Wandler, Zeitschrift für Literatur, Nr.19: Martin SchmeltzleZurück zur Titelseite und zum Inhalt
von Heft 19, zur Wandler
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Martin Schmeltzle Halbwegs Schwank aus der Helferszene in 3 Aufzügen 1. AUFZUG Ein warmer, einladender Raum mit einem runden Tisch, in dessen Mitte
ein fast leerer Aschenbecher mit der Aufschrift "Keine Macht den Drogen!"
Irgendwo liegt ein Kalender, in dem steht, daß hier gleich ein "assertivity
training" für Drogenberater stattfinden wird. Es könnten
aber ebensogut zoophile Kleintierzüchter, Tennisprofis mit Netzangst
oder bisexuelle Berufskiller sein, die sich unter professioneller Anleitung
zum therapeutischen Schaffen einfinden. Auch der Zweck der Zusammenkunft
ist für den weiteren Handlungsverlauf völlig belanglos. Der Weg
ist bekanntlich das Ziel. Aber was ist die Richtung? Und wer darf fahren?
Das herauszufinden, wird man sich gleich am runden Tisch bemühen.
Die drei großen Fraktionen der Menschheit - Glaubende, Wissende und
Ahnungslose - haben ihre Vertreter entsandt. Die PDS muß leider draußen
bleiben. Am Tisch versammelt und in angeregtem Gespräch vertieft: - Gabi, 31, zerrupft, raucht Gauloises Filter, trinkt schwarzen Kaffee - Wallo, 37, müde, raucht nicht, trinkt Mineralwasser - Olaf, 39, mit verbundener Nase, raucht HB, trinkt Kaffee - Helga, 28, todschick, raucht Rillos, trinkt Tee - Birte, 25, eifrig, raucht nicht, trinkt Saft, ißt was Faserreiches - Klaus-Zwo, 27, in Leder, raucht nicht (seit vier Tagen), trinkt
Aus dem Hintergrund pirscht sich langsam heran: - Fred, 40, Gesprächstherapeut, raucht nur auf dem Klo Das Gespräch am Tisch verstummt jäh. Nur Gabi, die dem
nahenden Fred den Rücken zugewandt hat, spricht leise weiter, die
Augen nervös auf den Aschenbecher gerichtet. GABI: ... aber erzählt das um Himmelswillen nicht dem Fred! Fred räuspert sich übertrieben laut hinter Gabis Rücken
und nimmt neben ihr Platz. Gabi erstarrt und drückt geistesabwesend
ihre Zigarette auf Birtes Müslischnitte aus. Birte merkt das nicht,
da ihr Blick in stiller Verzückung an Freds überlangem Lederschlips
klebt. Nur Klaus-Zwo hat es beobachtet, aber mehr beiläufig. FRED: <dynamisch> Hallo Leute! ALLE: Hallo Fred! FRED: <merklich kühler> Hallo Gabi. GABI: <ertappt> Hallo Fred! FRED: Ich freue mich, daß ihr da seid. Bevor wir die heutige Sitzung starten, habe ich leider eine traurige Nachricht: Gestern habe ich Klaus-Eins im Pillenpark am Bahnhof erwischt, wie er heimlich Streetwork gemacht hat. Das war ja, wie ihr alle wißt, nicht das erstemal. Also, um die Sache kurz zu machen: Klaus-Eins gehört nicht mehr zu uns. Das hat er einzig und allein sich selbst zuzuschreiben. Ich habe ihn weiß Gott oft genug vor Heimlichtuerei gewarnt, oder etwa nicht <vernichtend> Gabi? GABI: <noch angeschlagen von soeben> Hallo Fred! FRED: <Gabi ignorierend> Genau so ist es. Und darum kann
ich es euch nicht oft genug sagen: Öffnet euch, Leute, öffnet
euch und verschließt euch nicht. Ihr seid doch da, um einander zu
helfen, und ich bin da, um mitzuhelfen. Das geht aber nur, wenn ihr offen
seid. <versöhnlich zu Gabi> Und das gilt für alle.
Das ist doch nun wirklich nicht zuviel verlangt, oder? Alle murmeln Zustimmung GABI: <erleichtert> Find ich auch, Fred. Birte hat der Predigt mit vollem Munde atemlos gelauscht und bemerkt
erst jetzt am strengen Geschmack ihrer Schnitte, daß damit heute
was nicht stimmt. In den nächsten Minuten tut sie ihr Bestes, um den
Bissen unauffällig hinunterzuwürgen. Sie kann dadurch aber zunächst
nicht an der Diskussion teilnehmen, sehr zum Ärger von Fred, der mehrmals
vergeblich mit Blicken ihren Beistand einfordert. Nur Klaus-Zwo hat als
frischgebackener Nichtraucher das Verschwinden einer halbgerauchten Kippe
unterbewußt registriert, was einen langwierigen Denkprozeß
auslöst. FRED: Dann fangen wir mal mit der offenen Runde an. Will jemand was loswerden? Ich würd sagen, wir fangen mal rechts von mir an. Gabi? GABI: Na ja, wie du ja eben schon gehört hast... Ja, wie soll ich das sagen... FRED: Da sprechen wir gleich mal ausführlicher drüber, ja? Wallo? WALLO: Ich glaub ich hab mir ne Grippe geholt. FRED: Aha. Klaus-Zwo? KLAUS: <off> Nö, nix. FRED: Helga? HELGA: <zackig> Ja, also mich würd ja mal brennend interessieren, was der Olaf mit seiner Nase angestellt hat. <spitz> Hat ihm da vielleicht eine draufgehauen? OLAF: <gereizt> Das geht keinen was an, und dich schon gar nicht! HELGA: <quasi beleidigt> War ja bloß eine teilnahmsvolle Frage. FRED: Halthalthalt! Helga, es geht doch hier nicht um Olaf, es geht doch um dich. Was DU uns zu berichten hast. HELGA: Ich? Nichts Besonderes. Ach, doch: Ich habe meine Tage... <Olaf imitierend> Aber das geht keinen was an, und Olaf schon gar nicht! OLAF: Das kann ja heiter werden... HELGA: <nimmt die Vorlage dankbar an> Ach, du findest das zum Lachen? OLAF: Herrgott, so hab ich das doch nicht gemeint. Beim 'Herrgott' zuckt Birte unwillkürlich zusammen. FRED: <im Grundschullehrerton> Könnten wir vielleicht die Eröffnungsrunde fortsetzen? Vielleicht will Olaf uns ja lieber selbst erzählen, was passiert ist. OLAF: Nee, will ich nicht. FRED: <verdutzt> Ach so...ja...nun, ZWINGEN kann dich natürlich keiner. OLAF: Ebent. FRED: <beleidigt> Ja, wenn das so ist...dann wenden wir
uns mal der Birte zu. Birte, die im Stillen die erste Gauloise ihres Lebens kaut, muß
jetzt wohl oder übel zum Schlucken ansetzen. Im letzten Moment kommt
ihr jedoch Klaus-Zwo unverhofft zu Hilfe. KLAUS: <on> Halt, ich war noch nicht dran! GABI: Natürlich warst du dran, Fred hat dich doch grade noch gefragt. KLAUS: Ach ja, dann hätt ich ja wohl was gesagt, oder? Ich hab nämlich noch was. Und warum hab ich's dann nicht gesagt? WALLO: <resignierend> Na gut, sag's uns halt, bringen wir's hinter uns. KLAUS: Was soll denn das schon wieder heißen? Erst komm ich nicht dran, und dann soll ich nichts sagen! Willst du mir hier etwa den Mund verbieten? WALLO: Nein, natürlich nicht. Keiner will dir hier den Mund verbieten. KLAUS: Na also! WALLO: Na und? KLAUS: Was "na und"? WALLO: Na was? KLAUS: Wie "na was"? WALLO: Was? Was wolltest du uns sagen? KLAUS: Ach so, das. Also <Doppelpunkt Anführungszeichen>
Ich Bin Für Rauchverbot. Allgemeines Gestöhne. Helga bricht in schallendes Gelächter
aus. OLAF: Das ham wir doch schon bis zur Unendlichkeit diskutiert! Alle reden jetzt durcheinander, vornweg die verbliebenen Raucher.
Fred versucht vergeblich sich Gehör zu verschaffen. Schließlich
langt er mit geübtem Griff in die Innentasche seines Jacketts und
löst das Tüdelü seines Handys aus. Das Gerede verstummt
schlagartig. Alle blicken auf Fred. FRED: <mit Grundschullehrerlächeln> Was Klaus-Zwo
uns damit doch EI-gentlich sagen will, ist, daß er aufgehört
hat zu rauchen. Alle blicken auf Klaus-Zwo. Helga kriegt sich nicht mehr ein. HELGA: Das gibt's doch nicht! FRED: <irritiert> Wie bitte? Alle blicken nun auf Helga. HELGA: <prustet> Da hab ich nur drauf gewartet! Fällt
euch denn nichts auf? Letzten Monat hat er Oberton gesungen. Vor zwei Monaten
hat er sich die Glatze scheren lassen. Und davor war er vier Tage lang
Vegetarier. Nun? Hmm, daran erinnert man sich noch. Aber worauf will sie hinaus? KLAUS: <greift grinsend zur Flasche> Tja, ich entwickel mich eben noch... <frech> im Gegensatz zu andern, die jetzt schon an die Rente denken. HELGA: Quatsch nicht. Überlegt doch mal: Alle vier Wochen setzt es bei ihm aus. Na? WALLO: Is Vollmond? HELGA: Nee. <tadaaa> Ka-Zwo hat seine Tage! Ka-Zwo und
ich laufen nämlich synchron! Die Bierflasche verharrt abrupt auf halbem Weg zu Klaus-Zwos geöffnetem
Mund. Olafs weit aufgerissene Augen starren entsetzt über die Mullbinde
hinweg. Gabi und Wallo grinsen. Fred überlegt angestrengt, ob's dazu
Literatur gibt. Birte aber muß erstmal kräftig schlucken ob
solcher Erkenntnisse. Wie aufregend! Und endlich kann sie auch was dazu
sagen! BIRTE: <vertraulich zu Klaus-Zwo> Kriegst du dann auch
immer so'n Heißhunger auf Gewürzgurken? Klaus-Zwo setzt die Bierflasche in Zeitlupe wieder ab und schaut
Birte entgeistert an, den Mund noch stets geöffnet. KLAUS: Ich glaub ich spinne. Helga krümmt sich vor Lachen. HELGA: <in Siegerlaune> Mach dir nichts draus, übermorgen ist der Spuk wieder vorbei. Vorläufig jedenfalls. OLAF: <zu Helga> Was ist denn in dich gefahren? Hast du
wieder mal ne Fortbildung besucht? Nun bricht es aus allen gleichzeitig hervor, und man kann sein eigenes
Wort nicht mehr verstehen. Fred ergreift die Gelegenheit, das Heft wieder
in die Hand zu nehmen. FRED: <pädagogisch> Halthalthalthalt! Leute! So geht das doch nicht! OLAF: Ja, Fred, sag du doch auch mal was dazu. BIRTE: <rotglühend> Au ja! FRED: Könnten wir vielleicht erst die Eröffnungsrunde beenden? Genau das will die Klasse aber offenbar nicht. Fred, dem zu dem Thema
leider überhaupt nichts Schlaues eingefallen ist, setzt nun die Ermüdungstaktik
ein. FRED: Na gut dann. Also, einerseits erleben wir hier subjektives Empfinden, auf der einen Seite bei Helga, die sich zum Ei.... WALLO: <eiskalt> Und andererseits? BIRTE: <himmelrosa> Fred war doch noch gar nicht fertig! WALLO: <erschrocken> Tschuldigung, ist mir nur so rausgerutscht... Fred wirft Birte einen zurechtweisenden Blick zu. Sowas erledigt
er schon alleine. Dann wendet er sich Wallo zu, der unbehaglich auf seinem
Stuhl hin- und herrutscht. FRED: <eiskälter> So so. Dann erklär DU uns doch
mal... In diesen dramatischen Moment hinein klingelt Freds Handy. Alle haben
gesehen, daß Fred die Hände überm Tisch hatte. Es handelt
sich also um eine normale Unterbrechung. Prompt kommt entspanntes Gemurmel
auf, während Fred verärgert das Gespräch annimmt. Gabi und
Klaus rufen gleichzeitig: GABI+KLAUS: Ich bin nicht da! Fred reicht den Apparat mit vorwurfsvollem Blick an Olaf weiter.
Der ist zunächst erschrocken, dann erleichtert, schließlich
peinlich berührt. Er sagt nicht viel, und er sagt es leise. Da es
am anderen Ende der Leitung aber anscheinend recht laut ist und auch der
Geräuschpegel im Raum ständig steigt, muß er sich mehrfach
und immer lauter wiederholen. Helga, die auch im Pausengespräch eine
führende Partie übernommen hat, beobachtet Olaf aus den Augenwinkeln.
Dann schlägt sie zu. HELGA: Seid doch mal alle still, Olaf muß telefonieren! Alle sind still, außer: OLAF: <laut und deutlich flüsternd> ...nein, mein
Fürzchen, es tut überhaupt nicht mehr weh... Alle blicken auf Olaf. Der sichtbare Teil seines Kopfs - die Augenpartie
- läuft rot an. Dann wirft er Helga tötende Blicke zu. Die schaut
aber einfach weg. OLAF: <merklich leiser in die Muschel> ... gut, bis nachher dann ...ja, ich dich doch auch... ja, auch Bussi... tschautschau...<zu Fred, genervt> Wie geht das Ding denn aus? FRED: Gib her. HELGA: <faßt nach> Hats denn arg weh getan? OLAF: <beißt an> Ich hab dir doch schon gesagt, das geht dich nichts an! Das ist was zwischen Jenny und mir. HELGA: Ach, das war die Jenny? <tss-tss-tss> Daß die so spät noch auf ist! Die muß doch morgen früh zur Schule. BIRTE: <zitronengelb> Es ist doch erst halb neun. OLAF: <wütend> Verdammt nochmal, wie oft soll ich's denn noch sagen: Jenny ist achtzehn! Jenny ist erwachsen! HELGA: Und das sogar schon ganze drei Wochen lang. Wie gehts denn übrigens
deiner Noch-Ehefrau? Olaf und Wallo antworten unisono: OLAF: Der Heike gehts blendend! WALLO: Die Heike hat ne schwere Grippe. OLAF: <zu Wallo, baff> Seit wann hat die denn die Grippe? BIRTE: <rotzgrün> Ich glaub ich hab auch die Grippe. Fred verspürt viel Unterschwelliges, das an die Oberfläche
will. Darum läßt er die Gruppe zunächst im non-direktiven
Rahmen gewähren, das heißt, er lehnt sich zurück und schweigt,
zum Preis von nur DM 3,33/min. Zudem ist er neugierig; er will sich nämlich
auch bald mal wieder scheiden lassen. Gabi bemerkt erstaunt, zu welch bewundernswerter
Form Helga heute aufläuft. Klaus-Zwo dagegen blättert gedankenverloren
in seinem winzigen Taschenkalender. HELGA: Ja was ist denn nun mit Heike? OLAF: Du brauchst dir um Heike keine Sorgen zu machen. <zu Wallo> Und DU auch nicht. <erhaben> Ich und Heike trennen uns in Freundschaft, wie zwei Erwachsene. HELGA: Du scheinsts ja heut mit den Erwachsenen zu haben. OLAF: <an alle> Heike ISTUNDBLEIBT die Mutter meiner Kinder. <feierlich> Und ICH werde mich vor meinen Pflichten als Vater nicht drücken! <zu Helga> DEN Gefallen tu ich dir nicht. HELGA: Ach, da fällt mir übrigens ein: Ich soll dich schön
grüßen von der Mutter deiner Kinder. Ich geh nämlich am
Samstag mit ihr in die Sauna und du sollst mir 50 Mark für sie mitgeben. Olaf bemerkt nicht, in welchen Hinterhalt er da geraten ist. OLAF: <empört> Ich bezahl doch nicht für euch die Sauna! HELGA: Doch nicht für uns, Paps, aber einer muß doch auf deine Kinder aufpassen. Babysitter sind teuer heutzutage, kannst ja mal die Jenny fragen. OLAF: <verstört> Was geht denn mich euer Babysitter
an? HELGA: Wieso, du hast doch eben noch feierlich kundgetan, wie gewissenhaft
du deine Vaterpflichten erfüllen wirst. Also? Olaf bemerkt nun, in welchen Hinterhalt er da geraten ist. OLAF: <leidend> So geht das doch nicht! Mit großen Augen sucht Olaf nach Verbündeten. Sogar Wallo
läßt ihn im Stich! Obendrein grinsen sie ihn alle an. Wutschnaubend
bläst er gleich nochmal den HB-Rauch zur Nase hinaus, was die allgemeine
Heiterkeit erhöht, weil nun noch mehr Rauchschwaden aus der Mullbinde
aufsteigen. Das Spiel muß Olaf abhaken, das Spiel hat er verloren.
Aber wie hoch eigentlich? Zähneknirschend zückt er die Brieftasche.
OLAF: <geschlagen> Kann mir einer mal nen Zehner pumpen? FRED+KLAUS+GABI: Nee, leider.... WALLO: Wenns halt sein muß... Während Helga die Beute kassiert, greift ihr Fred flugs ins
Ruder. FRED: Ich glaub wir sind immer noch in der Eröffnungsrunde. Bitte, Birte. BIRTE: <aschfahl> Mir is schlecht.... Instiktiv wirft Birte sich der starken Helga an die Brust, die sie
ebenso instiktiv postwendend zurückschubst. Birte kippt nun
zur anderen Seite, wo sie von Gabi mit der ganzen Routine von acht Jahren
Frauenarbeit im Drogenbereich aufgefangen wird. Blitzschnell packt Gabi
Birte beim Schopf und führt ihren Kopf in einer fließenden Bewegung
unter die Tischplatte. Die brillante Technik ruft bei den Kollegen anerkennende
Blicke hervor. Unterdessen kotzt Birte lautstark untern Tisch. BIRTE: KOTZ! Helga blickt an sich herab. HELGA: Scheiße, meine Bluse! Helga ab. Gabi zieht Birte unterm Tisch hervor. GABI: Scheiße, meine Schuhe! Gabi und Birte ab. FRED: Scheiße, mein Teppichboden! Verteilt mir das bloß
nicht überall!! Fred hinterher. VORHANG / AUSBLENDUNG. ENDE DES 1. AUFZUGS PAUSE / WERBEBLOCK. 2. AUFZUG Derselbe Raum, derselbe Tisch, derselbe Aschenbecher, nun aber halbvoll.
Am Tisch Olaf, Wallo und Klaus-Zwo. Es herrscht himmlische Ruhe. Der Junge
ist voll in seinen Kalender vertieft, den er offenbar systematisch durchforstet.
Die beiden Alten sitzen da wie zwei Pensionäre auf der Parkbank -
die Arme vorm Bauch verschränkt, den Oberkörper nach hinten geneigt,
das Kinn auf der Brust - und starren schweigend untern Tisch auf das, was
Birte in die Gruppe eingebracht hat. Die Rentnerrolle steht ihnen gar nicht
schlecht - sie sehen ja auch noch recht rüstig aus - und sie wirken
beileibe nicht unzufrieden. Die Stille wird nur hin und wieder von rhythmischem
Gemurmel unterbrochen: KLAUS: <off, rückwärtsblätternd>: Vier -
drei - zwei - EINS. Bei 'Eins' verweilt er einen Moment, blättert mal vor, mal zurück,
blickt nachdenklich zur Decke, brummelt in sich hinein und macht sich wieder
ans Werk. Schließlich wird er fündig. KLAUS: <on> Ha! DA war nix! Aufgeregt wedelt er mit seinem Kalenderchen vor Helgas leerem Stuhl
hin und her. KLAUS: <verdattert> Wo sind die denn alle hin? Is schon Schluß? WALLO: <mitleidig> Du hast mal wieder alles verpennt, was? KLAUS: Was war denn? WALLO: Also gut, extra für dich: Birte ist übel geworden und dann... KLAUS: ...dann hat sie untern Tisch gekotzt. Na und? WALLO: Was "na und"? KLAUS: Na was? WALLO: Wie "na was"? KLAUS: Mehr nicht? <achselzuckend> Bei uns im Skin-Projekt passiert das alle halbe Stunde. WALLO: Dann weißt du ja wohl auch, daß man das wieder wegmachen muß, oder? KLAUS: Da ham wir ne Praktikantin für. OLAF: <grinsend> WIR ham dafür einen Psychotherapeuten.
Ein Witz von Olaf! Ha ha. Die Stimmung lockert sich. Jetzt, da weder
Frauen noch Therapeuten anwesend sind, kann man endlich mal offen über
das sprechen, was einen zutiefst bewegt. WALLO: Und? Wer wird Meister? KLAUS: Dortmund. OLAF: Klar, Dortmund. WALLO: Wer sonst! So einfach ist das unter Männern: Mann stellt eine Frage und
bekommt eine klare Antwort. OLAF: Oder doch noch Bayern. KLAUS: Wundern täts mich nicht. WALLO: Mich auch nicht. OLAF: <jaja> Hmm. WALLO+KLAUS:<zustimmend> Hmmm. OLAF: <gähn> Jaja... KLAUS: <zu Olaf> Sag mal, was ist denn nun eigentlich mit deiner Nase passiert? OLAF: <ohne zu zögern> Ich und Jenny wollten uns verloben, aber ich habs mir im letzten Moment anders überlegt. KLAUS: Kein Wunder, daß sie dir dann eine langt. OLAF: Jenny hat mir keine gelangt. Ihr Piercer hat mir eine gelangt. WALLO: Ihr was? OLAF: Ihr Piercer. Jenny ist eben altmodisch; zur Verlobung gehören
halt Ringe und so. Also sind wir zu ihrem Piercer. Aber wie der auf mich
zukam mit der Nadel, hab ich Panik bekommen und um mich geschlagen. Da
hat er zurückgeschlagen. Verständnisvolles Nicken. Die Angst vor Nadeln ist Drogenberatern
nicht fremd. WALLO: Und wo sollte der Verlobungsring hin? OLAF: In die Nase natürlich. WALLO: Was willst DU denn mit einem Ring in der Nase? In DEINEM Alter? OLAF: <pikiert> Jenny und mir gefällt das eben. KLAUS: <ach übrigens> Wie ist die Jenny eigentlich sonst so? OLAF: Was meinst du denn mit "sonst so"? Soll ich hier jetzt vielleicht Bettgeschichten erzählen? KLAUS: SO mein ich das doch nicht, ich mein halt sonst so, so allgemein halt. OLAF: <stolz> Die Jenny ... die Jenny ist ein Engel. <ungefragt> Aber im Bett... im Bett ist die Jenny ein Teufel. Genau das Gegenteil von Heike eben. WALLO: Aha, die Heike ist also im Bett ein Engel und draußen.... OLAF: Das wirst du noch früh genug merken. Seit wann triffst du dich eigentlich mit meiner Frau? WALLO: <wechselt abrupt das Thema> <zu Klaus-Zwo> Wie läufts denn bei dir in punkto Liebe? KLAUS: <trocken> Im Moment läuft nix, ich hab meine
Tage. Ein Witz von Klaus-Zwo! Haha haha haha! Das Niveau sinkt, die Stimmung
steigt. WALLO: Mal im Ernst. Tut sich noch was? Oder hast du dich deiner Zielgruppe voll angepaßt? KLAUS: Ich bin halt bekennender Single. Zum Beweis pfeift er die Anfangstakte von "Ein Freund, ein guter
Freund...", dabei liebevoll seine Hand betrachtend, die demonstrativ
ein nicht vorhandenes Rohr poliert. Die Stimmung nähert sich dem Höhepunkt.
Wer sich auch nähert, ist Fred, wie gewohnt auf leisen Sohlen. FRED: <kühl von hinten> Sowas gehört in die Gruppe. KLAUS: <erschrocken> Mensch, Fred! Du schleichst ja wie'n Ziviler! Gewöhn dir das doch mal ab! FRED: Sowas gehört trotzdem in die Gruppe. KLAUS: War doch nur'n Witz. FRED: <dozierend> "NUR ein Witz" gibt es nicht.
Der Witz hat eine Funktion. Im Witz kommt ein verdrängter oder unbewußter
Wunsch zum Ausdruck. Und verdrängte Wünsche gehören nun
mal in die Gruppe! Mit zusammengekniffenen Lippen tauschen die drei Therapieempfänger
verstohlene Blicke aus. Als dann aber Klaus-Zwo unbeobachtet von Fred die
Augen verdreht und sich das unsichtbare Rohr in den erwartungsvoll geöffneten
Mund schiebt, gibt es kein Halten mehr, und sie brüllen los vor Lachen.
Fred deutet dies als erste Anzeichen von Therapieresistenz. Damit liegt
er jedoch voll daneben - besser gesagt: er steht voll daneben, von Kopf
bis Fuß ganz der Privatdozent, sieht man einmal von den knallgelben
Gummihandschuhen, dem Putzlappen und dem rosa Eimerchen mit der dampfenden
Seifenlauge ab. WALLO: <zwischen zwei Lachsalven> Jawoll, Clementine! Ein Witz von Wallo! Die Tassen wackeln! Endlich hat auch Fred
den Grund des Gelächters kapiert. FRED: Ihr könnt mich alle mal! ...und rutscht auf den Knien untern Tisch, wo er bis auf weiteres
bleibt. FRED: <stinkesauer> So 'ne Schweinerei!! WALLO: Tschuldigung, Fred, das war doch nur ein Wi... eh... das war doch nicht so gemeint. Ehrlich! FRED: <entsetzt> Mein Teppich! Das geht doch nie wieder raus! <hektisch> Steht mal alle auf, macht mal Platz da! DU nicht, Klaus, du bewegst dich nicht! Du hast das Zeugs ja überall an den Stiefeln hängen! KLAUS: Du, das passiert mir im Skin-Projekt auch immer... Nun tritt eine kurze Pause ein. Wie befohlen verharrt Klaus-Zwo regungslos
an seinem Platz. Olaf und Wallo stehen neben dem Tisch wie zwei Vorarbeiter
- die Arme vorm Bauch verschränkt, den Oberkörper nach hinten
geneigt, das Kinn auf der Brust - und starren schweigend untern Tisch,
wo Fred jetzt für DM 3,33/min den Teppich schrubbt. FRED: <perplex> Was ist denn DAS? Auf den Knien richtet Fred sich auf und ragt mit Kopf und Schultern
über die Tischplatte hinaus. Zwischen Gummidaumen und -zeigefinger
hält er behutsam ein ca. 2 cm langes walzenförmiges Objekt empor,
das vermutlich einmal weiß gewesen war. Olaf und Wallo beugen sich
neugierig zu dem Kerlchen mit dem Dingelchen hinab. Klaus-Zwo ist eher
uninteressiert. Sowas ist Sache von Praktikanten. WALLO: Sieht aus wie ein Filter. FRED: <rhetorisch> Weshalb würde Birte wohl Zigaretten essen, wenn sie sie nichtmal raucht? OLAF: Sieht eher aus wie'n Tampon. WALLO: Gibts die jetzt schon SO klein? Wie niedlich. KLAUS: Also für mich wär sogar DER noch zu groß. FRED: Und aus welchem Grunde würde sich Birte einen Tampon oral einführen? OLAF: Vielleicht ist sie ja schwanger. <ganz Frauenfachmann> Was meint ihr, was die Heike alles... FRED: <resolut> Das ist völlig unmöglich! Oder etwa doch? Leicht verunsichert taucht Fred wieder ab. Olaf und
Wallo tauschen vielsagende Blicke aus. Klaus-Zwo grübelt wegen was
anderm. Da war doch noch was. Was war denn da noch? Ach ja, natürlich,
DAS! KLAUS: <zu Boden> Du, Fred? FRED: <abwesend> Was denn? KLAUS: Was ist da denn eigentlich dran, an den Tagen bei Männern? FRED: <gereizt> Woher soll ICH das denn wissen? KLAUS: Na DU bist doch hier unser Therapeut. Gerade noch rechtzeitig fällt Fred das Prinzip der Kundenbindung
ein, das ja vor allem in freien Berufen so wichtig ist. FRED: <einlenkend> Du, das kann ich euch beim nächsten Mal ganz genau sagen. Dann müßt ihr aber auch wirklich alle kommen. OLAF+WALLO+KLAUS: <routiniert>...rhabarberrhabarber...
Ein kühles Lüftchen streicht unvermittelt durchs Zimmer.
Fast unmerklich spannen die drei am Tisch die Muskeln. Olaf reckt die Nase
in die Luft. Trotz Mullbinde wittert er Gefahr, große Gefahr! Die
unbeschwerte Bolzplatzstimmung ist mit einem Schlag dahin. Da will uns
einer den Ball klauen! Zwei Sekunden später betritt Helga den Raum,
strahlend und frisch. HELGA: <antestend> Na, wer wird Meister? OLAF+WALLO+KLAUS: <reflexartig> Dortmund! FRED: Bayern! HELGA: <zufrieden> Brav. Hab ich mirs doch gedacht. Dann habt ihr ja bestimmt auch über Frauen gesprochen. OLAF: <hektisch angreifend> Wie kommst du denn da drauf? HELGA: Na, es heißt doch, daß Männer unter sich am
liebsten über Fußball und Frauen sprechen. Stimmt das etwa nicht? Selbst wenn es stimmen sollte: Wie will sie das jemals beweisen!
OLAF: <konfus verteidigend> Woher willst DU das denn wissen? Du warst doch noch nie dabei! Hast du uns etwa belauscht? HELGA: Ich hab ne transsexuelle Klientin, die hat mir das mal haarfein erklärt. Auch was ihr aufm Klo macht und wo ihr eure Pornos versteckt und so. OLAF: <nach kurzer Denkpause> MEINE findst du jedenfalls
nicht! Das wunderschön herausgespielte Eigentor von Olaf wird jedoch
kaum bejubelt, denn Helga ist schon voll und ganz im Bann von Freds Geschrubbe.
Wie toll der das macht! Zwei Vorarbeiter und eine Chefsekretärin begaffen
fasziniert den Akt der körperlichen Arbeit. Das sinnerfüllte
Schaffen, die heroische Körperlichkeit, die knackenden Gelenke: Stundenlang
könnte man da zukucken! Und als hätte sich das einer ausgedacht,
marschiert just in diesem Moment unten auf der Straße der PDS-Nachwuchs-Chor
vorbei, an- und wieder abschwellend, wie im Tannhäuser. CHOR: Brüder, zur Sonne, zur FREEEIII-heit! Brüder ...rha-BAAAHH-ber ...empor! Alle denken kurz an den Solidaritätszuschlag. Fred hat sich
derweil klammheimlich bis zu Klaus-Zwos Stiefeln vorgerubbelt. FRED: Heb mal jetzt vorsichtig den rechten Fuß. Im Skin-Projekt ist das anscheinend die normalste Sache der Welt.
Klaus-Zwo jedenfalls hebt wie selbstverständlich das Bein. Die andern
wundern sich ein wenig über Freds hohe Arbeitsmoral. FRED: <zu sich> Nur schnell die Sohle noch... Gabi kommt zurück und gesellt sich schnurstracks zu den Schaulustigen. GABI: Was ist denn HIER los? FRED: <im Selbstgespräch> Die Schnalle ist ja auch
ganz voll... Die Schnalle muß ich aufmachen... Da hilft sonst gar
nichts... Langsam nimmt die Verwunderung über Freds Verhalten nun doch
überhand. Gabi empfindet zudem eine gewisse BE-wunderung. Wenn sie
sowas doch auch nur könnte, statt, wie soeben, noch zerrupfter vom
Frischmachen zurückzukommen, als sie es vorher schon war. Fred hat
inzwischen die Schnalle geöffnet und wienert fanatisch den Dorn. Klaus
läßt ihn unbeeindruckt gewähren. FRED: <im Kinderreim> Der...Dreck...muß...weg... HELGA: <besorgt> Du, Fred, ich glaub das reicht jetzt. FRED: <abgedriftet> ...muß...weg...Der..Dreck...muß...weg...
Hört hört! Fred hat einen Kratzer im Lack. Das sieht man
nicht ungern, das wird man sich merken müssen. Zugleich fühlen
sich die Helfer aber auch bei der Berufsehre gepackt. Dem Manne muß
doch schließlich geholfen werden! Helga, Olaf und Wallo reden nun
gleichzeitig auf Fred ein, wobei jeder was anderes sagt. Gabi und Klaus,
vom Wesen her eher konfliktscheu und daher der akzeptierenden Sozialarbeit
zugeneigt, sehen das Ganze nicht so eng. GABI: Laßt ihn doch machen, er schadet doch keinem. KLAUS: Ja, laßt ihn doch erstmal FERTIG machen! FRED: <vergnügt> ....und dann mach ich einfach die
Schnalle wieder zu ... Jetzt reicht es aber auch Gabi, und sie geht vor Fred in die Hocke. GABI: <mütterlich> So, Fred, jetzt machst du schön die Schnalle wieder zu und dann darfst du später den anderen Schuh machen, ja? FRED: <zufrieden> Fein. GABI: Aber erst machen wir mit unserer GRUPPE weiter. Beim Wort 'Gruppe' wird Fred schlagartig wach. Sofort erkennt er
die peinliche Lage und fummelt wild an der Stiefelschnalle rum. Als er
sich danach ruckartig erheben will, reißt es Klaus-Zwo fast vom Stuhl. KLAUS: Au, mein Fuß! Halt! Ich häng fest. FRED: <krächzend> ....aarghhh.... GABI: <zu Fred> Dein Schlips hängt in der Schnalle. FRED: ....cchhhhrrrr.... GABI: <nach oben> Die Schnalle hat sich verhakt. FRED: ....fhhhhhhiep.... GABI: <live für uns dabei> Jetzt versucht er, ihm
den Stiefel auszuziehen. Der besseren Sicht wegen gehen nun auch Helga, Olaf und Wallo in
die Hocke. Sie verpassen dabei, wie Birte in die Tür tritt. Der wiedergenesenen
Birte bietet sich nun folgender Anblick: Rechts am Tisch thront Klaus-Zwo,
ledern und kahlgeschoren, nabelabwärts vom Tisch verdeckt. Hinterm
Tisch sind vier Köpfe wie Jagdtrophäen aufgereiht, die fasziniert
auf einen Punkt irgendwo unterhalb der Gürtellinie von Klaus-Zwo starren.
Links unterm Tisch schaut ein Männerhintern raus, den Birte unter
Tausenden erkennen würde. Die jeansumspannten, knackigen Backen des
geilen Therapeutenarschs zucken angespannt, und das Zucken scheint sich
auf der anderen Tischseite in Klaus-Zwos Oberkörper fortzusetzen.
Was unterm Tisch geschieht, kann sie nur erahnen. Wie festgenagelt verharrt
Birte auf der Schwelle. KLAUS: <gepreßt von oben> ... sachte, sachte .... nich so doll... FRED: <stöhnend von unten> ... mmmpfhhhh.... GABI: <ermutigend> .... feste, Fred, feste ... gleich kommt
er... Vier Voyeure und eine Salzsäule wohnen der Vorstellung atemlos
bei. Fred gibt unartikulierte Laute von sich, wobei sein Hintern aufgeregt
auf und ab tanzt. Schließlich entlädt sich die Spannung in einem
lautstarken Höhepunkt. Klaus-Zwo stemmt sich stöhnend gegen die
Tischkante und sinkt erschöpft in seinen Stuhl zurück. Fred japst
am Boden noch eine Weile nach Luft. KLAUS: <zu den vieren> Der macht das besser wie meine Praktikantin! Für Birte aber bricht in diesem Moment eine kleine Welt zusammen.
Sie steht noch immer fassungslos in der Tür und sagt nur ein einziges
Wort: BIRTE: FRED!!!! Sie sagt es jedoch in einem Ton, wie er nur einer Ehefrau gelingt,
die ihren sichergeglaubten Gatten nach zehn glücklichen Jahren unverhofft
in Strapsen vorm Spiegel erwischt. Die andern, die Birtes Rückkehr
erst jetzt bemerkt haben, erfassen den Zusammenhang mehr oder weniger schnell.
In der anschließenden Totenstille kann man fünf Groschen fallen
hören. Der Gerufene aber erhebt sich demonstrativ langsam, wie John
Wayne in seinen besten Filmen, und baut sich in voller Größe
vor Birte auf: der Kopf hochrot (von der überstandenen Atemnot), die
Krawatte gelockert (deren Zuschnurren die Atemnot verursacht hatte), vom
Kinn bis zum Hemdkragen feucht (vom Krawattelockern mit nassen Fingern),
die Gummihandschuhe glitschig-glänzend (von der Seifenlauge) und unten
am Schlips ein Lederstiefel, der dumpf und bedrohlich in Schritthöhe
hin und her baumelt (aber das erklär ich nicht nochmal). All das in
Klammern weiß Birte leider nicht; eigentlich weiß sie überhaupt
nicht mehr, was sie überhaupt noch weiß, außer daß
sie wahrscheinlich wieder mal alles falsch gemacht hat. Und dann setzt
dieser große, weise, strenge Mann mit dem Muttermal auf der linken
Hinterbacke - DAS weiß Birte komischerweise noch - auch noch zum
Sprechen an. "Friß Blei, Verräter!" würde John
Wayne jetzt sagen, aber Freds Wortwahl ist natürlich weitaus gehobener.
Die Tonhöhe übrigens auch. FRED: <mit Todesverachtung in der Fistelstimme> Hiahoa
heichiii... Naja, die Stimme ist zwar noch nicht ganz die alte; die Botschaft
kommt aber trotzdem rüber und besorgt Birte schlagartig ein komisches
Gefühl in der Magengegend. Da sie aber schon völlig leer ist,
kann sie jetzt nicht wie gewohnt zum Klo rennen und sich übergeben.
So bleibt ihr nur das komische Gefühl, das wie ein Eisenklotz im Magen
liegt und nun auch noch andere Gefühle - die ja bekanntlich magnetisch
sind - anzieht. In allen Winkeln des Körpers brechen sie auf: große
und kleine, alte und neue, gute und böse Gefühle, treffen sich
im Magen mit viel Hallo - hey, wie gehts denn so? lange nicht gespürt!
- werden immer mehr, immer lauter, immer gemischter, immer ungeduldiger
und wollen alle nur das eine: RAUS! Eins hat sich schon bis zum Zäpfchen
vorgekämpft, ruft: "Hier gehts lang!" und schon stürmen
sie los, unaufhaltsam, Hand in Hand, sich gegenseitig anfeuernd, wie bei
ner Demo. Birtes Kiefermuskulatur ist diesem inneren Druck nicht gewachsen;
langsam öffnet sich der Mund, und heraus prescht der erste Urschrei
ihres Lebens. BIRTE: <unbeschreiblich weiblich> OOOOOOUUUUAAAAAIIIIHHHHHHHHHHH!!!!!
So unverfälscht, so kraftvoll, so perfekt ist dieser Schrei, daß Fred vor Rührung fast die Tränen kommen. Um die Schönheit dieses Augenblicks zu erkennen, braucht man nicht einmal zu wissen, wie sehr Fred sich abgerackert hat, um Birte diesen Schrei zu entlocken: in langen Privatsitzungen auf der Ledercouch, auf dem Teppichboden, dem Tisch, dem Rücksitz seines Volvos, im Hotel, im Motel, im Naherholungsgebiet, ja selbst im körperbetonten Rollenspiel mit Rohrstock und Ranzen, als Freds Frau bei ihrer Mutter war... Nein, die Schönheit dieses Augenblicks erkennt sogar der PDS-Chor,
der fünf Straßen weiter mitten im Vers verstummt. War DAS etwa
die Stimme des Volkes? Die beiden Helden der therapeutischen Arbeit fallen sich derweil
in die Arme. FRED: Birte! BIRTE: Fred! KLAUS: Kann ich jetzt meinen Stiefel wiederhaben? Oder braucht ihr den
noch? LICHT AUS / AUSBLENDUNG. ENDE DES 2. AUFZUGS 3. AUFZUG Alle sind wieder am Tisch versammelt, außer Birte, die sich
etwas abseits auf der Ledercouch von einer schweren Geburt erholt. Das
Kind ist wohlauf, die Schlacht geschlagen, der Aschenbecher leer. FRED: <resümierend> ... und obwohl wir heute leider
wieder nicht über die Eröffnungsrunde hinausgekommen sind.... ...Wallo zwinkert Helga verschwörerisch zu... FRED: ... glaube ich, im Namen aller zu sprechen, wenn ich sage, daß
heute viel an die Oberfläche gedrungen ist, das wir unbedingt weiter
vertiefen müssen. Alle murmeln Zustimmung. FRED: Und darum bin ich mir sicher, daß ich euch auch in 14 Tagen
wieder alle begrüßen darf! Alle murmeln Rhabarber. Hiermit ist die Tafelrunde aufgehoben, und
die RitterInnen erheben sich. Auch Birte richtet sich ein wenig auf, zwar
schwach und heiser noch, aber stolz wie eine Prinzessin. Mit roten Wangen
nimmt sie die Glückwünsche der anderen entgegen, die sich wie
bei einer Audienz an der Couch vorbeischieben. Ein wenig Neid ist da schon
zu verspüren, wer wills ihnen auch verübeln. Dann sinkt sie wieder
auf die Couch zurück, in der frohen Gewißheit, daß Fred
sich nachher nochmal energisch in ihr Innenleben vertiefen wird. WALLO: Geht noch einer mit zum Antonio? OLAF: <im Abgehen> Nee, ich muß die Jenny abholen. <vorwurfsvoll> Aber erst muß ich noch zum Geldautomaten. HELGA: <im Nachtreten> Ich kann dir leider nix leihen.
Ich hab selbst nur noch'n Fuffi. Olaf brummend ab. WALLO: <zu Klaus-Zwo> Und du? KLAUS: Andermal. Ich mach noch einen drauf mit den Jungs vom Oberton.
Klaus schlurft zufrieden von dannen, der rechte Stiefel blitzeblank,
der linke eine kackbraune Schleifspur hinterlassend. Helga und Wallo stehen
bei der Tür, außer Hörweite von Fred und Birte, die im
Hintergrund wie ein stolzes Elternpaar mit Gabi plaudern. Wallo gibt Helga
ein freundschaftliches Knüffchen in die Rippen. WALLO: <anerkennend> Das war ganz große Klasse! HELGA: <unerwartet verlegen> Danke. Aber ich kann dir sagen, das war auch ganz schön anstrengend! WALLO: Nächstes Mal mach ICH wieder was. HELGA: Vielleicht sollten wir doch die Gabi einweihen, jetzt wo Klaus-Eins ausfällt. Die würd bestimmt mitmachen. WALLO: <nachdenklich> Talent hat sie ja... Und nur du und ich, das fällt auf Dauer auf. <hämisch> Dann kommt uns vielleicht sogar der FRED irgendwann auf die Schliche... HELGA: Ich bring sie gleich einfach mal mit, besorg du uns schon mal
nen Tisch. Wallo ab. Gabi stößt zu Helga. GABI: <voller Bewunderung> Mensch, warst du heut in Fahrt!
ICH fühl mich dann ja eher so... eh... so zerrupft... Wie machst du
das bloß? Helga strahlt dümmlich in den Saal/die Kamera. HELGA: Mit HALBWEGS-Ultra (*)fühl ich mich
an gewissen Tagen eben ganz besonders sicher! Gabi kichert. Helga kichert. HELGA: <zu Gabi> Komm, ich geb uns ne Pizza aus.... Gabi und Helga ab. Tür zu. VORHANG / ABSPANN. ENDE.
.. Wandler, Zeitschrift für Literatur, Heft 19Zurück zum Anfang der Seite, zu Titel & Inhalt von Heft 19, zur Wandler Startseite
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