Wandler, Zeitschrift für Literatur, Nr.19: Matthias KehleZurück zur Titelseite und zum Inhalt
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Matthias Kehle Dichter und Gedichte Ein Dichter zerfällt in zwei Teile: in einen lyrischen, der nicht
denken will und in einen poetischen, der nicht denken kann. Deshalb muß
er so gescheit aussehen, daß seine Dummheit eine angenehme Überraschung
bietet. Ein Dichter hat zwei Dinge: kein Geld und Gefühle, die man am sichersten
dadurch hervorruft, daß man gewisse Nervenpunkte des Organismus in
Funktion setzt. In diesen Fällen sondert er Gedichte ab. Gedichte sind schwarz und häßlich. Gedichte machen im allgemeinen
aus Lesern Analphabeten. Gedichte sind gut gemeint: sie werden gedichtet,
gelesen, gehört, gesungen, gesprochen, erklärt, interpretiert
und nicht kapiert, womit wir den Reim eingeführt, aber noch lange
kein Gedicht gemacht hätten. Ein Gedicht wird gemacht, hingegen nicht gefragt, ob es auch gemacht
werden wolle. Gedichte sind der Phallus des Geistes und Kröpfe am
makellosen Körper der Sprache. Ein Gedicht ist einsam. Ein Gedicht kommt selten allein. Schön
wäre es. Wer dichtet, sündigt nicht. Und Gott sprach: Wohlauf lasset uns herniederfahren und ihre Sprache daselbst verwirren, daß keiner des anderen Gedicht verstehe. Gedichte sind Kunst. Kunst kommt von künstlich, also falsch. Ein Gedicht ist keine Poesie. Poesie ist die pubertäre Ausgeburt des gleichnamigen Albums. Gedichte sind eine Art Daumendrehen eines Dichters und eine Daumenschraube für einen Leser. Es steht geschrieben: Mit den Ohren werdet ihr hören und werdet
es nicht verstehen. Ein Dichter hört gerne Versprechungen, Schmeicheleien, Anerkennungen
und Komplimente, sofern er auf überhaupt etwas hört. Man könnte
den Dichter geradezu als ein Wesen definieren, das nie zuhört, vor
allen Dingen nie aufhört. Manchmal aber hört er auf und gibt
Ruhe, und dann ist er tot, und seine Bücher werden billiger. Bei Schmeicheleien
jedenfalls empfiehlt es sich, immer drei Nummern gröber zu verfahren
als man gerade noch für möglich hält. Ein Dichter wird von den Frauen geliebt, weil auch er dichtet. Wer Gedichte
schreibt, bohrt nicht in der Nase. Ein Dichter macht Gedichte, weil er sich nichts aus Gedichten macht.
Ein Dichter ist ein Dichter, weil er nicht dichtet! Ist ein Dichter dicht
oder dichter? Ein Dichter ist nicht dicht...! Rede ich Blödsinn oder
dichte ich schon? Und Gott sprach: Darum lasset uns Gedichte machen, ein Bild das uns
gleich sei. Und ein Dichter sprach: Mein Gott, warum hast Du mich verlassen? Die Gedichte heutzutage sind einfach Beschiß. Ein Gedicht ist
wenig Schwarz auf viel Papier zwischen noch mehr Papier mit nicht viel
mehr oder sogar weniger Schwarz, und alles zusammen ist ein Stapel Papier,
der viel Geld kostet. Mietererhöhung Mit Wirkung zum ersten August werden die Mieter erhöht. Die Erhöhung beträgt bei allen Mietern gleichmäßig zwanzig Prozent. Damit soll das angestiegene Verhältnis von Wohnraum zu Mietervolumen
ausgeglichen und gleichzeitig die angewachsene Bewegungsfreiheit auf ein
vernünftiges und allgemein übliches Maß reduziert werden.
Der allgemeinen Forderung nach Abbau sozialer Spannungen wird hierdurch
Rechnung getragen. Für die auftretenden Schwierigkeiten wird eine Gewöhnungsfrist von zwei Monaten veranschlagt. Bis zum Ablauf dieser Frist am ersten Oktober müssen alle Einsprüche bei der Hausverwaltung schriftlich eingegangen sein. Es wird darum gebeten, Rückporto beizulegen. Die Mieter werden am Morgen des ersten August zwischen sieben und elf
Uhr unter notarieller Aufsicht erhöht. Bei Nichtanwesenheit wird eine
Mahnung hinterlassen. Nachtermin ist der Morgen des dritten August. Bei
nochmaliger Nichtanwesenheit erfolgt automatisch die Kündigung. Die Hausverwaltung gez. Prokrustes Matthias Kehle, geboren 1967 in Karlsruhe, lebt dort. Studierte an den
Universitäten Heidelberg und Karlsruhe Literaturwissenschaft, Mediävistik
und Soziologie. Als Soziologe Vorträge und Fachpublikationen. .. Wandler, Zeitschrift für Literatur, Heft 19Zurück zum Anfang der Seite, zu
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