Wandler, Zeitschrift für Literatur, Nr.19: Jaromir Konecny

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Jaromir Konecny

Die dritte Klogeschichte

Aus: Jaromir Konecny: Zurück nach Europa. Erzählungen. ARIEL-Verlag.
ISBN 3-930148-10-2. 116 Seiten, 15 DM. (An anderer Stelle im Heft findet sich unter dem Titel "Miller, Bukowski, Konecny" ein Interview mit J.K.)

***

Der tschechische Grenzschutzbeamte mustert meinen blauen deutschen Asylpaß und sagt, "mein lieber Herr, Sie brauchen ein tschechoslowakisches Visum."

"Geht's nicht ohne?"

"Haben Sie Angst, daß Sie mit den deutschen Behörden Probleme kriegen?"

"Tja, man weiß nie..."

"Okay. Fahren Sie weiter. Wenn Sie jemand fragt, wie Sie reingekommen sind, sagen'S ruhig, ich hab Sie reingelassen. Ich wünsche Ihnen einen schönen Aufenthalt in der alten Heimat."

Oh, Gott! Endlich bin ich im Land meiner Träume. Mann, sind die cool geworden, die tschechischen Bullen. Lang lebe die samtene Revolution! Nach zehn Jahren Exil zittern mir noch immer die Knie, wenn ich die grüne Larve eines noch vor kurzem sozialistischen Ordnungshüters sehe. Ein Scheißkomplex. Dabei haben auch diese Typen entdeckt, daß grün die Hoffnung ist. Sie lachen wie du und ich. Wunderbare grüne Menschen!

Mann! Ein Traumland! Keine roten Fahnen mehr entlang der Straße, keine Banner, keine Sterne, nur Grillwurst und Becherovka... Kapitalismus pur. Super die Wurst! Durchgeknallt bis ins Schwarze mit den schmackhaften polycyclischen Kohlenwasserstoffen... Senf zergeht auf der Zunge wie Kaviar - noch gute alte Benzoesäure drin. Lauter gesunde Sachen, dazu eine Riesen-Cola - Mahlzeit für Feinschmecker.

Ein kleiner zerlumpter Zigeunerjunge macht sich an mich ran, zeigt mir ein abgegriffenes Foto. "Mann, willste meine Schwester bumsen, ist Jungfrau, richtig schöne Titten..."

"Vielleicht bei der Rückkehr, Junge, jetzt muß ich diese vier samtenen Bratwürste verdauen. Verstehst du? Bewegung gefährlich! Bauch voll!"

"Ist das dein Wagen, Mann? Biste aus Deutschland? Haste 'nen Joint?" fragt mich der zehnjährige Knirps.

"Na, du bist mir schon ein Genießer, mein Junge. Verstehe, du möchtest auch dein Bewußtsein erweitern. Da, kauf dir lieber was zum Knabbern." Ich gebe ihm einen Fünfzigkronenschein und zwinge meinen Bauch mit den vier Grillwürsten hinters Lenkrad. "Mach's gut. Kleiner." Ich haue ab. Der Zigeunerjunge hüpft noch ein Weilchen im Rückspiegel herum. Seine zwei Finger zeigen das Siegeszeichen. So ist's richtig, Mann...

Gottseidank ist es schon dunkel, als ich Prag erreiche. Genug Eindrücke für heute, sonst vergehe ich in Flammen... bin verdammt nahe an der kritischen Masse: Der gute Bulle, die prima Wurst. Wenn dazu noch das Erlebnis - Prag unter Sonnenstrahlen - käme... nein, das wäre zuviel auf einmal.

Zizkov! Seit zehn Jahren habe ich meine Schwester nicht gesehen. Was für eine Überraschung! Das Brüderchen steht vor der Tür mit den ganzen Plastiktüten... wie der Onkel aus Amerika... Ihr werdet schauen, ihr armen Schweine! So gut geht es uns im Westen... Ihr hättet eure Revolution schon vor zehn Jahren machen sollen. Jetzt werdet ihr ihn erleben... den Bruder... Jetzt werdet ihr sehen, wie der alte Hippie im goldenen Westen zur Vernunft gekommen ist, der verlorene Sohn...

Klingeling... Der Schwager macht auf, hinter ihm lugt die Schwester, die Kinder. Kuß, Kuß, Kuß, Kuß... Ich rausche mit den Tüten in die Wohnung... Raus mit den Geschenken. Wie in dem Film Captain Cook und die armen Wilden. "Da, du Schwager, da hast du 'ne feine ungarische Salami und Rasierwasser... For Men Only... verstehst du, Mann, das ist Englisch. Nur für Männer, heißt es, Mann, verstehst du, Rasierwasser!... Und da Schwesterchen, da ist ein Parfüm direkt von Dior und Seife auch, selbstverständlich... Wasser habt ihr grade noch im Sozialismus... Ha, ha... pardon, jetzt im Kapitalismus... und da, siehst du die Bluse, direkt von C&A... ein feines Geschäft. Ja, ja, da ist was für die Kinder, für die kleinen Jungs... verdammtnochmal, so klein seid ihr auch nicht mehr, einer zwanzig und der andere achtzehn. Da, nehmt, Ritter Sport. Da sind zwei Tüten voll Schokolade. Schokolade ist bei uns im Westen billig. Nicht traurig sein, Jungs, über Schokolade und Kaugummis. Da, eine Schallplatte... Hotel California von den Eagles und da noch die guten alten Led Zeppelin... Hier in den Tüten sind noch ein paar Kleinigkeiten, Leute, was zum Knabbern, Kaffee und Nüsse von Aldi... nur gute Sachen. Feinster Import aus'm Westen!

Wir hocken uns an den Tisch. Schwager knallt mir einen kühlen Großpopowitzer Bock vor die Nase. Schmeckt phantastisch nach der Wurst. Erzähle stundenlang. Bin Held des Tages, der samtene Emigrant... Go West, Leute! Alle schlackern mit den Ohren vor Neugier, nur nichts verpassen von meinen Heldensagen. Machen Augen wie die sieben Zwerge auf das Schneewittchen. Ich rede, sie schweigen... So ist's auf der Welt gerichtet, Leute. Nicht jeder kann Bescheid wissen. Hört gut zu, der Bruder hat die halbe Welt bereist.

Pause, Leute. Die gute Grillwurst liegt mir schwer im Darm, die muß raus. "Klar. Ich weiß noch, wo das Klo ist."

Ein Jahrhundertschiß! Zufrieden taste ich nach Klopapier. Vorsicht! Die Kloschüssel wackelt ein bißchen. Mist! Leben die immer noch im tiefsten Sozialismus? Klopapier scheint weiterhin Engpaßware zu sein. In einer Schachtel hinter der Muschel entdecke ich endlich etwas - aufgeschnittenes Zeitungspapier. Nur ein paar Blättchen liegen da - Stücke eines halbseitigen Zeitungsporträts. Ich lege das Puzzle vor mir auf dem Boden zusammen. Sieh mal... Mann, wen haben wir denn da? Vaclav Havel, unseren neuen Burgherren. Also... nein, das werde ich nicht übers Herz bringen, mir den Arsch mit dem Bild des Dichterpräsidenten abzuwischen. Ich bin doch ein Kulturmensch. Hab auch Sinn für symbolische Handlungen. Mit dem alten KP-Generalsekretär Husak habe ich es gern gemacht, aber mit unserer neuen Hoffnung... nicht doch. Verdammtnochmal, was tun? Kein unschuldiges Stück Papier im ganzen Badezimmer. Keine Bange! Der Westmensch kann sich immer helfen. Ich ziehe an der Spülung, hocke mich auf den Wannenrand, so daß mein Arsch weit über den Rand wackelt wie ein Wasserturmspringer. In die linke Hand nehme ich die Duschebrause, ziele zwischen meine Backen. Mit der rechten packe ich die Seife und drehe den blauen Wasserhahn auf. Der Wasserstrahl hebt mich in die Luft wie ein Katapult. Heulend sause ich durch das Badezimmer. In dem Wasser könnte man ein Suppenhuhn kochen... meinen Sack, den der Strahl mit voller Wucht erwischt hat, übrigens auch. Die Dusche entreißt sich meiner Hand - in einem unheimlichen Rhythmus schlängelt sie sich an den Wanne- und Zimmerwänden und versprüht weiter kochendes Wasser. Ich lande auf dem Kachelboden, schlage mit dem rechten Ellbogen an der Klomuschel auf. "Auuh..." Die Seife schlüpft wie ein flinkes Tierchen aus meiner Hand und hop, rein in die Kloschüssel. Oh, Scheiße, wenn das Ding das Abflußrohr verstopft, gibt es hier im Haus eine Riesenschweinerei... Ich kenne doch diese alten sozialistischen Häuser... Trotz der heißen Wassergeschosse aus dem immer noch feindlich eingestellten Duscheschlauch, hechte ich zu der Kloschüssel und fahre mit der wunden rechten Hand in sie rein. Ja, ich halte dich, Seife! Aber nur eine Sekunde... Ich falleee!.. Dann halte ich in der Luft die ganze Muschel. Bin auf dem glitschigen Boden ausgerutscht, umgekippt und hab die wackelige Schüssel aus dem Boden rausgerissen - auch mit der Wurzel. Aus dem Abflußrohr kommt das Wasser wie aus einem Feuerwehrschlauch, zwar nicht mehr so heiß wie das Duschwasser, dafür aber auch nicht so klar. Endlich stehe ich wieder fest auf den Füßen. Ich packe die Brause, drehe den Kaltwasserhahn auf, den roten, und spritze mir die Scheiße aus den Haaren. Das Abflußrohr hat sich inzwischen beruhigt. Ich dusche meine Kleidung einigermaßen sauber, mache das Wasser aus und wate zu der Tür. Jetzt gibt's Klopapier überall.

Draußen vor dem Badezimmer hat sich inzwischen die ganze Familie versammelt. Ich lasse die Tür auf. Sie schauen mich mit aufgerissenen Augen an, dann betrachten sie das, was vor kurzem noch ihr Badezimmer war. "Was hast du da gemacht?" fragt mich meine Schwester.

"Geschissen!" sage ich und hole mir aus der Küche meine Bierflasche. Schweigend betrachten wir gemeinsam den Platz der Zerstörung.

"Ja! Geschissen wie im Westen...", sagt der Schwager. Sie gucken von mir zum Badezimmer und wieder zurück, ihre Lippen zucken zuerst nur, aber dann fangen sie an zu lachen... der Schwager, die Schwester und die beiden Jungs. Ach was lachen... sie heulen wie Hunde, halten sich die Bäuche vor Lachen und schütten mir ihre Lachtränen vor die Füße. Ich stehe da wie ein Wassermann, stinke nach Scheiße und trinke seelenruhig mein Bier.


Jaromir Konecny, geb. 1956 in Prag. 1982 Flucht in die BRD. Ein Jahr Sammellager, diverse Jobs. Diplomstudium Chemie an der TU-München. Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Theoretische Chemie.

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