Jardin du Palais Royal
Schwalben schneiden
das Wasser
mit Schnäbeln und Flügeln,
während ansonsten
die Welt ist.
Die Welt ist groß,
die Welt ist wichtig,
die Welt weiß Bescheid.
Vitamin A
und Linguistik.
Die Wiederkehr der
alten Zeiten ist gewiß.
(Ägypten, Verdun,
Achtundsechzig).
Daran nehmen
die Schwalben teil.
Die Schwalben sind beschäftigt.
Es kommt eine große Zeit,
in der sie das Wasser schneiden,
die Schnäbel scharf wie immer,
aber ansonsten die Welt ist.
Das ist nicht alles.
Man darf nicht vergessen,
daß hier die Musik lebt,
die Könige tötet.
Sie lebt hier nicht mehr,
das ist gewiß.
Aber die Rückkehr
der alten Zeiten
macht sie tapfer,
damit die Laternen
mit fremden Früchten
behängt sind,
wie immer wieder.
Versteh doch.
Das Volk will den Kopf
des Herrschers hier
nicht mehr, nicht lang
und der Flügel der Schwalbe
köpft ihn, zum Jubel
der kreischenden Menge.
Places des Vosges
Es lebt sich nicht gut
mit dem Finger im Arsch.
Der König ist tot.
Die ihm folgten,
sind besser bewaffnet.
So füllt sich der Friedhof
im Osten der Stadt,
durch Brunnen, Musik
und das Wirken der Schwalben,
die brauchen's nicht wissen, denn hier
gehört alles zusammen,
die Stadt ist zu alt
für Einzelheiten.
Gebaut, nicht erschaffen,
das ist ihr Fehler,
sie gleicht den Menschen,
die sie bewohnen,
und alles geht seinen Gang.
Wären da nicht die Musik
und der Finger im Arsch
des Königs, dem leider
der Kopf fehlt.
Man weiß doch:
die Könige töten
verärgert sie. Sie
wiedererstehen in ihren Verfolgern
und köpfen sie wie vorher.
Es fragt sich,
ob die Schwalben das wissen,
ob es ihnen egal ist?
Sie köpfen die Zeit
mit den Flügeln des Abends,
der Zeit ist es furchtbar egal.
Wenn nicht so viel Gebrüll wär,
kämen die Stimmen der Toten
im Rauschen des Laubs zur Sprache,
im Herzen der Stadt,
deren Herz überall ist.
Darum füllt sich die Luft
mit Gebrüll, damit
hier niemand zur Sprache kommt,
sondern nur zur Musik, die
die Schwalben, den König,
die Zeit köpft.
Rue des Rosiers
Wie eine gut gepflegte Klinge.
Sag nichts zum Mord an den Juden,
du weißt nicht, wie du das
nennen sollst.
Wie eine gut gepflegte Klinge,
die seither nie mehr rostet.
Das Messer im Arsch
und den Finger und
Schwalben über dem Wasser,
der Zeit.
Du mußt das begreifen,
daß es da nichts
zu begreifen gibt,
und die Stadt kann dir
auch nicht helfen.
Nehmen wir an,
das Wetter ist weich.
Du siehst die Tätowierte,
die Rose auf ihrer Brust.
So ist die Stadt tätowiert
mit dem ratlosen Plan
ihrer Straßen, zu dem es
keine Entsprechung gibt.
Nicht wirklich.
Picasso lebt hier,
aber nicht wirklich.
Er ist so tot
wie die Juden, ihn hat
die Schwalbe der Zeit
geköpft, nicht wie
den König der Juden,
denn er ist wirklich
erst in der Zukunft
und wieder kommt
die alte Zeit, mit
wirklichen Klingen
und Bildern.
Die Mütter rufen
die Kinder mit Namen,
die viel zu erwachsen klingen.
Nicht weiß Guillaume,
die Schwalben wissen's,
er lebt in der Stadt, die
tausend wie ihn
am Tag verbraucht.
Denn eine Stadt braucht Nahrung,
denn sie ist ein Tier.
Diese frißt zur Zeit sehr wenig,
und das kann sich ändern.
Garde Républicaine à Cheval
Es gibt keinen Zufall,
es gibt nur Gesetze,
die zu kompliziert sind,
Ausnahmen dito.
Zum Beispiel Celan,
der Jude war und
Gedichte schrieb,
um hier zu sterben
nach der einzigen Art,
die ihm gemäß schien.
Kein Zufall.
Ausnahmen dito.
Diese und jene Sportart
ist möglich. Pelota
zum Beispiel und Polo,
danach darf das Volk
auch mal Fußball
und Drachen.
Die Drachen
hält nicht der Wind
am Himmel, die
Träume sind's derer,
die lenken.
Die Sonne geht unter,
die Drachen sinken
wie giftige Vögel
zu Händen der Träume
der Meister die lenken.
Châtelet
Du darfst nicht vergessen:
die Stadt ist hohl,
und während drinnen
die Bahnen kreischen,
rütteln draussen die Fenster.
Ein Donner folgt dem Blitz der Zeit,
die vor uns Türme aus Rost gebaut hat.
Benjamin wüßte mehr davon.
Er war dem Geheimnis zu nah.
Als er es endlich entziffert hatte,
ließ er sein Herz hinter Büchern
und starb an der spanischen Grenze.
Von dort kommt Musik,
die Könige tötet.
Aus Afrika kommt sie,
auf schwarzem Papier,
und spielt in den kreischenden Bahnen,
im hohlen Körper der Stadt.
Esplanade des Invalides
Auch hier gibt es Engel.
Sie gehn unter Bäumen,
deren Laub durch Staub
tausendfach am Rauschen
sich hindert.
Sie tragen Turnschuh,
lesen die Zeitung,
sie wissen also
das Neuste vom Tage.
Sie sagen:
das Schöne entsteht
aus der Ordnung, die
ihr Gegenteil begreift.
Sie sagen:
der Himmel war
zuerst da und kam
auf die Erde zu liegen.
Sie sagen:
es geht nur ums Ficken,
nicht um die Liebe,
solang ihr den Kindern
das Messer in' Arsch
oder sonstwohin steckt,
aber das ist der Lauf der Welt,
wir sehen nur zu und warten,
daß ihr ihn endlich ändert.
Denn es sind höfliche Engel
in einer höflichen Stadt.
Bibliothèque Nationale
Der hohle Körper der Stadt
ist eine Scheune voller Bücher.
Wir richten über Vergangenes,
und es richtet über uns,
und daraus entsteht
die Verwirrung, die
neue Bücher nötig hat.
Es gibt keinen Zufall
und keine Geschichte,
es gibt nur Gesetze,
die niemand versteht,
und Bücher, die
auch nichts erklären.
Ausnahmen dito.
Passage des Panoramas
Engel und Schwalben
sind überall.
Sie haben das Fliegen erfunden
aus Mißtrauen gegen
die Leichtigkeit.
Sie haben Geduld erfunden
aus Haß auf den Trubel
der Menschen.
Ihnen ist jeder gleich,
und wenn dir ein Engel
ins Maul scheißt,
kannst du das auch begreifen.
Sie sind geduldig,
erwarten den Tag
des Gerichts, an dem
die Musik den König köpft,
die Schwalben des Köpfens wegen,
die Engel, weil sie die Toten
begleiten an Orte,
wo sie gedeihen.
Wo Engel und Schwalben sind,
ist Hilfe für dich nicht weit.
Im Körper der Stadt sind Löcher,
in die du den Kummer hineinspuckst,
wenn dir ein Engel ins Maul scheißt.
Löcher mit goldenen Rändern,
die gute Antwort geben.
Achte darauf !
Sei auf der Hut!
Vergiß nicht:
es muß ein Engel sein,
der dir mit Kraft
ins Maul scheißt.
Irrtümliche Verhaftung (Porte de la Seine)
Das Leben in dieser Stadt
ist ein blutiger Buddhismus,
und alles was Buddha
belächelt hat, ist hier
an der Tagesordnung.
Dem Gott des Flusses
werden geopfert:
Autoreifen und menschliche Körper,
die gehen auf die Reise
zum Gott des Flusses.
Den Spiegeln werden
Gesichter geopfert,
denn hier herrscht
der Gott der Schönheit.
Die Frauen sind hier
verwandelte Elstern,
die alles was glitzert
stehlen müssen.
Opfert den Göttern
des Flusses, der Schönheit
und der Polizei!
Alles ist wirklich.
Es gibt keine Schuld,
es gibt keine Strafe,
denn alles, alles
ist wirklich.
Père Lachaise
Latein ist die Sprache der Toten, Latein
ist die Sprache der staubigen Engel,
die die Toten an ihren Ort begleiten.
Da haben nur die Toten
und staubige Engel Zutritt.
Alle Arten von Toten,
mit allen Arten von Göttern.
Die Toten sprechen Latein,
denn es ist ihre Muttersprache
und staubige Engel
helfen ihnen, dabei
nicht zu verdursten.
Benjamin und Proust
sind im Reich der Toten,
beschützt von starken Engeln,
sie besprechen in Latein
die wiedergefundene Zeit.
Schwalben gibt es hier
nicht wirklich. Nur Tauben,
die niemand vergiftet,
sie sind die Gehilfen der Engel,
sie bringen den Toten
Schnäbel voll Wasser,
aber sie sind zu dumm
für Latein.
Conservatoire des Arts et Métiers
Die Augen
in dieser Stadt,
die Buchstaben,
sind Dämonen,
die Stadt ist so
vielfach wie Troja,
und du bist das
Pferd der Griechen.
Die Augen brennen,
ich schließe sie,
damit ich dich besser sehe.
Die Stadt ist
die größte der Welt,
hier gibt es Feuer
wie sonst nirgends,
die Wörter vervielfachen sie,
ihr Name ist Troja
und sie wird sterben,
aber bis dahin ist Zeit
für feurig vervielfachte Schichten.
Ich bitte dich küß mich,
auch wenn du nicht hier bist,
ich werde es merken
an der Art, wie ich träume.
Saint Sulpice
Das Kind wirft
einen Stein ins Wasser,
die Mutter ruft aus:
pas mal!
Am Himmel schlagen
sich die Völker,
daran würgt die Welt,
doch manches bleibt heil,
das schützen die Engel,
und davon soll ich berichten.
Die Stadt bleibt heil.
Ihr Name ist Troja,
ein Holzpferd im Herzen,
das überall ist.
Die Griechen, Männer
mit Ziegenhaar,
steckten Soldaten
in hölzerne Pferde
und gaben sie der
Stadt zum Geschenk.
Doch die Soldaten schlafen,
ermüdet vom Warten
in hölzernen Pferden,
die Schwalben haben
die Stadt erobert und köpfen
mit großer Vernunft.
Die Griechen träumen
von brennenden Städten,
vom Blut, das ihnen
vom Eisen rinnt
sie glauben nicht,
daß ihr Traumreich dauert,
weil andere gingen,
als sie kamen
und andere nach ihnen
kommen wollen.
Alles was recht ist,
sagen die Schwalben,
die Tauben, die Engel
und die Pferde,
alles was recht ist
sagen die Schwalben,
und alles zu seiner Zeit.
Passage des Panoramas
Ein Herzog geht durch Paris
in Samt und Seide,
in weißen Rüschen,
die Ohren voll mit
lauter Musik,
auf der Suche
nach seinem König.
Hochmut im Gang
und in Gedanken,
denn er ist traurig,
sein König ist tot,
wenn er ihn fände,
gäbs keinen Thron
die Mumie draufzunageln.
Wer hat die längeren,
schärferen Klingen:
die Revolution
oder ihr Feind,
der Glaube
ans Gold der Könige?
Wir haben aber,
kreischen die Schwalben,
die schärferen Flügel,
köpfen am besten, besser
als alle anderen Klingen
köpfen unsere Flügel
dich!
Wasser für den schönen Herzog
auf der Suche nach
dem König und für
den König selbst,
der sein Latein
vergessen hat.
Wasser, das die Schwalben
schneiden.
Mit einer Klinge,
die nie mehr rostet.
Abschied (Gare de l'Est)
Ist diese Stadt denn
eine Maschine, oder
ist sie wirklich ein Tier?
Ich bin zu müde.
Ich muß jetzt gehen.
Aber die Schuhe
laß ich dem König
sie waren so dumm,
zu dumm für Latein
und eine eigene Meinung.
Die Schuhe soll
der König tragen
oder ein staubiger Engel.
Die Schwalben
meinen nicht mich.
Sie meinen die Fliegen
und die Zeit,
die es braucht,
einen Sommer zu machen.
Ich habe Goldsalz
in den Augen.
Ich will mit dir
verreisen.
Ich könnte dich lieben
am nächtlichen Meer,
ich könnte dich lieben
im Thymiansommer
des abgebrannten Lands,
ich könnte dich lieben,
laß uns verreisen.
Oh dieses scharfe Goldsalz,
das mir die Augen schließt:
komm, bitte küß mich,
auch wenn du nicht hier bist,
küß mich beflissen,
küß mich in Ruh,
ich werde es merken
an der Art wie ich träume.
© 1996 Marcus Hammerschmitt und Holger Rada ~ Der Brennende Busch: derBusch@hotmail.com ~
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