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Karin Kinast
Das war nämlich heute
oder
Am ersten warmen Frühlingstag
oder
Kein Aprilscherz
oder
Ich glaub, ich träume
oder
Heute ist Bruchtag
oder
Als ich die Wohnung verließ und nicht mehr kam
oder
Klimatische Veränderungen
oder
Es passiert total viel, aber es bewegt sich nichts
oder
Endlich Sommer
oder
Bald wieder Winter
oder
Pollenalarmstufe 1
oder
Wohin also reisen
oder
Heute. Das Ende. Ein Anfang
oder
Als die Wohnungstür hinter mir zufiel und ich noch nicht wissen konnte,
was auf mich zukam
Das war nämlich heute, ja, heute. Und heute war ein besonderer Tag,
das können Sie mir glauben. Und in diesem Bewußtsein, daß
heute ein besonderer Tag sei, in Gedanken an das, was denn dieses Heute so
besonders machte, anders als gestern und anders als morgen, sanftwissend
erinnerndes und zugleich nichtsahnendes Lächeln, in Gedanken eine Sekunde
und ein paar mehr meinem Treten über die Schwelle voraus, ein Schritt
schon genügt, schon istís passiert, vorwärtsgewandt also,
mit dem Rücken zur Türe, vernahm ich dicht hinter mir das gewohnte
Geräusch einer ins Schloß fallenden Wohnungstür, nämlich
meiner, und im Wenden schon schoß es mir blitzartig in den Kopf:
Schlüssel steckt, nämlich innen.
Noch nie in meiner gesamten Wohnungslaufbahn war mir derartiges passiert.
Und beim Weggehen, ich hatte nämlich einen dringlichen Termin, und wozu
vor der verschlossenen Türe stehen, worauf warten, zu war zu, trotz
Schütteln Rütteln Treten, heute hielt sie, (eingeschnappt, alte
verzogene Türe, als wärst du zehnfach verriegelt, während
du manchmal von alleine aufspringst, blöde Tür, tust immer genau
das, was du nicht sollst, schlagen hilft auch nichts), und beim Weggehen
also dreh ich mich um und sehe mich stehen vor der Tür, nämlich
meiner, vorwärtsgewandt, mit dem Rücken zur Türe, hinter mir
das gewohnte Geräusch einer ins Schloß fallenden Wohnungstür,
im Wenden mit dem Wohnungsschlüssel die Schlösser verriegelnd,
den Rucksack um die Schultern, die Wohnung Wohnung sein lassen, raus aus
dem Haus, noch nichts war passiert.
Nämlich raus aus dem Haus, an die Sonne, am ersten richtig warmen
Frühlingstag im April. Noch vor zwei Wochen hatten wir Minus-Grade,
Ostern im Schnee. Sie glauben es nicht, ich auch nicht, so lesen Sie:
"Sonnenschein und Wärme in ganz Österreich: Die Klimaforscherin
und Agrarklimafachfrau Dr. Sissi Koch vermerkt in ihrer neuen Analyse vor
allem in Ostösterreich noch eine Vegetationsverspätung von etwa
3 bis 4 Wochen. Nun kann aber die Natur aufholen, denn das frühsommerlich
warme Hochdruckwetter dauert an. Biowetter: Derzeit gibt es keine
ungünstigen Einflüsse auf den menschlichen Organismus..." Las ich
heute in der Zeitung, mit pflasterverklebter Armbeuge und dreizehn aufgeritzten
Hautpünktchen, nachdem mir die Wohnungstür zugefallen war, nachdem
ich mich umgedreht hatte und nachdem ich mich vor der Wohnungstür stehen
gesehen hatte, die Türe dreimal verriegelnd, den Rucksack um die Schultern,
die Wohnung Wohnung sein lassen, nämlich raus aus dem Haus, an die Sonne,
am ersten warmen Frühlingstag im April, ungelesen die Zeitung am Boden,
Wetterbericht (die "Steuersteuer"), Horoskop (Mars im Dauerspannungsaspekt
zu Ihrer Geburtssonne, Sparschweinejammern), Wetterlage (das
Schnürlregen-Sparpaket), Aussichten (ganz Europa im Rinderwahn), Vorschau
auf morgen (die genmanipulierte Antimatschtomate), noch frisch, noch
fröhlich, hinaus in den Tag.
Zwei Monate später die Wohnung erst wieder betreten, alles vorgefunden,
wie verlassen, die Zeitung am Boden, ungelesen und unberührt. Nämlich
"Sonnig und sehr warm - Die Warmluftzufuhr verstärkt sich - Vom Westen
her eine Störung - zeitweise Regen - und auch nicht mehr so warm." Eine
andere Prognose nämlich an jenem Tag, als die Türe ins Schloß
fiel, ich stand, vorwärtsgewandt, mit dem Rücken zur Türe,
mich wendend, die Schlösser verriegelnd, den Rucksack am Rücken,
die Wohnung Wohnung sein lassend, ich also raus aus dem Haus, an die Sonne,
nämlich heute vor einem Jahr. Die Wetterlage: Warme Luft vom Mittelmeer
strömt nach Norden. Österreich liegt in dieser Strömung. Ich
liege in dieser Strömung. Die Aussichten: Doppelter Beinbruch. Die Vorschau
auf morgen, Sonntag: Spitalsaufenthalt.
Nicht verfolgt nämlich das Bio-Wetter, die Bio-Prognose. Heute: Depressive
Verstimmungen. Vorschau: Migräne. Nicht gefolgt nämlich dem
Bio-Rhythmus ("Ihre tägliche Leistungskurve erfahren Sie unter folgender
Telefonnummer"). Ungelesen aber auch mein Tageshoroskop: "Mond in einem
harmonischen Winkel zu Ihrer Geburtssonne zeigt an, daß Sie ein
wunderschönes Wochenende verbringen werden."
Zwei Monate später also die Wohnung erst wieder betreten, alles vorgefunden
wie verlassen, über die Zeitung am Boden gehumpelt, ungelesen,
unberührt gelassen. Erst ein Jahr später, nämlich heute, aus
dem Bruchtag-Stapel hervorgeholt. Sekt eingekauft. Nämlich heute, nachdem
die Wohnungstür hinter mir ins Schloß gefallen war und der
Schlüssel innen steckte, ich mich stehen gesehen hatte, im Wenden die
Türe verriegelnd, und mich kommen sah mit pflasterverklebtem Rücken,
pflasterverklebter Armbeuge und dreizehn aufgeritzten Hautpünktchen,
das Allergieambulatorium hinter mir.
"Pollenwarndienst für Wien, ausgegeben am 22. April: Die erste
Belastungswelle von Birkenpollen hat am Wochenende stattgefunden. Es gibt
jedoch kaum eine Entlastung, da bereits die nächste, noch stärkere
Belastung vor der Tür steht", stand auch ich wieder vor jener Türe.
Dies war nämlich an jenem Tag, als das dicht hinter mir vernehmbare
gewohnte Geräusch meiner ins Schloß fallenden Wohnungstür
mir nichts Gutes verheißen konnte und mir der Eintritt in meine Wohnung
verwehrt blieb bis zu jenem Zeitpunkt, als der Aufsperrdienst mir 900 Schilling
abknöpfte und - Sesam öffne dich - das schützende Heim wieder
offen stand für mich und meine allergischen Schübe. "... Auftretende
Beschwerden sind meist nicht direkt wettermäßig bedingt. Bei
stärkerer Wärmebelastung, insbesonders in der prallen Sonne, kann
jedoch das Allgemeinbefinden erheblich beeinträchtigt sein. Herz- und
kreislaufempfindliche Personen sollten erhöhte körperliche Belastungen
tunlichst meiden." Nämlich heute, am Jahrestag, Bruchtag, mit Sekt,
na dann Prost, beim Mitternachtsjournal, tränenden Augen und laufender
Nase: "Die Auswirkungen von Tschernobyl werden in Österreich noch ca.
300 Jahre meßbar sein. Die Halbwertszeit von Cäsium beträgt
30 Jahre. Alpen-Schwammerl sind jedoch kein Problem für
Hobby-Schwammerl-Sammler."
Auch nicht an jenem Tag, als die Tür hinter mir ins Schloß gefallen
war mit jenem gewohnten Geräusch, das mich zusammenzucken ließ,
vorwärtsgewandt, mit dem Rücken zur Türe, ich im Wenden mich
stehen sah, wendend und Schlösser verriegelnd, der Schlüssel aber
innen steckte, und mich nicht mehr kommen wußte, bei Biowetter
nämlich im Biospital ("Mit der Bioprognose und Ihrem Arzt können
Sie Ihre Wetterfühligkeit bekämpfen: Notieren Sie täglich
das Biowetter sowie Ihre Beschwerden, und eruieren Sie so Ihren Wettertyp")
und mich wieder kommen sah ein Jahr später, nämlich heute, mit
pflasterverklebtem Rücken, pflasterverklebter Armbeuge und dreizehn
aufgeritzten Hautpünktchen, der Aufsperrdienst mir Einlaß
gewährend ins schützende Heim: "Zurück zur Natur". Nämlich
Näschen geputzt, mit Nasenspray und Augentropfen die Qualen lindernd,
ein Antihistaminikum am Abend bringt müdes Frühlingserwachen: "Warum
gerade ich?" - Die Allergiefibellektüre bringt neue Erkenntnisse:
"Gestörte Harmonie = Allergie" - und darum: "Bloß nicht
unterschätzen" - doch, nur Mut: "Man kann etwas dagegen tun!" - aber:
"Gut Ding braucht Weile" - denn: "Alle Jahre wieder" - also: "Es liegt etwas
in der Luft" - wir alle wissen: "Ein Bett im Kornfeld kann ausgesprochen
reizend sein" - doch: "Überlassen Sie das Rasenmähen anderen" -
warnt die Allergiefibel vor Spitzwegerich-Gefahren am Wegesrand,
Beifußattacken im Spätsommer und Hausstaubmilben im eigenen Bett.
"Gehen Sie der Gefahr aus dem Weg!" - Wohin also fliehen? - "Immer der Nase
nach" - Wo also bleiben? - "Kleine Monster in jedem Haushalt". Wohin also
reisen? "Kein Kontakt, keine Beschwerden". Na dann Prost, auf den Tag, als
die Tür hinter mir ins Schloß fiel, mir ein Schauer über
den Rücken lief, als der Wohnungsschlüssel steckte, nämlich
innen, (kein Aprilscherz), na dann Prost, auf den Tag, als ich ging, im Wenden
verriegelnd, und nicht mehr kam (ich glaub, ich träume), na dann Prost,
auf den Tag, als das dicht hinter mir vernehmbare gewohnte Geräusch
einer ins Schloß fallenden Wohnungstür nur Gutes verheißen
kann, nämlich: Reisen. (Endlich Sommer oder bald wieder Winter). Wohin
also reisen? Klimatische Wechsel: An den Nordpol, in die Wüste, auf
den Gletscher, ins Gebirge, auf den Meeresgrund. Das Klima verschiebt sich.
Und Warndienste warnen. Alarmstufen alarmieren. Und Schadstoffe schaden.
"Über Wirkung und mögliche unerwünschte Wirkungen informieren
Gebrauchsanweisung, Arzt oder Apotheker".
Das Klima verschiebt sich nämlich, das Klima verändert sich
nämlich, das Klima wechselt nämlich. Das Klima wechselt täglich.
Auch an jenem Tag, als die Wohnungstür mit ihrem gewohnten Geräusch
hinter mir ins Schloß fällt und ich noch nicht wissen kann, was
auf mich zukommt. Das ist nämlich heute. Ein besonderer Tag. Heute.
Das Ende. Ein Anfang. Da stehe ich vor der Türe, der Wohnungstür,
nämlich meiner, im Wenden die Schlösser verriegelnd, den Rucksack
um die Schultern, und frage mich und frage Sie: Warum sich nichts ändert,
obwohl sich ständig was tut?
Die gute Nachricht zum Rind: "Die als rauflustig geltende Rasse der
Tux-Zillertaler-Rinder war in den 70er Jahren nahezu vom Aussterben bedroht,
konnte aber durch gezielte Züchtungsaktionen von Tiroler Bauern gerettet
werden."
Die gute Nachricht zum Schwein: "Wildschweinjunges am Bahnhofsplatz gefunden.
Passanten hatten eine Kiste entdeckt, in der ein Frischling eingepackt war.
Das Tier wurde zur Betreuung ins Tierschutzhaus gebracht. Spontane Interessenten
wollten das Ferkel sofort in häusliche Pflege übernehmen. Das verbietet
freilich das Gesetz zur Haustierhaltung. Entweder meldet sich der Besitzer,
oder das Schwein bleibt im Heim."
Die gute Nachricht zur guten Nacht: "Nur keine Panik!" - Nun schlafen Sie
ein.
Wandler, Zeitschrift für Literatur, Heft 20
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