Wandler, Zeitschrift für Literatur, Heft 18: Wolfgang Kleinschmidt

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Wolfgang Kleinschmidt: *1933 Maler, Grafiker, Schriftsteller. Studium an der Royal Academy of Fine Arts, Stockholm, an der Staatlichen Werkkunstschule, Kassel, Accademia di belle Arti, Florenz und an der Sommerakademie Salzburg. Zahlreiche Ausstellungen im In- und Ausland (u.a. USA, Ex-UDSSR, Japan). Zahlreiche Preise und Veröffentlichungen. Nikolaus-Lenau-Preisträger (1985) und Preisträger beim 3. Lyrikwettbewerb der Künstlergilde Esslingen.

Wolfgang Kleinschmidt

Die 7. Eiszeit oder: Ich will raus aus der Kiste

eine handvoll häuser hingeworfen in plattdeutschland - hart an der packeisgrenze, unter zumeist unterschiedlich farblich, blaßgrau betupftem wattebauchhimmel.- abgeschnitten wie aus einer reihe hängender, nackter bläulicher hühner, ohne bahnanschluß (auch sonst waren anschlüsse mangelware), ohne nächtlichen fernwehlokomotivenschrei. oder besser gesagt, wie es in der annonce stand: ein romantischer ort zwischen heide, marsch und geest, nahe dem künstlerdorf worpswede, dafür mit glatteis auf der stirn nachts im bett bei mutter schrage in nimmerendender nebelregenwintermatschnässe.- selbst die augen beschlugen matt, wie bei müden alten tauben im zuckelnden bus von bremen nach hagen bei ohrenbetäubender discoradioberieselung.

angekommen die obligatorisch beschmierten holzwartehäsuser - petra hüllen ist eine nutte, ulrike ist geil (die wird wohl auch immer geil bleiben?), ohlmeier diese pottsau.-

vorerst standen wir fröstelnd im regen (plattdeutscher dauerzustand) auf einem holprigen dorfplatz nahe der stets leeren kirche (der pfarrer ging später fort aus hagen, weil er so gerne einen hob, wie die leute sagten, ein anderer pastor wurde einen tag vor der konfirmation krank, so nahm die konfirmation ein hilfsprediger vor, der wenigstens keinerlei beziehung zu seinen schäflein hatte.) gegenüber dem hotel auf dem keller (geschlossen), welches später ständig den besitzer wechselte, und bei einem wirt mußten alle gästezimmer renoviert werden, weil er vergessen hatte, die heizkörper auf 1 zu stellen, bevor er verreiste, und folgedessen die heizkörperrohre platzten im frost. so hatten sie zumindest fließend wasser von allen wänden.- wir später auch in unserer zweiten herberge. so standen wir also und fragten einen radfahrerjungen, ob es hier denn noch ein hotel geben würde, wo man notfalls übernachten könnte? er schrie "m o i n" und radelte nervös weiter.-

das beste an plattdeutschland ist der knipp!

und die schönste jahreszeit besoffensein!

dann noch die drei großen M = müde-matt-marode!

M o i n!

stockholm - bummel

wind.- schwarzes wasser, boote und kutter am quai. das verlassene zweckmäßige mit den über- und unterführungen angelegte rondell slussens.

sprühregen.- leere. drottinggatan.- pfützen nahe des bordsteins. rote, blaue und grüne ölige rinnsale.- die zitternde neonschrift die über aufgeweichtes papier huscht. die blanken eisenkörper der orfeusgruppe im plätschrendem wasser des brunnens.

boheme-typen im cafe von gamla stan, schmal und dunkel und abgebröckelt, verwaschen.-

eine häuserwand, auf der rückseite blaugraue backsteinmuster - zurückgebliebene zeichen eines verschwundenen nachbarn. holzstege zwischen hohen häuserschluchten im trüben laternenlicht. zwei diskutierende männer mit einkaufstaschen. eine straßenkreuzung - stureplan, ein weiter platz in den frühen abend lauschend.

stehende, sitzende, gehende menschen. das blaue T im weißen rund der u-bahn-ampel. (tunnelbana) eisengestänge matt glänzend. schlagzeilen am himmel. tagesnachrichten, neonschrift an einer hochhausfassade. hötorget mit konzerthuset, säulengang mit breiter treppe, auf der in der mittagssonne studenten dösen. zugwind in der unterirdischen ladenstraße von hötorget. jugend, zigaretten rauchend, allein und in gruppen. lärmende und stille. betrunkene auf bänken eingeduselt. zurückkehrende vom stadtbummel. weiße, müde gesichter, gelangweilt, unbefriedigt. zerknitterte tanzfähnchen. medborgarplatsen.- icestadion, enskede gard.-

die verschwindenden schlußlichter der u-bahn, ein perron und die müde kassiererin. wind, bäume, die sich im sprühregen schütteln. die birkenallee mit rotbraunen holzhäusern und einigen laternen.-

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Wandler, Zeitschrift für Literatur, Heft 18

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