Wandler, Zeitschrift für Literatur, Nr.20: Volker Fietz

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Volker Fietz

635 Kilometer in einer halben Stunde, Abenteuer mit und ohne Sorgen, Abfahrten, Ankünfte, Auskünfte und andere Katastrophen

Lassen Sie sich nichts erzählen. Machen Sie sich lieber was vor. Die Wirklichkeit ist abstrakt."

Maggi machte Singen zur Stadt und erhält dafür einen Ehrenplatz überm Bahnhof in gelbrot.

Auf der Hinfahrt lag der See zur Linken von einer Eisdecke bedeckt im kraftlosen Morgenlicht, der Zug fuhr an, noch zwei Bahnhöfe, ich schlitterte mit meinen halbschlafenen Gedanken über die Eisfläche rüber zur Mettnau. Unaufgehalten rückte der Zug meinem Bestimmungsort entgegen, ich wollte weiterfahren, wollte sitzenbleiben und wußte doch, daß spätestens in Engen Schluß ist. Seehas heißt das Dingen hier, jede größere Stadt hat ihre Tram oder Straßenbahn.

Versehentlich setzte ich mich einmal in die erste Klasse, nicht ahnend, daß eine Tram eine erste Klasse hat. Die Streifen auf den Sitzen verlaufen hier quer, in der zweiten Klasse längs. Ein Kontrolleur verweist mich auf die niederen Waggons, "beim nächschte Moal schwätzet mir nit lang - da zahlschd!"

Nächster Halt: Böhringen.

Malerisch liegt ein Weiher in der Landschaft vor Bäumen und der Mülldeponie. Zitronenfaltergelbes BahnwärterInnenhäuschen, Autowracks und Obstbäume. Zwei Personen steigen aus und verschwinden mit einem Weg, der in den Untergrund zu führen scheint. Ich sehe weder Namenstafel noch Wegweiser. Nur das Bahnschild: Böhringen mit einem Pfeil "Richtung Konstanz". Hier liegt selbst der Hund begraben. Der Fahrkartendrucker arbeitet nur werktags.

Ich wollte nicht bleiben, ich ließ mich weiterfahren, stieg in Singen aus, verließ den Bahnhof aber nicht, knallte niemandem nach mir die Türe vor den Kopf, durchquerte nicht die Bahnhofshalle, die aussieht wie jede Bahnhofshalle einer Mittelstadt: renoviert und möchtegernurban. Ich überquerte nicht die Bahnhofsstraße, ging nicht bei rot, weil nie ein Auto kommt, durchschritt nicht die Fußgängerzone gefolgt von einem Troß von Berufspendlern auf dem Weg ins Büro, ließ die Polizei nicht rechts liegen, nicht den Karstadt, nicht den Woolworth links, ging heute nicht in die Sparkasse, nein, ich ging nur auf Bahnsteig eins und wartete auf den Anschluß nach Baden-Baden, Sprungbahnhof in die Großstädtigkeit.

Ich saß im Interregio, offenes Abteil. Ich verpackte Suppenwürfel in Alufolie, kam nach neun Stunden Verpacken heim und kochte Kartoffelsuppe, die Wäsche weichte ich in Wannen ein für den nächsten Waschtag, vom Schrubben weichen die Hände auf, vom Wringen im kalten Wasser werden sie blau und schmerzen. Mein Mann war noch im Sternen und kam ebenso hagelvoll und sozialistisch erhitzt mit wehender Bierfahne etwas später. Ich zog trotzdem meinen Lippenstift nach und schaltete den Fernseher ein.

Nächster Halt: Radolfzell.

Ein Bahnhof, ein richtiger kleiner Bahnhof mit Tischlerlehrlingen und Maurergesellen und Schülern und Beamten und ein Schaffner trägt, längerer Aufenthalt in Radolfzell, einen Pappkarton wie eine große Pizzabestellserviceschachtel zum Lokführer. Er wird hungrig sein, würde ich denken, stünde dort nicht SÜDKURIER, wo Quattro Stagioni stehen müßte.

Der Zug schlängelt sich durch kahles Geäst.

Zwischen den Bäumen auf einer Böschung, im Wald zwischen Radolfzell und Böhringen steht tatsächlich keramikweiß schimmernd eine Kloschüssel. Das ist ja praktisch, denke ich und denke mich gleich weiter in eine Geschichte: Als Brillenträgerin in der Wildnis.

Mit Harald, Ernst und Babsi mache ich einen Sonntagsspaziergang, es ist schweinekalt, sagt Harald, aber die Sonne scheint doch und der Himmel ist blau. Babsi umbaumelt eine Minolta, mit der sie unsere Poren vor ihr Auge zoomt. Die Sau drückt auch noch ab, ruft Ernst und schmeißt der Weglaufenden einen Tannenzapfen nach. Babsi läuft querwaldein, Ernst hinterher, da ist eine Lichtung, in Strahlen dringt Licht durch die Baumkronen und reflektiert ihr Gold, Harald und ich stehen auf dem Wegesrand und sehen Babsi in die Lichtung treten, ein Wind kommt von irgendwo her und umweht ihr Haar, das rötlich schimmert, ihr Blouson bläht sich zu einem runden Segel, das Licht wird greller, da tritt Ernst in die Arena, bleibt plötzlich stehen und wurzelt an, da zischt es, Lichtpartikel schwirren und beide sind plötzlich verschwunden wie vom Erdboden, aufgesogen gen Himmel. Harald formt seine Hand zu einem imaginären Handy und quakt hinein: Beam me up, Scotty! und krümmt sich vor Lachen auf dem kalten Boden.

Wir kommen an eine Wegbiegung. Kommst Du an eine Kreuzung und weißt den Weg nicht weiter, so markiere die Stelle, an der Du stehst, auf daß Du sie erkenntest, so Du nochmals dorthin gelangtest und achte auf die bemooste Seite der Bäume, denn diese zeigt dir den Weg nach Westen. Wir müssen rechts, sagt Harald, dann kommen wir genau auf den Weg zum Parkplatz. Ich hocke mich zum Pinkeln hinter einen Baum. Wir gehen nach rechts, der Weg wird steiler, ein Vogel ruft irgendwo um uns herum, der Weg wird schmaler, Scheiße, es gibt Regen, sage ich, wir zwängen uns durch ein Dickicht von Sträuchern, ein Uhu fliegt plötzlich vor uns aus dem Gebüsch und verfolgt einen anderen flatternd fliehenden Vogel, Du spinnst, sagt Harald, ein Uhu bei Tag. Es wird dunkel, es schneit, mich friert's, Harald auch, die Schuhe sind schnell durchnäßt, wir suchen Schutz unter einer großen Tanne, die Erde auf die wir uns setzen ist weich aber kalt aber trocken.

Scheiße, sage ich, große Scheiße, sagt Harald und ich stimme ihm zu. Wir sehen die Hand vor Augen nicht, auch nicht den Fuß, auch nicht den anderen, Harald nicht mich, ich nicht Harald, aber hören können wir uns gut, man müßte ein Feuer machen, sagt Harald, wir haben keine Streichhölzer und kein trockenes Holz, ich überlege, als mein Magen knurrt, ob man Schuhleder wirklich essen könnte, oder welches Stück von Harald ich bevorzugte. Ich verwerfe beides.

Es knackt irgendwo hinter uns. Hier gibt es keine Bären und keine sonstigen Raubtiere, versichert mir Harald, kann man sich gegen Raubtiere versichern?, frage ich ihn. Schritte kommen näher, eindeutig ein Lebewesen, es raschelt und Äste knistern, wir drehen uns um und lauschen, da ist etwas, wir bewaffnen uns mit Tannenzapfen, können aber nichts sehen. Plötzlich steht ein zweibeiniges Zottelwesen vor uns, deutlich erkenne ich die Umrisse, ein Schrei entfährt mir, da lacht der Ernst und tritt zu uns, Babsi lacht mit und kommt aus dem Hintergrund heran. Sie tragen Felle um den Bauch und über den Schultern, auch die Füße sind mit Fell umwickelt. In den Händen tragen sie Speere, am Gürtel von Ernst baumelt ein großes Messer.

Sie bringen uns in ihr Lager, auf einer Lichtung steht ein ausgebranntes Auto, darin haben sie sich eingerichtet, über einer Feuerstelle hängt etwas Fleischiges, das vielleicht einmal ein Hase war, wenn niemand etwas sagt, hört man fahrende Autos in der Ferne.

Ernst will noch mal losziehen, Harald schließt sich an, Babsi und ich bewachen das Feuer und drehen den Spieß um. Sie will ihrem Professor als Diplomthema die Kreation eines neuen Naturlooks anbieten und ist sich ziemlich sicher, daß er begeistert sein wird. Ich sage, daß ihr die Felle gut stünden. Sie sagt, sie habe sie aus einem Auto vom Rastplatz nicht weit entfernt.

Da kommen Harald und Ernst wieder, Harald trägt unterm Arm eine Autobatterie und ein Radio und schließt beides im ausgebrannten Wagen an, Ernst schleppt eine weiße Kloschüssel, die er am Rande der Lichtung abstellt. Die bekannten Hits im Oldiesender singen alle mit, während wir mit Spitzhacke und Spaten einen Abfluß graben, einige Bäume fällen und ein Holzhäuschen drum herum bauen. Es fehlt uns die Stichsäge, um ein Herz in die Tür zu sägen, auch die Spülung funktioniert noch nicht richtig. Aber später sitzen wir am Lagerfeuer, dank Selbstauslöser und Blitzlicht machen wir ein Gruppenfoto, lassen uns den falschen Hasen schmecken und schauen besorgt gen Himmel, als das Radio Schneeschauer meldet.

Nächster Halt: Markelfingen.

Ein Karawanenlager ohne Beduinen, satellitenbeschüsselte Caravans und kein Zelt auf grünem Grund. Trockengelegte Boote in Plastik, kein Wässerchen kann das Wasser trüben, so trügerisch ruht hier der See still und starr, doch mich täuscht so leicht kein Idyll, ein paar Meter weiter im Ortskern erinnere ich die Zigtonner, die durch die Dachkammer eines Freundes rasten, daß die Plattennadel sprang. Kochen auf dem Zimmer verboten! und er nahm die Vermieterin als Geisel und schoß Truckerreifen zu Plattfüßen. Und man ging auf seine Forderungen ein, baute die Autobahn, schloß die Tankstelle und so wirkt das ewig Vorsaisonäre noch ein wenig echter und umso trügerischer.

Der Schwarzwald rückt näher, macht sich auf, die Bäume in Reihe und Glied stampfen dem Zug entgegen, schneeweißbemehlt. Milchkannen stehen an den Geleisen. An jeder hält der Zugführer und redet seiner Lokomotive gut zu. Emma schnauft. Eine Insel. Ich höre nur den Beat aus den Ohren des Jungen mir gegenüber. Dafür kann ich die eine Textstrophe auswendig mitsingen. Eine Insel mit zwei Bergen.... Hausach, Triberg, Sankt Georgen. Die Kirche im Dorf.

Nächster Halt: Allensbach.

Da geht die Post ab, links das gelbe Schild mit dem Horn, ein Bus zur Klinik, eine Bahnschranke mit allem drum und dran, ein Fachwerkhaus, ein rosa Bistro-Café wie bei der Minitrix. Sogar ein Taxi wartet da. Und schon bin ich in meiner Kindheit, erledige 20 Jahre mit einem Gedanken, zündel Streichhölzer zu einem Großbrand und laß die Feuerwehr kommen, bevor die Plastikschienen krummschmoren und mein kleiner Bruder mich verpetzt.

Die Erde dreht sich unter den Rädern des Zuges, alle zwei Sekunden ein Strommasten, ich zähle einundzwanzig, zweiundzwanzig und schon saust der nächste Pfahl vorbei.

Von Bonn nach Berlin ist es wirklich ein kurzer Sprung. Aber so weit habe ich nicht vor zu fahren. Überhaupt ist mir der Osten bis heute fremd geblieben wie das Aktiengeschehen an der Wall-Street. Ich kenne es nur aus dem Fernsehen, weiß, daß es irgendwie wichtig ist, interessiere mich aber nicht dafür. Als ich einmal nach Polen reiste, wunderte ich mich darüber, daß wir der aufgehenden Sonne entgegen fuhren. Ich hatte das vorher nie bewußt erlebt, ein Sonnenaufgang in der Windschutzscheibe.

Ich war einer der letzten Menschen, die noch ein Visum für die Einreise benötigten, noch während der Rückfahrt kam im Radio die Meldung, daß zukünftig ein Personalausweis genüge. Das ist mein Anteil an der Geschichte.

Nächster Halt: Hegne.

Ein Bahnsteig zwischen See und Feld, Wasser und Wiesen, in sturmgrün und mattbraun umsäumt von stacheligen Brombeersträuchern quasseln pubertierende Mädels über Quantensprünge und springen aus dem Zug. Ich muß da was falsch verstanden haben.

Eine Nonne eilt über den Bahnsteig mit wehender Kopfbedeckung ganz in schwarze Trauer gehüllt und schwingt sich auf den Waggon kurz bevor dieser abgefahren wird. Ich sage 'Grüß Gott!' zu ihr.

Die Abschnitte zwischen den Stationen werden kürzer. Die Ansagen kühler. Ich suche das Zugtelefon hinter dem Speisewagen, erstehe beim Schaffner eine Telefonkarte für zwölf Mark und wähle die Nummer vom Starlight Express, die auf dem Faltblatt mit der Zugroute stand, das früher IHR ZUGBEGLEITER hieß. Der Name war so bescheuert, daß ich ihn immer gut gefunden hatte, er paßte einfach zur Deutschen Bundesbahn. Ich kam durch, nachdem mich eine piepsige Stimme zwölfmal zu warten gebeten hatte, und fragte nach einer Reservierungsmöglichkeit für diese Woche. Ich ergatterte eine Karte für das Jahr 2010, dafür würde ich von meinem Heimatbahnhof aus abgeholt werden, würde bis zur Halle gefahren werden, würde vorher noch eine Nacht in einem Mittelklassehotel Bochums geschlafen haben dürfen, würde auch das Frühstück inklusive gehabt haben und würde nach der Vorstellung wieder ins Hotel zurück gebracht worden sein, wo das gleiche Zimmer wie zuvor auf mich gewartet haben würde und nochmals das gleiche Frühstück am nächsten Morgen und anschließend die Rückfahrt bis zu dem Heimatbahnhof, von dem aus ich drei Tage zuvor gestartet gewesen sein würde. Dafür und für ein Abenteuer in in-line-rollenden Starlichtern würde ich einen geringen Obolus an ein hiesiges Bankinstitut zu entrichten haben und die Tickets frei Haus bekommen. Schon überlegte ich, ob ich nicht auch noch bis Hamburg fahren solle, als mir einfiel, daß ich Musikeinlagen in Schauspielen schon immer langweilig fand. Die Lieder beim Zauberer von Oz hatte ich immer empfunden wie später die Werbepausen in Spielfilmen zum Pinkeln und Bierholen.

Nächster Halt: Reichen-au.

Sie verlassen das Festland!

Rund ums Irrenreservat wachsen schmucke Einfamilienhäusle. Man hat das Kriegsbeil begraben. Am Tag der offenen Tür dürfen die draußen rein.

Ich bin ein historischer Mensch. Wenn jetzt dieser Zug aus seiner Bahn geworfen würde, ein kreischendes Quietschen, Schreckmoment, Angst in der Hose, Aufprall, fliegende Fetzen, ich weiß nicht, wie schnell das geht, was man registriert, Schmerz und weiter weiß ich nicht, alles weitere ist nichts. Danach eine Meldung in den Nachrichten, mein Mann wähnt mich im Hegau, nimmt einen Schluck Bier, auf der Strecke Köln - Dortmund ein Zugunglück, zehn Tote, 23 Verletzte, mein Mann ist schon beim nächsten Programm und ich bin tot. Mein Teil der Geschichte.

Nächster Halt: Wollmatingen.

Der Dorftrottel von Allensbach stieg mal wieder in Wollmatingen aus, sah sich auf dem Bahnsteig unschlüssig um, als suche er jemanden, zog dann das zerknitterte Tabakpäckchen aus der Hosentasche der Hose, die ihm am Hintern schlabberte, wobei er unruhig auf der Stelle trat, den Blick zum Zigarettendreh senkte und wieder aufblickte, als er das Blättchen leckend um das krümelige Kraut drehte.

Wenn jetzt ein Tarnanzug ins Abteil stürmte, die Knarre im Anschlag und räumte großräumig den Großraumwagen ab, die Salven knallten gegen Metall, splitterten Glas und durchdrängen Leiber und ich spürte diesen Schreckmoment, ganz kurz und hinge leblos im Plastikfauteuil der Bundesbahn zweiter Klasse bevor ich überhaupt hätte realisiert haben können, daß ich Opfer einer antiimperialistischen Terroraktion gewesen wäre.

Die meisten Menschen sterben ohne in die Nachrichten zu kommen. Die meisten Menschen existieren gar nicht. Die sind tot und weg.

Nächster Halt: Petershausen.

Schließlich ist Petershausen nicht Konstanz. In Konstanz hat's die Post , die Piazza, und die Touristen, in Petershausen das Fernmeldeamt, den Wochenmarkt und das Stadtteilfest. Die Polizeikapelle spielt einen modernen Marsch, eine Frau fällt von der Bierbank und am Ende gibt's gratis eine Schlägerei mit Nasenbeinbruch.

Es war einmal ein größter Verschiebebahnhof, ein Schienenknäuel, durch das sich unser Zug einen Weg bahnte von Weiche zu Weiche. Immer deutlicher zeichneten sich die Überdachungen der Bahnsteige vor einem regengrauen Horizont ab, in dem eine Taube flatterte. Ich öffnete das Fenster des Zugabteils und streckte den Kopf hinaus. Do not lean out. Ne pas se pencher au dehors. E periculoso sporgersi. Der Zug rollte an den Bahnsteig, Menschen, die gewartet hatten, stiegen erleichtert ein mit der Anstrengung im Gesicht, einen möglichst nachbarfreien Sitzplatz zu ergattern.

Ich stieg aus aus dem Zug, da, angekommen, endlich zu Hause.

Zwischen Revier und Münsterland liegt diese Stadt, die sich nicht entscheiden kann, ob sie reinfallen will in den Pott oder raus ins münsterländische Idyll. Vor dem Bahnhofsgebäude stehen acht parallele Inseln, von denen die Busse abfahren, jede Insel bepflanzt mit einem gelben Busschild, das sich einst drehte und neben Abfahrtszeiten Konsumartikel pries. Heute fehlt beides.

Ich fragte einen Passanten, Rentenalterherr mit Hut, von wo denn bitte der Siebener fahre.

Er verstand nicht und fragte: Häh?

Ich fragte nochmals, von wo denn bitte der Siebener fahre?

Er verstand nicht und fragte: Was?

Der Siebener, von wo denn der abfahre?

Er schnallt's - die Sieben, die fährt von Haltestelle G los.

Nächster Halt: Konstanz.

Über die national beflaggte Rheinbrücke, links der See, weiter hinten die Berge, Schneewittchen, das Konzil und der Papst, Jan Hus, Esoteriktage und Empfängnisverhütung, Antikmarkt, das Zölibat, Milchkaffee und Sahnetorte mit der Hure vorm Hafentor.

Konstanz, hier Konstanz, Reisende mit meldepflichtigen Waren: Begeben Sie sich bitte zur Grenzkontrolle.

Ich steige aus aus dem Zug, ich bin da, angekommen, endlich daheim.

Volker Fietz, Jg. '66, studierte Germanistik und Philosophie in Konstanz, am Bodensee hängengeblieben, arbeitet als Werbetexter.
Der hier abgedruckte Text entstand als Beitrag zur Singener Erzählzeit 1996 zum Thema: "Fremd - daheim".


 

Wandler, Zeitschrift für Literatur, Heft 20

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