Wandler, Zeitschrift für Literatur, Heft 18: Marc Kluge

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Marc Kluge: *1968, lebt seit 1988 in Berlin. Musiker, Fernstudent und Tennislehrer.

Marc Kluge

Der kleine Poet

Ruth liebte Männer. Wohl deshalb, weil sie einmal eine gute Erfahrung gemacht hatte. Und die Männer liebten Ruth. Und machten zumeist gute Erfahrungen. Jedenfalls für gute halbe Stunden. Das reichte den meisten.

Als Ruth nach Hause kam, saß Johnny am fleckigen Küchentisch und kratzte Schimmel von einem Pfirsich. Johnny war kein übler Kerl, aber eben doch nur guter Durchschnitt. Johnny trank nie Wein ohne Süßwürfel, rauchte wie ein Vulkan und duschte nur einmal die Woche. Früher nämlich war Trixie immer unheimlich scharf geworden, wenn er vom Rudern kam, verschwitzt, in weißen Baumwollsocken und im knappen Ruderhöschen. Sein Geruch ließ sie verwildern und seitdem verwechselte Johnny den Geruch seines Körpers mit Körpergeruch. Ein grundsätzliches Mißverständnis, an dem seine Ehe mit Trixie letztlich gescheitert war.

Johnny war keine große Leuchte, las nie, nicht einmal die Hinweise zum Öffnen einer Milchtüte, denn Johnny konnte überhaupt nicht lesen, Johnny haßte die Filme der französischen Avantgarde, und Johnny hatte drei Hammer-zehen, eine anatomische Besonderheit, auf die er besonders gerne Frauen hinwies, die schon bei seinen enormen Plattfüßen in Ohnmacht fielen.

Wenn Ruth es sich so richtig überlegte, mochte sie Johnny überhaupt nicht. Aber er war wenigstens ein Mann und hatte auf sie gewartet, wenn sie nach Hause kam, und das war besser als zwei Männer, die warteten, wenn sie nach Hause kam.

Eigentlich haßte sie Johnny, wenn sie es sich richtig überlegte. Ich hasse Johnny , hatte sie schon oft gedacht, wenn sie es sich richtig überlegte. "Ich kann Johnny nicht ausstehen”, sagte sie immer, wenn sie dachte, daß sie es sich richtig überlegt hatte. "Johnny muß weg”, bestätigte ihr auch die Verwandtschaft, wenn Ruth sagte, sie dachte, sie hätte es sich richtig überlegt. Und das ging ihr denn doch zu weit, denn wer läßt sich gern von der eigenen Bagage etwas sagen.

Also war Ruth noch immer mit Johnny zusammen. Wie ein Preisschild, das man schlecht von der Plattenhülle lösen kann oder wie ein Fußpilz. Ruth lächelte zwar über die Einbauküchenzwangsehen, wie sie oft sagte (mit einer lautlosen Einbauküche beginnt das Ende, dachte Ruth, Einbauküchenmundwinkel werden durch die Gravitation und durch Magie unweigerlich heruntergezogen, bis sie die Erdoberfläche erreicht haben, allerdings nicht so schlimm wie Fernsehansager- und Politikermundwinkel, dachte Ruth, ver-heerend sind auch meine Lippenbeobachtungen. In vielen tragischen Fällen werden die Lippen immer schmaler und saugen immer mehr Haut in das Gesichtsinnere, bis schließlich das ganze Gesicht von den Restlippen nach innen gesaugt wird und der Mensch implodiert...), aber sie hatte für Johnny nun doch den neuen, lautlosen Kühlschrank angeschafft, denn Johnny liebte kaltes Bier und ruhigen Schlaf. Johnny brauchte Schlaf wie ein Löwe. Er stank auch so.

"Willsten Bier?” fragte Johnny, der charmante Johnny.

"Von mir aus”, sagte Ruth.

Johnny schlug den Flaschenhals an der verzinkten Spüle ab und goß ein kalkiges Glas voll. Ruth setzte Teewasser auf.

"Schau mal Kleines, was ich dir mitgebracht habe”, sagte Johnny und grinste. Ruth starrte gelangweilt an die Decke, meistens legte Johnny jetzt seinen Schwanz auf den Tisch. Aber dann sah Ruth doch hin.

"Was soll denn d a s sein?”

Johnny nahm aus seiner Hosentasche einen kleinen Poeten und stellte ihn mitten auf den Tisch. Der Poet hatte Lackschuhe an und bewegte sich auf der klebrigen Tischoberfläche so zaghaft, als wäre er in Scheiße getreten.

"War gar nicht so teuer”, sagte Johnny, "schau mal, was der alles kann. Komm leg los, Junge!”

Der Poet verbeugte sich, kratzte sich am Hintern und sagte ein Gedicht auf.

"Na, wie findest du das? Nicht übel, was?” fragte Johnny.

"So lala. War was von Bukowski. Kann er nix eigenes?”

"Hörst du das!” schrie Johnny den Poeten wütend an, "du willst mich wohl verscheißern! Jetzt laß mal was von dir hören, aber schnell!”

"Mein Herr”, sagte der Poet, "daß sie mich käuflich erworben haben, noch dazu zu einem lächerlichen Preis, gibt ihnen noch nicht das Recht, zu glauben, sie hätten meine Kunst gleich mitgekauft. Sie hätten auch den Tennisspieler nehmen können.”

"Was will ich wohl mit e i n e m Tennisspieler?”

"Was wollen s i e mit einem Poeten?”

"Die funktionieren auch allein”, behauptete Johnny.

"Möchten sie einen Tee?” fragte Ruth den Poeten.

"Hat ihnen schon jemand gesagt, daß sie Augen wie glühende Kartoffeln haben?” sagte der Poet.

"Hehe”, sagte Johnny, "da hört sich ja wohl alles auf. Ich nehm das Kerlchen auf seiner verstunkenen Zigarrenkiste, kauf ihm neue Klamotten, und jetzt macht er meine Freundin an.”

"Ach laß ihn doch, er ist noch so klein”, sagte Ruth.

Der Poet strich sich mit schwungvoller Geste eine fettige Haarlocke aus dem Gesicht. "Sie inspirieren mich. Ich werde ihnen eine Ode widmen:

In einem Aschenbecher, so klein und fein,

da lebte einst ein Mägedelein...”

"Aufhören. So ein Mist!” rief Johnny.

"Die Zigaretten waren heiß,

so heiß, daß sie brach aus in Schweiß...”

"Jetzt gibts poetisch eins in die Fresse... !”

"Laß ihn in Ruhe, Johnny.”

"Bitte! Na schön, schon gut!” Johnny war beleidigt. "Sag nur, wenn du mit d e m da ins Bett willst!”

"W i e b i t t e?”

"Tu bloß nicht so! Du meinst wohl, ich merke nicht, was hier zwischen euch vorgeht!”

"Zeigen sie es dem Grobian! Treten sie ihm in die Eier!” hetzte der Poet, tänzelte auf der Tischplatte und schlug ein paar schnelle uppercuts in die Luft.

"Nur nicht frech werden”, drohte Johnny.

"Wenn du es genau wissen willst”, sagte Ruth zu Johnny, "ich will tatsächlich mal nen Kerl mit Köpfchen. Immer nur kopflose stinkende Leichen den ganzen Tag, das macht mich fertig!”

Johnny hatte genug. Er schlug mit der Faust auf den Tisch, daß der Poet in die Obstschale flog, pickte ihn mit Daumen und Mittelfinger der rechten Hand, die er von sich wegstreckte, als hätte er ein altes Stück Blinddarm aufgelesen, und ging langsam zum Fenster.

"Ich würde unsterblich werden!” gab der Poet zu bedenken.

"Viel Spaß in der Ewigkeit”, sagte Johnny. Der Satz war aus dem Fernsehen. Johnny öffnete das Fenster. Der kleine Poet zappelte noch ein bißchen, dann ließ Johnny los.

"Glühende Kartoffeln - so ein Quatsch...”, murmelte Johnny und machte das Fenster wieder zu.

"Ich liebe dich, manchmal bist du richtig männlich”, sagte Ruth.

"Schade um das Geld”, sagte Johnny und reinigte sich mit dem Daumennagel das Ohr.

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