Wandler, Zeitschrift für Literatur, Heft 18: Aglaya VeteranyiZurück zur Titel & Inhalt von Heft 18,
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Aglaya VeteranyiDie BulandraIn Wirklichkeit lebt sie noch immer und leidet an Verfolgung. Erst neulich ließ sie ihre Verehrer in einem Schrank einsperren und im Brunnen versenken. Die Schauspielerin Stursa Bulandra war so unbegabt, daß bei ihren Auftritten selbst die Theaterstühle einschliefen. Sie bekam Krampfadern und nahm sich dann das Leben. In Wirklichkeit heiratete sie, bekam drei Kinder, wurde pummelig und glücklich und roch immer nach Apfelkuchen. Eines Tages verlor sie das Gedächtnis und vergaß aufzuwachen. Wirklich wirklich ist nur, dass sie Stursa Bulandra hieß und sehr unbegabt war und am liebsten tragische Rollen mit langen Röcken spielte, wegen der Krampfadern. Und als sie ganz alt wurde, da machte sie auf jung und sah wie ein kleines Mädchen aus. Im Altersheim saß sie den ganzen Tag vor einem kleinen Spiegel und kämmte sich. Und zweimal täglich bekam sie eine Pille. Und eines Tages hörte sie einfach auf mit dem Kämmen. Und sie hat noch sehr lange gelebt. Meine GeburtenIch heisse Onimka und bin dreizehn Jahre alt. Wie ich auf diesen Dachboden kam, weiß ich nicht. Als ich die Augen öffnete, sah ich mich hier liegen. Kann es mir nicht erklären. Vielleicht heiße ich auch anders und bin erst sieben. Meine Geburt fand im allerengsten Familienkreis statt. Nur ich war anwesend. Am falschen Ort und zur falschen Zeit, anders läßt sich dieser Umstand nicht erklären. Der Boden und ich sind miteinander verwachsen. Mein Herzklopfen ist das Pochen vom unteren Stockwerk. Geburt und Tod miteinander verschlungen. Wie merkt man eigentlich, daß man lebt? Die schwarzhaarige Frau sagt, sie sei meine Mutter. Gut, sage ich, was soll's? Ich habe sie nie freiwillig umarmt oder geküsst, habe es immer wie das Zähneputzen erledigt. Ich wünschte, ich könnte es bedauern. Die grossen Leute haben Zähne im Gehirn, die beissen ins Herz. Wenn ich gross bin, werde ich die grossen Leute töten. Meine Mutter sagt, die andern sind böse, ich soll keinem trauen. Wenn ich groß bin, werde ich die Mutter meiner Mutter, und dann werde ich ihr die Augen ausstechen, damit sie die andern, die bösen, nicht mehr sehen muß. Puppen haben mich nie interessiert. Ich baute Straßen und spielte wie ein Knabe. Am liebsten suchte ich kleine Menschen im Gras. Die Erde war ein riesiger, körperloser Kopf, das Gras, die Bäume und die Blumen waren Haare und die Menschen Läuse. Ich wollte die kleinsten Menschen finden, die sich im Gras versteckt hielten, und sie zwischen Daumen und Zeigefinger zerquetschen. Oder sie in eine Schuhschachtel einsperren und sie dann ersticken lassen. Ich wollte ihre angstverzerrten Gesichter sehen, ihren Todeskampf. Oder ich würde ihnen eine Stadt bauen. Ich wäre der Bürgermeister und hätte das Recht, alles, was sich in der Stadt ereignete, zu beobachten. Besonders auf die Liebesspiele freute ich mich. Meine Geburt fand gleichzeitig an mehreren Orten und unter verschiedenen Umständen statt. Hier eine andere Version. Meine Mutter ist eine Klapperschlange. Ich suchte gerade kleine Menschen im Gras, als sie mich mit Haut und mir verschlang. Als sie mich nach ihrem Verdauungsschlaf unverdaut wieder herauswürgte, meinte sie, sie hätte ein Kind bekommen. Bei dem kleinsten Versuch, ihr den wahren Sachverhalt auseinanderzusetzen, wickelt sie sich um meinen Hals und drückt liebevoll zu. Sie macht es mir nicht leicht, sie zu lieben. Auf Schritt und Tritt klappert sie hinter mir her. Ich frage mich manchmal, ob sie wegen des vielen Klapperns vielleicht nicht mehr ganz gesund ist. Und die dritte Version. Meine Geburt fand überhaupt nicht statt. Ich habe das Ganze
nur erfunden, um dem Tod einen Streich zu spielen. .. Wandler, Zeitschrift für Literatur, Heft 18Zurück zum Anfang der Seite, zur Titel & Inhalt von Heft 18, zur Wandler Startseite |