Wandler, Zeitschrift für Literatur, Nr.19: Dieter P. Meier-Lenz

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Dieter P.Meier-Lenz

Dichterland

Menschen, die in ihren Gedichten wohnen, haben Metaphern als Fensterläden. Sie sind phantasievoll bemalt und heißen eigentlich Vollmondvernagelung oder Holzhimmel, vielleicht auch paraneige d'hiver, je nach Jahreszeit, Wetter und geographischem Breitengrad.

Die Katze im Vorgarten hat natürlich symbolische Bedeutung. Sie ist das Gegenteil von einem Gartenzwerg und sitzt dort Modell für das Subjektive, das Unberechenbare. Sie agiert für das Dynamische, für die geschmeidige, raubtierhafte, schöpferische Konzentration.

Die Abfallgrube im Garten quillt über von kompostiertem Wortmaterial. Dort gewinnt der Hausherr sein Biogas für verbale Hexenritte in dunklen Traumnächten. Man hüte sich, auf den Schlauch zu treten oder am Ventil herumzufummeln. Das könnte sich negativ auf den gesamten Metabolismus des Dichters auswirken.

Im Inneren des Hauses findet man, soweit man in der Lage ist überhaupt einzudringen, allenthalben schneeweiße Bidets auf denen Pegasi sitzen und ihre Penisse waschen. Das gehört einfach zur lyrischen Hygiene in diesem Haus. Der Dichter identifiziert sich mit dem Pegasus und hat auch zu Flügeln und allen fliegenden Kreaturen ein besonderes Verhältnis.

Die Möbel haben meist fünf Versfüße, sind metaphorisch aufgeputzt und spiegeln die Landschaft wider, die sich gerade im Dichterkopf manifestiert. Jeder Stuhl kann ein Drama sein. Der Tisch ist Katafalk. Das Bett ist ein Himmelsfahrzeug und Inspirationsinstrument.

Das Bidet ist für längere Ausritte zu immobil, deshalb zieht er den Schaukelstuhl vor für größere Luftstreiche und Sinnsprünge. Er ist Metronom für seine Jambenexzesse in der Nacht.

Menschen, die in ihren Gedichten wohnen, haben ihr Haus nicht nur für andere unbewohnbar gemacht, sondern auch gut abgesichert. Die Alarmanlage besteht aus sensiblen Fremdwörtern, die auf infrarote Vulgärverbalien allergisch reagieren. Die Tür ist hermetisch verriegelt durch eine Zeile von Paul Celan. Die Gäste müssen über seinen Schatten springen und vor der Haustür ein Gedicht aufsagen.

Es ist dann immer noch nicht einfach, ins Haus zu kommen, denn es ist meist mit Haikus zugewachsen, und jedes Zimmer ist neu verbarrikadiert mit lyrischen Codeworten.

Wenn man sich mit einer Gartenschere der Firma Ratio einen Weg bahnen will, so ist man verloren wie in einem Dornröschengarten. Nein, man muß schon auf einem fliegenden Teppich eingeflogen kommen, am besten durch den Kamin, wenn gerade nur ungefährliche Manuskripte in einem kurzen Strohfeuer brennen. Als Gastgeschenk sollte man einige lyrische Nuditäten mitbringen.

Dann findet man den Dichter auf seinem Bidet oder einem Gedankenberg sitzend oder in einem Spinnennetz aus Vorurteilen in einem Anfall von schwermütigem Brüten. Wenn man Geduld hat, kann man ihn nach einigen Stunden zum Reden bringen. Man muß ihn provozieren mit einer falschen Interpretation eines Paul-Wühr-Gedichts, einem falschen Zitat oder mit windschiefen Metaphern. Er antwortet mit messerscharfen, aber etwas schartigen Repliken, verfällt aber bald in banale Alltagssprache und spricht jovial über die letzten Rotweinjahrgänge oder über das Wetter. Dann hat man ihn endlich so weit, daß man sich guten Gewissens verabschieden kann, ohne sich mit ihm zu verfeinden.

Am besten ist es, man läßt ihn in Ruhe. Dann kann er in einem Aphorismus überwintern, und bringt nur ganz wenige Worte zustande. Diese sind wie eingeschlossene Insekten im Bernstein.

Andere werden sie als Kette tragen.


landschaftsbild

ein junger morgen im matrosenanzug
öffnet das ozonloch

im hintergrund eine lichtsäge
und ein sonnenfallbeil

ein paar sonntagsökologen
stehen am grab einer buche
und proben das baumsterben

von zwei falschen jungfrauen
wird die leiche einer utopie
vorbeigetragen

ringsum ein lichtgewitter
mit roten landschaftsorgasmen

auf den augenweiden das wuchern
der sonnenbrillen und der amplituden
der schutzfaktoren

ein schwarm geblendeter touristen
pflückt sich souvenirs von den alpträumen
aus den lautsprechern:
protuberanzen von erklärungen
lichtgesplitterte sprache

blinde gesten humpeln
über den vordergrund

in der kirche
schattengottesdienste


ewiges rom

war es in rom wo du
mit der colabüchse
fußball spieltest?
ja es war am collosseum
und ich war die colabüchse

dann war ich ein fotoapparat
ziemlich lange camera obscura
und du warst der film
zu stark belichtet und
noch nicht entwickelt

auf deinen lippen
die enttäuschung über die
sixtinische kapelle und
die genickstarre vom
betrachten der deckenbilder

nur der schöpfungsakt
war klasse da war
bei michelangelo
der funke übergesprungen
der hatte es in den finger-
spitzen

du warst eine plastiktüte
in der wir prospekte und postkarten
gesammelt hatten

wir waren beide
zwei eisportionen in rom
salmonelleneis
das wir leckten
immer den papst im rücken
und die kuppel vom petersdom

so aßen wir uns gegenseitig auf
vanille schokolade zitrone erdbeer
zwischen uns die colabüchse
und ein bißchen hundescheiße

Quelle: Dieter P.Meier-Lenz: Die Schönheit einer Fledermaus, Gedichte mit einem Nachwort von Ludwig Harig, ELS, Edition Literarischer Salon, Postfach 110980, D-35354 Gießen


Einen Tag umbringen

Gleich am Morgen vergewaltige ich ihn dreimal. Ich nötige ihn, sich nackt auszuziehen und schleife ihn zur Schocktherapie unter die kalte Dusche. Wenn ich den Halbtoten mit Seife genügend defloriert habe, lasse ich ihn durch das Zähneputzen seine eigene Gehirnwäsche betreiben, stopfe ihm einige hartgetoastete Schnitten in den Mund, knebele seine Sprache, gebe ihm einen Sud aus gemahlenen schwarzen Bohnen als Schwedentrunk ein und lasse ihn die Unwahrheit stammeln. Mit einem Traktor fahre ich über sein Gesicht, mähe alle Gedankenstoppeln ab und reiße ihm die Nacht mit der Wurzel aus. Dann ziehe ich ihm ca. 20 cm Kot aus dem Darm und lasse ihn eine Weile in seinem eigenen Gestank sitzen..

Bis zum Mittag foltere ich ihn mit nichtssagenden Schreibtischarbeiten, mißbrauche ihn als Anrufbeantworter und zum Anlecken von Briefmarken, bis ich mit einigen heißen Kartoffeln einen Erstickungsanfall provoziere.

Am Nachmittag terrorisiere ich den Sterbenden damit, indem ich ihm einrede, er könne heute nichts Vernünftiges mehr zustande bringen, er sei sowieso eine Eintagsfliege und habe nur noch ein paar Stunden zu leben. Darauf malträtiert er sich mit blutigen Gewissensbissen und geißelt sich mit Selbstvorwürfen. Seine Agonie ist vorauszusehen, weil er schon vom morgigen Tag faselt.

Seine Hinrichtung setze ich auf 18 Uhr an. Ich vierteile ihn, schlachte den Torso für die Tiefkühltruhe aus und werfe den Rest dem Fernseher zum Fraß vor.

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Wandler, Zeitschrift für Literatur, Heft 19

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