ich stand, vorwärtsgewandt, mit dem Rücken zur Türe, mich wendend, die Schlösser verriegelnd, den Rucksack am Rücken, die Wohnung Wohnung sein lassend, ich also raus aus dem Haus, an die Sonne, nämlich heute vor einem Jahr. Die Wetterlage: Warme Luft vom Mittelmeer strömt nach Norden. Österreich liegt in dieser Strömung. Ich liege in dieser Strömung. Die Aussichten: Doppelter Beinbruch. Die Vorschau auf morgen, Sonntag: Spitalsaufenthalt.

Nicht verfolgt nämlich das Bio-Wetter, die Bio-Prognose. Heute: Depressive Verstimmungen. Vorschau: Migräne. Nicht gefolgt nämlich dem Bio-Rhythmus ("Ihre tägliche Leistungskurve erfahren Sie unter folgender Telefonnummer"). Ungelesen aber auch mein Tageshoroskop: "Mond in einem harmonischen Winkel zu Ihrer Geburtssonne zeigt an, daß Sie ein wunderschönes Wochenende verbringen werden."

Zwei Monate später also die Wohnung erst wieder betreten, alles vorgefunden wie verlassen, über die Zeitung am Boden gehumpelt, ungelesen, unberührt gelassen. Erst ein Jahr später, nämlich heute, aus dem Bruchtag-Stapel hervorgeholt. Sekt eingekauft. Nämlich heute, nachdem die Wohnungstür hinter mir ins Schloß gefallen war und der Schlüssel innen steckte, ich mich stehen gesehen hatte, im Wenden die Türe verriegelnd, und mich kommen sah mit pflasterverklebtem Rücken, pflasterverklebter Armbeuge und dreizehn aufgeritzten Hautpünktchen, das Allergieambulatorium hinter mir.

"Pollenwarndienst für Wien, ausgegeben am 22. April: Die erste Belastungswelle von Birkenpollen hat am Wochenende stattgefunden. Es gibt jedoch kaum eine Entlastung, da bereits die nächste, noch stärkere Belastung vor der Tür steht", stand auch ich wieder vor jener Türe. Dies war nämlich an jenem Tag, als das dicht hinter mir vernehmbare gewohnte Geräusch meiner ins Schloß fallenden Wohnungstür mir nichts Gutes verheißen konnte und mir der Eintritt in meine Wohnung verwehrt blieb bis zu jenem Zeitpunkt, als der Aufsperrdienst mir 900 Schilling abknöpfte und - Sesam öffne dich - das schützende Heim wieder offen stand für mich und meine allergischen Schübe. "... Auftretende Beschwerden sind meist nicht direkt wettermäßig bedingt. Bei stärkerer Wärmebelastung, insbesonders in der prallen Sonne, kann jedoch das Allgemeinbefinden erheblich beeinträchtigt sein. Herz- und kreislaufempfindliche Personen sollten erhöhte körperliche Belastungen tunlichst meiden." Nämlich heute, am Jahrestag, Bruchtag, mit Sekt, na dann Prost, beim Mitternachtsjournal, tränenden Augen und laufender Nase: "Die Auswirkungen von Tschernobyl werden in Österreich noch ca. 300 Jahre meßbar sein. Die Halbwertszeit von Cäsium beträgt 30 Jahre. Alpen-Schwammerl sind jedoch kein Problem für Hobby-Schwammerl-Sammler."

Auch nicht an jenem Tag, als die Tür hinter mir ins Schloß gefallen war mit jenem gewohnten Geräusch, das mich zusammenzucken ließ, vorwärtsgewandt, mit dem Rücken zur Türe, ich im Wenden mich stehen sah, wendend und Schlösser verriegelnd, der Schlüssel aber innen steckte, und mich nicht mehr kommen wußte, bei Biowetter nämlich im Biospital ("Mit der Bioprognose und Ihrem Arzt können Sie Ihre Wetterfühligkeit bekämpfen: Notieren Sie täglich das Biowetter sowie Ihre Beschwerden, und eruieren Sie so Ihren Wettertyp") und mich wieder kommen sah ein Jahr später, nämlich heute, mit pflasterverklebtem Rücken, pflasterverklebter Armbeuge und dreizehn aufgeritzten Hautpünktchen, der Aufsperrdienst mir Einlaß gewährend ins schützende Heim: "Zurück zur Natur". Nämlich Näschen geputzt, mit Nasenspray und Augentropfen die Qualen lindernd, ein Antihistaminikum am Abend bringt müdes Frühlingserwachen: "Warum gerade ich?" - Die Allergiefibellektüre bringt neue Erkenntnisse: "Gestörte Harmonie = Allergie" - und darum: "Bloß nicht unterschätzen" - doch, nur Mut: "Man kann etwas dagegen tun!" - aber: "Gut Ding braucht Weile" - denn: "Alle Jahre wieder" - also: "Es liegt etwas in der Luft" - wir alle wissen: "Ein Bett im Kornfeld kann ausgesprochen reizend sein" - doch: "Überlassen Sie das Rasenmähen anderen" - warnt die Allergiefibel vor Spitzwegerich-Gefahren am Wegesrand, Beifußattacken im Spätsommer und Hausstaubmilben im eigenen Bett. "Gehen Sie der Gefahr aus dem Weg!" - Wohin also fliehen? - "Immer der Nase nach" - Wo also bleiben? - "Kleine Monster in jedem Haushalt". Wohin also reisen? "Kein Kontakt, keine Beschwerden". Na dann Prost, auf den Tag, als die Tür hinter mir ins Schloß fiel, mir ein Schauer über den Rücken lief, als der Wohnungsschlüssel steckte, nämlich innen, (kein Aprilscherz), na dann Prost, auf den Tag, als ich ging, im Wenden verriegelnd, und nicht mehr kam (ich glaub, ich träume), na dann Prost, auf den Tag, als das dicht hinter mir vernehmbare gewohnte Geräusch einer ins Schloß fallenden Wohnungstür nur Gutes verheißen kann, nämlich: Reisen. (Endlich Sommer oder bald wieder Winter). Wohin also reisen? Klimatische Wechsel: An den Nordpol, in die Wüste, auf den Gletscher, ins Gebirge, auf den Meeresgrund. Das Klima verschiebt sich. Und Warndienste warnen. Alarmstufen alarmieren. Und Schadstoffe schaden. "Über Wirkung und mögliche unerwünschte Wirkungen informieren Gebrauchsanweisung, Arzt oder Apotheker".

Das Klima verschiebt sich nämlich, das Klima verändert sich nämlich, das Klima wechselt nämlich. Das Klima wechselt täglich. Auch an jenem Tag, als die Wohnungstür mit ihrem gewohnten Geräusch hinter mir ins Schloß fällt und ich noch nicht wissen kann, was auf mich zukommt. Das ist nämlich heute. Ein besonderer Tag. Heute. Das Ende. Ein Anfang. Da stehe ich vor der Türe, der Wohnungstür, nämlich meiner, im Wenden die Schlösser verriegelnd, den Rucksack um die Schultern, und frage mich und frage Sie: Warum sich nichts ändert, obwohl sich ständig was tut?

Die gute Nachricht zum Rind: "Die als rauflustig geltende Rasse der Tux-Zillertaler-Rinder war in den 70er Jahren nahezu vom Aussterben bedroht, konnte aber durch gezielte Züchtungsaktionen von Tiroler Bauern gerettet werden."

Die gute Nachricht zum Schwein: "Wildschweinjunges am Bahnhofsplatz gefunden. Passanten hatten eine Kiste entdeckt, in der ein Frischling eingepackt war. Das Tier wurde zur Betreuung ins Tierschutzhaus gebracht. Spontane Interessenten wollten das Ferkel sofort in häusliche Pflege übernehmen. Das verbietet freilich das Gesetz zur Haustierhaltung. Entweder meldet sich der Besitzer, oder das Schwein bleibt im Heim."

Die gute Nachricht zur guten Nacht: "Nur keine Panik!" - Nun schlafen Sie ein.

 


 

Wandler, Zeitschrift für Literatur, Heft 20

Zurück zum Anfang der Seite, zur Titel & Inhalt von Heft 20, zur Wandler Startseite