Wandler, Zeitschrift für Literatur, Nr.20: Dieter Kief

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Dieter Kief

mikro/makro// Ein Mix aus zehn Wandler-Jahren

A

Die Literatur in bewegten Zeiten: Der Blues ist ein Stuhl, auf dem man sitzen kann (Lennon): Die Künste in bewegten Zeiten: Ausdrucksverlangen und der Versuch, sich zu verfassen (Rühmkorf). Der Sänger ist für andere vernehmbar, aber er singt immer auch für sich. In kleinen Literaturzeitschriften kann man gut für sich singen. Das ist vollkommen ok.

a (makro)

Dennoch sucht man nach Kontexten. Indem man sich der Sprache bedient und Kunst macht, ist man automatisch auf alles bezogen: auf die Tradition, auf die Welt, auf Formtraditionen und Geschichte, auf Gegenwart und Zukunft, auf ganze Wirrsale von Semmel, Simmel, Senf und Sirius.

b (mikro)

Auch das sanfte Abseits der kleinen Literaturzeitschriften bedeutet den Zusammenhang mit dem Großenganzen. Je mehr ich das Gefühl habe, daß man sich dieser Tatsache stellt, desto bereitwilliger lese ich die kleine Literaturzeitschrift. Haut das hin, lese ich dort auch Texte aus Klagenfurt oder St. Petersburg.

mikro/makro 2, die Skizze einer Versuchsanordnung Der Mühlenweg liegt ruhig im Morgenlicht; darüber der Tagmond. Dazwischen Wolkenfelder und Wind.

B

Auf wen bezieht man sich, wenn man in Konstanz Literatur macht? Das wird in den ersten zehn Wandlerjahren nicht oft und deutlich genug gesagt. Gesagt wird aus ganz verschiedenen Blickwinkeln, daß man sich den Rücken freihalten muß.

Das Ausdrucksverlangen, das jeder Textproduktion zugrunde liegt, ist ein scheues Wild und Jäger finden sich allenthalben. Am besten wäre es, gar nichts mehr zu sagen. Aber das wäre falsch. / Freilich, es gibt den Überfluß, der aus dem Schlagrahm röchelt (noch einmal Enzensberger). Gerade in der Kunst. Darüber wäre noch viel zu sagen (Heißenbüttel).

Das Leben in den Industriegesellschaften wird immer (links)hirnlastiger und wir lechzen nach Ausgleich. Das Hirntier (Benn) versteht sich nicht von selbst.

Das ist zunächst schlecht für Textproduzenten, weil es hier, anders als in anderen Künsten, naturgemäß sehr (links)hirnlastig zugeht; Innen/außen 3 - Ein Stieglitzpärchen wippt im Gras. Die Vögel sind sehr viel prächtiger als im Lexikon.

Viele wollen schon gar nimmer und die Literatur wird zum Sozialfall, dem man sich staatlicherseits sogar mit einer Stiftung annimmt. Sogar der kleine Wandler kriegt staatliche Fördermittel aus Stuttgart. Prima.

C

Bisher hat man im Wandler noch sehr vor sich hingesprochen. Vielleicht mußte das so sein. Vielleicht könnte man in Zukunft doch mehr nach außen sehen und sich mehr positionieren.

Ein Vorschlag wäre, den regionalen Aspekt zu betonen. Zu sagen, wir sind eine süddeutsche Grenzland-Literaturzeitschrift. Die Fäden in Reichweite ziehen. Die Beziehungen zu den Autorinnen und Autoren pflegen. Es ist nicht zu unterschätzen, was es heißt, sich zu sehen. Vielleicht wäre ein Austausch mit der Hirschstraße oder der Allmende oder dem Literarischen Forum Oberschwaben möglich. Die Kontakte zu Faude und Isele müßten noch mehr hergeben, als sie das in der Vergangenheit taten. Ich muß zugeben: der hinterletzte Ruhrpottschreiber, der sich seit Jahren durch die kleinen Magazine kämpft, interessiert mich noch weniger, als der gleiche Mann von der Schwäbischen Alb, oder aus dem Thurgau oder aus dem Rhein-Neckar-Raum, weil ich diese Gegenden kenne. Kleine Magazine können lokale Leserinteressen und lokale Schreiberkenntnisse besser aufeinander beziehen, als große Blätter.

D

Wie vermeidet man dabei, provinziell zu werden? Am besten, man verortet sich: auch ästhetisch. Die Gruppe Wand hat's vorgemacht. Aber die Redaktion sollte das - über die Textauswahl hinaus - vermehrt selbst tun. Auch das Schöne braucht seine Pflege; seine Gründe und seine Rechtfertigungen und Urteile. Das Editorial könnte die Heft-Texte detaillierter vorstellen und mehr argumentieren. Gerade ästhetisch. Überhaupt bräuchte das Heft mehr Rezensionen. Ob von bekannten oder unbekannten Büchern ist unwichtig. Die von hier sollten jedoch darunter sein.

Heinrich-Seuse-See// Martin-Walser-See.

OhOh!

Zehn Jahre Wandler, ein kleiner Stapel im Regal. Viele interessante Texte. Von Iren Nigg, Matina Hornung (auch ein ungedruckter, der noch ans Licht sollte!), Dieter Lohr et al.

Martin Stockburger, die Anonyma vom letzten Heft.

Die wiederkehrenden Bezugnahmen auf Bukowski beschäftigen mich.

E

Der Blues. Dieses vor-sich-Hinsingen/Sprechen. Zu sich und zu anderen. Mal mehr zum einen, mal mehr zum anderen. Keiner weiß genau, was was ist: Das immerhin geschieht seit Zehn Jahren auch im Wandler. Zehn Jahre, eine ganze Weile schon, ich gratuliere! Hoffentlich sehen wir uns im nächsten Jahrtausend!

 

Dieter Kief lebt als freier Kulturjournalist in Konstanz, er gehörte zur Gündungsredaktion von "Wandler".


 

Wandler, Zeitschrift für Literatur, Heft 20

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