Wandler, Zeitschrift für Literatur, Nr.20: Oliver Gassner

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Oliver Gassner

party

fuer astrid martina und martin

die vielleicht gelebt haetten

dieses oel immer an den bauernsalaten in diesen billigen tuerkischen restaurants in dieser stadt hier beklagt er sich.

er beklagt sich immer ueber diese stadt. die stadt kann nix dafuer.

buergerlich schimpft er kleinbuergerlich. und er? ist boheme oder was? nur weil er martini saeuft und keine wohnung hat? vielleicht.

und ein falsches verhaeltnis zur kunst. als ob die kunst sich nicht zum menschen zu verhalten haette.

wenn der diskurs versagt schiebt er die schuld dem rezipienten zu. es koennte auch der sender sein.

kurt erzaehlt was falsches ueber rechner.

claudia beklagt sich ueber ihren boss an der uni. auch ein loewe. dieser blick.

irgendwer haette mich fuer eine waage gehalten. glaubt aber auch nicht dran.

claudia ist ihrem boss vor den bug gefahren. jetzt tut's ihr leid.

astrid erzaehlt ueber frankreich. und dass sie immer nach spanien fahren.

wie ich auf die idee gekommen bin literatur zu studieren.

er schwaermt vom segeln auf dem untersee. sauber sei er oder sehe sauber aus.

ich gebe mich als philosoph aus und bin immer noch nicht zu besoffen um das grundgesetz auswendig zu zitieren.

karen will nicht mehr kuensteln. wirkt alt und konfus und stapelt tief. wie immer.

zwei diskutieren welches textverarbeitungsprogramm nun am besten sei.

raoul und carla kommen und bringen eine blume mit. ich bin schon betrunken genug um gleich zu versuchen die symbolik nachzuschlagen. finde aber nix. besser so.

nur schleppend naehern sich die leute dem essen.

zahlt sich eben aus erst gegen acht anzufangen.

der ami war mal wieder der erste.

bin nur zehn minuten zu spaet spoettelt er und weiss dass ich der erste bin.

spaeter krallt er sich nen comic und schmoekert grinsend. wie im ho laden stehen sie an. sitzen auf dem lehnsessel und kichern in die seiten. keine kunst.

irgendwann fragt der typ der eine flasche wein mitgebracht hat ob noch wein da sei. ist er? die frage nehmen einige zum anlass aufzubrechen. spaeter beim aufraeumen finden wir noch einige flaschen.

da ist der den wir auf die seite tun wollten. keiner hat ihn sich gekrallt. wir haben ihn selber aufgefahren. jetzt ist er leer wie der krimsekt des amis.

(24.05.92)

 

 

stadtskizze 2

aus dem fenster dringt laute musik. the show must go on. queen.

unklar ob radio oder platte.

das fenster scheint offen obwohl ich nicht neugierig genug scheinen mag um die fassade einer eingehenden suche zu unterziehen. auch den anderen ist mulmig.

so lang ist die gasse in der altstadt ja nicht.

da ueber dem keramikladen da kommt die musik her. koepfe heben sich.

was ist das? zufall laune. oder hilferuf.

mercury ist schliesslich tot. wenn da oben jetzt einer liegt. oder eine.

den magen voller tabletten die rasierklinge effektiv angesetzt.

ohne scheiss.

und denkt: bei dem krach da muss doch einer.

und der laerm laesst sie nicht schlafen und schliesslich hat sich claus letztes jahr mit dem walkman ueber den ohren auf endloslauf gestellt... naja.

gehe ich hoch trete die tuer ein? oder was?

wie gesagt:

so lang sind die gassen in der altstadt nicht.

(921003 0126)

morgenzug

das blaue leuchten ist ein phaenomen das nur beim ersten zug morgens so stark ist.

ich wundere mich ueber das blaue blitzen der funken an der oberleitung als der zug einfaehrt.

es muss irgendwo zwischen dem ende der bruecke und der bahnunterfuehrung passieren.

auch wo sie in den fruehzug einsteigt kann ich nicht sehen.

nur wenn am damm ein rand aus rauhreif auftaucht weiss ich: wir sind draussen.

wie es morgens um halb sechs stinkt es ist kaum zu beschreiben.

unter tags geht das wohl im gewuehle unter.

an manchen tagen ist es so dunkel dass ich nicht sehen kann ob wir im freien fahren oder durch ein tunell.

nur wenn am damm ein rand aus rauhreif auftaucht weiss ich: wir sind draussen.

wenn sie die zigarette weggeworfen hat zieht sie ihre hand in den aermel ihrer lederjacke zurueck.

eigentlich laufe ich immer mit einem fadenkreuz ueber dem linken auge herum.

blassblau fluoresziert es und nimmt autoreifen aufs korn.

manchmal freitags vielleicht steigt in m. der spd-kandidat ein.

klar: es ist der zug nach stuttgart.

sie scheint ausschliesslich enge jeans und leggings zu besitzen.

ich frage mich wie sie die dinger ueberhaupt anzieht.

ich glaube ich vergreise.

er trägt immer rote jackets oder kommt mir das nur so vor?

und ich dachte frauen entzuenden sich so leicht die nieren?

warum laeuft sie mit so einer kurzen jacke rum?

der schaffner erklärt auf die frage ob das normal sei dass es sich um das bei den hohen voltzahlen verdampfende wasser auf den oberleitungen handle.

das blaue leuchten sei ein phaenomen das nur beim ersten zug morgens so stark sei. und heute sei es schwach im vergleich mit sonst.

er liest stuttgarter.

dass er wie reinhold messner im dinnerjacket aussieht ist das sein fehler?

wo genau sie die zigarette wegwift kann ich nicht sehen obwohl ich genau hinsehe.

es muss irgendwo zwischen dem ende der bruecke und der bahnunterfuehrung passieren.

sie zuendet sich immer an der selben stelle kurz bevor sie die erste querstrasse nach dem bahnhof ueberschreitet eine zigarette an.

zwischen den zuegen liegen zwanzig bis sechsundzwanzig schritte.

am ende weniger.

(februar/april 1994)

 

Oliver Gassner, geb. 1964 in Singen am Hohentwiel, aufgewachsen in Steißlingen im Hegau, lebt in Vaihingen an der Enz. Studium der Germanistik, Medienwissenschaft und Anglistik in Konstanz, arbeitet als Gymansiallehrer.
Seit 1987 Mitarbeiter, seit 1989 Herausgeber der Konstanzer Literaturzeitschrift "Wandler". Veröffentlichungen in über zwanzig verschiedenen Literaturzeitschriften in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Beteiligung an Mail-Art-Projekten. "Silberner Pegasus 1997" von IBM und DIE ZEIT für Literaturarbeit im Internet.


 

Wandler, Zeitschrift für Literatur, Heft 20

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