Wandler, Zeitschrift für Literatur, Heft 18: Imre Török

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Imre Török

Akazienskizze

Jenseits der Wälder, durch die sie rannte, mußte die Grenze der Grenzen liegen. Jenseits der Wälder. Wie weit lag das?

Akazien.

Akazien sah sie sehr häufig. Zeitweilig bestand der Wald nur aus Akazien.

Blütenschweren. Betäubender Duft. Und weiß und betörend. Sie rannte im Rausch. Sie suchte, sie schrie. In ihr pocht, pulsiert ein Verlangen, in ihr stürmt's, während ein Wind an Blütentrauben reißt. Diese Person, dieser Mensch, ungewisser Herkunft, namenlos. Ob Frau, ob Mann, auch das wäre kaum zu erkennen. Beim schnellen, wilden Lauf durchs Gebüsch niedriger, junger Pflanzen. Behangen auch diese mit schweren, weißen Blütengirlanden, die die dünnen Zweige nach unten biegen. Dazwischen frische Triebe, zartes Grün.

Ach, so grün.

Raschelnd prügeln die Zweige ihre Arme, schlagen ins Gesicht. Stacheln reißen die Haut auf. Schweiß vermischt sich mit Blut, das in winzigen Perlen aus den langen Kratzern hervortritt. Andernorts war der Wald etwas lichter. Hohe, knorrige Bäume, die noch kaum Blätter trugen. Aber voll hingen sie mit diesen irren Blüten. Äste und Stämme dunkel, zerfurcht, uralt. Behangen, bekränzt mit irisierend weißen Blüten. Sie rannte, die Person, war wohl ein recht junger Mensch, jetzt außer Atem. Da steht er am Waldrand, schnauft schwer und schaut noch einmal hinter sich. Im stachligen Gezweig Binnengesumm. Sprießendes Grün im Gehölz und staubige Hitze. Ein sußer Duft, ein warmer Wind, der an den Trauben reißt. Akazien. Akazienblütentraum.

Und flimmernde Luft über sandigem Boden vor ihm.

Vor den Füßen der Person, die gespannt darauf war, ob Grenzen auch Grenzen haben. Da hörte sie "Halt", die Stimme klang trocken, und sie dachte noch, wer ruft da Halt, wenn ich stehe. Sie überlegte nicht lange, rannte los über das Feld, über die weite Ebene, über Sandboden, und ein Wind wirbelte Staubfähnlein hoch aus ihren Stapfen. Auch die trockene Stimme zögerte nicht, knatterte, und ihre Silben rissen in kurzen Stößen die Erde auf vor der Fliehenden. Dann flog sie, wirbelte, und ihr Körper mit dem ganzen Schwung drehte sich in der Luft über gelockertem Sand. Zappelnd, fuchtelnd wand der Körper sich kopfüber.

Und in seinen Sturzflug hinein zischten Pfiffe.

In ihrem Flug vernahm die Person noch den Nachhall des Wörtergeratters, dann wie's pfiff. Und es summte im Ohr, ferne Bilder tauchten auf, es war als ob sie den langgezogenen Pfiff einer Dampflok hörte, die erzbeladene Waggons aus zerklüfteten Abbaugebieten zu entfernten Häfen schleppt.

Sie sah die Abbaugebiete, sah die Schürfstollen und Wellblechtonnen, Wellblechpisten, Wellblechdächer. Dann den Hafen, roch Fisch und Öl und alte Reifen, die ins Wasser hingen, wenn das Erz aus den Waggons in den riesigen Schiffsbauch gekippt wird. Und Möwen begleiten den Ozeanüberquerer. Ein Stück weit. Wellen schlagen hoch an der Schiffswand, im Möwengefieder flimmert Sonnenlicht.

Wellen, Teilchen, Protuberanzen. Korona, Kernschmelze.

Glut ergießt sich.

Wie viele Milliarden Jahre alt ist sie schon, fiel ihr im Fallen noch ein. Und man stribt an den Grenzen, dachte sie flüchtig, bleibt auf der Strecke, geht drauf. An den Grenzen.

Jene Abbaugebiete, das dürre Land, die Abbaugebiete hatte sie noch einmal vor Augen, sah sich verschwommen in der kreischenden Kinderschar, die barfuß dem erzbeladenen Zug hinterherrannte, wenn die Dampflok pfiff.

Dicke, rote Tropfen quollen, fielen in den Sand.

Nur das Gesumm der Bienen und unzähliger anderer Insekten war aus den endlosen Akazienwäldern zu vernehmen.

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Wandler, Zeitschrift für Literatur, Heft 18

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